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Münchhausen-Check Die CDU, Frau Steinbach und die Homo-Ehe

"Wer schützt die Verfassung vor den Verfassungsrichtern?", twitterte Erika Steinbach nach einem Urteil zur sogenannten Homo-Ehe. SPIEGEL ONLINE und die Dokumentationsjournalisten des SPIEGEL machen den Faktencheck: Wer hat hier ein Problem mit der Verfassung, die CDU-Politikerin oder die Richter?
Von Hauke Janssen
CDU-Politikerin Steinbach: Wer hat ein Problem mit der Verfassung?

CDU-Politikerin Steinbach: Wer hat ein Problem mit der Verfassung?

Foto: dapd

Erika Steinbach ist nicht nur die bekannt streitbare Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, sondern sie ist auch die Vorsitzende der Arbeitsgruppe für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe  der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Und um Menschenrechte geht es hier, nämlich um den Entscheid des Bundesverfassungsgerichts  vom 19. Februar 2013, dass die "Nichtzulassung der Sukzessivadoption durch eingetragene Lebenspartner" verfassungswidrig sei.

Eine weitere Niederlage der Union im Kampf gegen die Homo-Ehe.

Im November 2000 hatte die damalige rot-grüne Regierung gegen die Stimmen von CDU/CSU das Gesetz über die eingetragene Lebenspartnerschaft (LPartG) durchgesetzt. Danach war es zwei Menschen gleichen Geschlechts möglich, ihrer Beziehung einen eheähnlichen rechtlichen Rahmen zu geben - daher der umgangssprachliche Ausdruck "Homo-Ehe" .

Einige CDU-regierte Länder riefen daraufhin das Bundesverfassungsgericht an, unter anderem weil ihrer Meinung nach das LPartG dem Schutz von Ehe und Familie nach Artikel sechs des Grundgesetzes  entgegenstünde. Doch die Verfassungsrichter wiesen im Juli 2002 diesen Antrag zurück.

Die Betroffenen haben das Gesetz gerne angenommen: Laut Statistischem Bundesamt lebten 2010 insgesamt etwa 63.000 Paare als gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften zusammen, davon waren rund 37 Prozent nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz registriert - eine Verdoppelung innerhalb von fünf Jahren .

Um solche Regenbogenfamilien geht es. Leben die Partner mit einem von einem der Partner adoptierten Kind in einem Haushalt zusammen und möchte nun der andere Partner das Kind ebenfalls adoptieren, spricht man von einer Sukzessivadoption.

In einem vorliegenden Fall lehnten Amts- und Landgericht einen solchen Antrag auf Sukzessivadoption ab. Das Hanseatische Oberlandesgericht legte schließlich dem Bundesverfassungsgericht den Sachverhalt zur Prüfung vor.

Dabei ging es um die sukzessive Adoption, nicht darum, ob der Ausschluss eingetragener Lebenspartner von der sogenannten gemeinschaftlichen Adoption verfassungskonform sei.

Zwar sah das LPartG die Adoption des leiblichen Kindes des eingetragenen Lebenspartners (Stiefkindadoption) vor, nicht aber die eines angenommenen Kindes. Heterosexuellen Ehegatten dagegen werden beide Arten der Adoption eingeräumt.

Kaum überraschendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Schon das Hanseatische Oberlandesgericht vermutete, dass die Verwehrung der sukzessiven Adoption gegen Artikel drei des Grundgesetzes ("Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich") verstößt.

So fiel das Urteil des Bundesverfassungsgerichts am 19. Februar 2013 kaum überraschend aus: Die Richter sahen sowohl die betroffenen Kinder als auch die betroffenen Lebenspartner in ihrem Recht auf Gleichbehandlung verletzt.

Die Empörung der Konservativen war groß. Frau Steinbach twitterte, CSU-Chef Horst Seehofer sprang ihr bei : "Ein Urteil, das aus meiner Sicht die gesellschaftliche Notwendigkeit und Realität nicht richtig wiedergibt, muss auch diskutiert werden", sagte er.

Doch es gab auch andere Einschätzungen der Wirklichkeit. Wolfgang Schäuble: "Wenn die CDU Volkspartei bleiben will, dann muss sie veränderte Realitäten zur Kenntnis nehmen."

Doch dem Verfassungsgericht war nicht aufgelegt zu prüfen, ob eine gesetzliche Regelung nach katholischem Verständnis als gesellschaftlich notwendig oder im Hinblick auf den Wählerwillen als politisch nützlich erachtet wird, sondern ob im Falle der Sukzessivadoption eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt war.

Und zwar eine Ungleichbehandlung der betroffenen Kinder und eine Ungleichbehandlung von Verheirateten und eingetragenen Lebenspartnern, die, so das Gericht, hohen verfassungsrechtlichen Anforderungen unterliegt, weil sie die sexuelle Identität betrifft.

Der gebotene besondere Schutz der Ehe allein rechtfertige nicht die Benachteiligung angenommener Kinder eines Lebenspartners, hieß es in logischer Konsequenz der Entscheidung vom Juli 2002.

Zwar sei es dem Gesetzgeber grundsätzlich nicht verwehrt, die Ehe gegenüber anderen Lebensformen zu begünstigen. Zur Rechtfertigung der Benachteiligung vergleichbarer Lebensgemeinschaften bedarf es jedoch eines hinreichend gewichtigen Sachgrundes, der hier nicht gegeben sei.

Solch einen gewichtigen Sachgrund meinte Unions-Fraktionschef Volker Kauder zu erkennen. Die Aussage des Verfassungsgerichts, dass das Kindeswohl in homosexuellen Beziehungen nicht negativ betroffen sei, hält Kauder für "ziemlich gewagt" . Viele Therapeuten seien dezidiert anderer Meinung.

Ex-Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen dagegen: "Ich kenne keine Forschung, die belegt, dass Kinder aus gleichgeschlechtlichen Partnerschaften nicht ebenso behütet ins Leben gehen wie Kinder von Eltern im traditionellen Sinne."

Tatsächlich gibt es nur wenige wissenschaftlich belastbare Studien zu diesem Thema. Auch deshalb hatte die damalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) beim Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg eine Untersuchung in Auftrag gegeben , deren Ergebnisse im Sommer 2009 vorgestellt wurden:

Diese Studie legt nahe, "dass sich Kinder und Jugendliche in Regenbogenfamilien ebenso gut entwickeln wie Kindern in anderen Familienformen". Zypries: "Da, wo Kinder geliebt werden, wachsen sie auch gut auf."  Die Beziehung zum Kind sei entscheidend, nicht die sexuelle Orientierung der Eltern.

"Sexuelle Identität eines Menschen ist kein Hinderungsgrund für die Adoption"

Die derzeitige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hält an der Bamberger Studie fest : "Die sexuelle Identität eines Menschen ist kein Hinderungsgrund für die Adoption".

Und die Verfassungsrichter kamen nach der Anhörung von Sachverständigen zu einem ähnlichen Resultat: "Der Ausschluss der Sukzessivadoption ist nicht damit zu rechtfertigen, dass dem Kind das Aufwachsen mit gleichgeschlechtlichen Eltern schade. Es ist davon auszugehen, dass die behüteten Verhältnisse einer eingetragenen Lebenspartnerschaft das Aufwachsen von Kindern ebenso fördern können wie die einer Ehe."

Im Übrigen sei der Ausschluss der Sukzessivadoption ungeeignet, "etwaige Gefahren solcher Art zu beseitigen, denn er kann, darf und soll nicht verhindern, dass das Kind mit seinem Adoptivelternteil und dessen gleichgeschlechtlichem Lebenspartner zusammenlebt."

Die zu entscheidende Frage war also gar nicht, ob Kinder bei gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern besser oder schlechter gedeihen als in der zweigeschlechtlichen Ehe, sondern die, ob im Falle einer eingetragenen Lebenspartnerschaft eine sukzessive Adoption bereits im Haushalt lebender Kinder deren Wohl beeinträchtigen würde.

Und das zu glauben, hatte das Gericht keinen Anlass. Im Gegenteil: "Nach Einschätzung der angehörten Sachverständigen ist sie geeignet, stabilisierende entwicklungspsychologische Effekte zu entfalten." Zudem verbessert die Sukzessivadoption die Rechtsstellung des Kindes. Dies betrifft das Sorgerecht sowie das Unterhalts- und Erbrecht.

Fazit: Der Tweet muss richtig lauten: Wer schützt die Verfassung vor Frau Steinbach?

Note: Ungenügend (6)

Mitarbeit: Viola Broecker und Almut Cieschinger