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Apartheid-Prozess in USA Südafrikas Vergangenheit holt Konzerne ein

In New York beginnt der weltweit erste Wirtschaftsprozess um die Gräuel-Taten unter dem Apartheids-Regime in Südafrika. Wegen Beihilfe angeklagt sind auch deutsche Firmen, darunter Daimler, Rheinmetall und die drei größten Banken. Für die Konzerne steht viel auf dem Spiel.

New York - Sie hatten ihn gewarnt. Er sei ein "Schwein", und Schweine würden geschlachtet. Im Fernsehen wurde er als Terrorist gesucht, seine Mutter flehte ihn an zu fliehen. Doch Anton Fransch, gerade 20, dachte nicht daran. Als Mitglied des verbotenen Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) hatte sich der Schwarze dem Kampf gegen die Apartheid verschrieben, und er kämpfte bis zum Ende.

Das kam eines Nachmittags im September 1989. Dutzende weiße Polizisten und Soldaten umstellten das Haus in einem Vorort Pretorias, in dem sich Fransch aufhielt. Einige waren zu Fuß angerückt, andere in einem "Casspir"-Panzerwagen. "Kom uit, jou vark!" brüllten sie auf Afrikaans. "Vandag is jou laaste!" Komm raus, du Schwein, heute ist dein letzter Tag.

Sieben Stunden dauerte die Schlacht gegen den Unbewaffneten, bei der die Truppen auch Mörsergranaten einsetzten. Am Ende war Fransch tot, sein Körper grausam zugerichtet. In den Polizeiakten wurde der Fall als Selbstmord abgehakt.

Deutsche Konzerne auf der Anklagebank

Heute hat Anton Fransch endlich seine Stunde vor Gericht. Sein Bruder Mark, ein Schreiner, ist einer der 91 Kläger im weltweit ersten Entschädigungsprozess um die Apartheids-Gräuel, über den ein New Yorker Gericht heute mit einer Anhörung zu verhandeln beginnt.

Das Pikante daran: Angeklagt ist nicht die einstige Führung Südafrikas. Sondern, nach losem Vorbild der Holocaust-Verfahren gegen die Schweizer Banken, 22 Weltkonzerne - wegen Unterstützung und Beihilfe.

Die 170 Seiten lange Anklageschrift - die von den Multis vehement zurückgewiesen wird - liest sich wie ein "Who's Who" der globalen Großindustrie: IBM, Citigroup, Credit Suisse, BP, Exxon Mobil, Shell, Ford, GM. Auch fünf Deutsche finden sich auf der schwarzen Liste: Deutsche und Dresdner Bank, Commerzbank, Rheinmetall, DaimlerChrysler. (Daimler stellt unter anderem die "Casspir"-Chassis her.)

Völkermord, Mord, Zwangsarbeit, Folter, Vergewaltigung: Mit den Schandtaten des Apartheid-Regimes, sagt der Washingtoner Star-Anwalt Michael Hausfeld, der die Klägergemeinschaft vertritt, seien die Firmen "integral verbunden" gewesen. "Ohne ihre Beteiligung hätte die Apartheid wahrscheinlich nicht auf die gleiche Weise stattgefunden."

Munitionsfabrik geschmuggelt

Ein sensationeller Vorwurf - und juristisches Neuland. Noch nie hat sich jemand derart an die globale Mitverantwortung für Rassismus, Tod und Elend in Südafrika gewagt.

Doch seit den Holocaust-Prozessen - die in Vergleichen, Regierungsberichten, Milliardenfonds und einem PR-Desaster für die Banken endeten - hat sich das Klima geändert. Großkonzerne sind nicht mehr unangreifbar.

Zum Beispiel Rheinmetall: Das Düsseldorfer Rüstungsunternehmen, so der Vorwurf, habe in den siebziger Jahren das Waffenembargo verletzt, indem es eine komplette Munitionsfabrik über Paraguay nach Durban geschmuggelt habe. Mehrere Rheinmetall-Manager waren diesbezüglich schon von einem deutschen Gericht verurteilt worden. Außerdem hätten die Rheinländer südafrikanische Militärs trainiert - in der Lüneburger Heide.

Auch DaimlerChrysler kommen seine "extrem lukrativen Geschäftsverbindungen" mit den Rassisten nun ins Gehege. Beispielsweise durch seine Panzerfahrzeuge "Büffel", über die der Aktionär Joachim Jungbeck der Daimler-Hauptversammlung in Stuttgart 1988 nach einer Reise vor Ort stolz berichtet habe, sie würden "zur Besetzung und Kontrolle schwarzer Stadtviertel" genutzt.

Größter Zulieferer der Apartheid

Deutsche und Dresdner Bank und Commerzbank sollen die Apartheid durch Milliardenkredite mitfinanziert haben. Noch schwerere Vorwürfe gehen an die Schweizer Bankhäuser Credit Suisse und UBS, Citibank und den Wall-Street-Riesen J.P. Morgan Chase.

Das Rassen-Identifizierungssystem, mit dem die Schwarzen kontrolliert wurden, stützte sich der Anklage zufolge auf IBM-Computer. Die USA waren Südafrikas PC-Zulieferer Nummer eins, ganz oben auf der Liste stand IBM. Größter Kunde dort: die Regierung.

Der Konzern war sich über die Verwendung seiner Produkte bewusst. Auf Seite 146 der Anklage findet sich folgendes Zitat der IBM-Leitung: "Es ist wirklich nicht unsere Art, unseren Kunden vorzuschreiben, wie sie sich zu verhalten haben."

Im Kern berührt der Prozess eine juristische Frage: Wenn jemand einen Mord begeht, ist der Hersteller der Mordwaffe mitverantwortlich - oder gar derjenige, der das Auto gebaut hat, mit dem der Mörder zum Tatort fährt?

Wurzeln im Sklavenhandel

Ja, sagen Hausfeld und seine Anwaltskollegen aus New York, Washington, Florida, Los Angeles und Kapstadt: Wenn er weiß, dass sein Produkt einem Mord dient. "Beihilfe und Begünstigung" heißt das in der Anklage.

Oder, wie es der südafrikanische Finanzminister Owen Horwood 1983 sagte: "Die Geschichte der wirtschaftlichen Entwicklung dieses Landes ist an ausländisches Kapital, Technologie und Wissen gebunden. Es erlaubt uns, einige Dinge besser zu erledigen, als wir sie sonst erledigen würden."

Und diese Dinge, so argumentiert die Klage, seien laut offizieller Uno-Lesart "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" gewesen. Es ist allerdings ein Novum, dass sich ein handfestes Zivilgericht mit dieser alten politischen Floskel auseinandersetzt - ein historischer Moment für Menschenrechtsorganisationen weltweit.

Möglich ist das dank eines US-Gesetzes von 1789, den "Alien Tort Claims Act", wonach Nicht-Amerikaner Firmen wegen Menschenrechtsverletzungen verklagen dürfen, sofern diese Firmen hier Geschäfte machen.

"Tiefe Taschen, große Klagen"

Ironie der Geschichte: Es ist ein Gesetz, das seine Wurzeln im Ende des amerikanischen Sklavenhandels hat. Die Formulierung "Beihilfe und Begünstigung" entlehnten Hausfeld & Co. einem Beschluss des US-Kongresses von 1794.

Solche dramatischen, medienfreundlichen Fingerzeige sind Michael Hausfelds Spezialität. Der hagere, 57-jährige Anwalt, ein Veteran der Holocaust-Prozesse der neunziger Jahre, gilt als Meister der Inszenierung - ohne dabei jedoch wie sein nicht minder berühmter Konkurrent Ed Fagan zunehmend zu hören bekommt, an Seriosität einzubüßen. Das Branchenblatt "National Law Journal" setzte Hausfelds Kanzlei Cohen, Milstein, Hausfeld & Toll (CMHT) im Sommer auf seine "Hotlist" der 25 schärfsten Strafverteidiger-Teams der USA.

Fagan, der einst die Schweizer Holocaust-Affäre lostrat, war auch hier anfangs dabei. Doch sein aggressiver "Cowboy"-Stil stieß bei der Opfergruppe Khulumani auf Widerstand, sie setzte sich mit Hausfeld ab.

"Tiefe Taschen, große Klagen", betitelte das "Law Journal" seinen Artikel über CMHT. Hausfeld war ein leitender Anwalt in den Holocaust-Verfahren, die zu einem Vergleich über 1,25 Milliarden Dollar führten. Für 1,9 Millionen ehemalige NS-Zwangsarbeiter erstritt er die Rekordsumme von 5,2 Milliarden Dollar.

Mit Säure übergossen und verstümmelt

Und jetzt eben die Apartheid. Allein das Deckblatt der Anklage mit der alphabetischen Namensliste der 91 Kläger ist drei Seiten lang. Einige sind Hinterbliebene von Mordopfern wie Johana Lerutla, deren 15-jähriger Sohn Matthew zusammengeschlagen und dann mit einem Draht erwürgt wurde. Andere sind Überlebende von Folter, etwa Zacharia Fikile Mamba, der mit Elektroschocks gequält wurde, oder Maureen Thandi Mazibuko, die mit Säure übergossen und verstümmelt wurde.

Alle Kläger gehören der südafrikanischen Opfergruppe Khulumani an, die fast 33.000 Mitglieder hat. Die Anti-Apartheidler haben in den USA zwar keine derartige Lobby-Macht wie die jüdischen Verbände, doch man solle sie auch "nicht unterschätzen", heißt es in Klägerkreisen. "Khulumani" heißt auf Zulu "laut, frei reden"; es wird erwartet, dass die Betroffenen dieser Aufforderung während des Prozesses nachkommen werden.

Denn den Opfern geht es eher um Ehre, Anerkennung und die Offenlegung von Verantwortlichkeiten denn ums harte Geld. "Über Geld habe ich niemals nachgedacht", erklärt Klägersprecherin Thandiwe Shezi. "Keiner kann mir meine Würde zurückgeben."

Antrag auf Abweisung

Eine konkrete finanzielle Forderung enthält die Anklage denn auch nicht. Darüber möge später nachverhandelt werden. Hausfeld denkt, wie bei den Holocaust- und Zwangsarbeiter-Fällen, an einem gemeinsamen Milliardenfonds.

Doch es könnte gut sein, dass es so weit gar nicht kommt. Die Konzerne haben einen Antrag auf Abweisung der Klage gestellt, über den der Bezirksrichter John Sprizzo heute entscheiden will. Die Vorwürfe seien "unbegründet und ungerechtfertigt", sagt UBS-Chef Peter Wuffli: "Wir werden uns nach Kräften verteidigen".

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