Letzten Endes ist der Zuschauer eine Blackbox

Aspekte von Filmzensur in Geschichte und Gegenwart

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Filme werden immer schon zensiert – ob im Voraus durch Künstler und Produzenten oder im Nachhinein durch Institutionen. Aber selbst Kuratoren und Zuschauer zensieren Filme. Welche Facetten das Thema Filmzensur birgt, schnitt ein Kolloquium im Deutschen Filmmuseum in Berlin an zwei Tagen an und ließ Künstler, Zensoren und Wissenschaftler ihren Blick auf das Thema präsentieren.

Die Geschichte der Filmzensur ist wie die jeder Medienzensur eine Parallelgeschichte der Gattung. An ihr lässt sich ablesen, welche gesellschaftlichen Diskurse zu allen Zeiten über das Medium geführt wurden, ja, sie bildet einen regelrechten Spiegel von Tabu- und Sittengeschichte. Was verboten wird, sagt viel über die Wertvorstellungen einer Zeit aus – und dass es irgendwann einmal nicht mehr verboten ist, ist ein Index für moralischen und sittengeschichtlichen Wandel.

Weiße Sklaven – schwarze Kisten

Legendär sind Filme der Weimarer Republik, die sich dem Sujet der „weißen Sklavin“ gewidmet haben und damit letztlich nichts anderes als Frauenhandel und Prostitution thematisierten. Die Bonner Filmwissenschaftlerin Ursula von Keitz hat etliche dieser Filme untersucht – beziehungsweise das, was von ihnen noch übrig ist: Weil es immens viele Filme zum Thema gab, das Sujet als nicht besonders archivierungswürdig galt und deshalb die betreffenden Filme (wie sowieso die meisten Filme der Filmgeschichte) als verschollen gelten, lässt sich schwer über sie forschen. Dass die Filme, bevor sie damals gezeigt wurden, von der Filmprüfstelle geschnitten wurden, stellt für Filmhistoriker einen regelrechten Glücksfall dar, denn diese Ausschnitte sind in den Archiven noch auf Rollen aufgezogen zugänglich. Sie zu sichten und mithilfe der Zensurkarten einzelnen Filmen zuzuordnen, war die Leistung von von Keitz.

Ursula von Keitz. Bilder: Stefan Höltgen

Und genau darin zeigt sich auch schon ein erster positiver Aspekt von Filmzensur – sie archiviert. „Wer Filme zens... wer Freigaben ausspricht“, so später auf der Tagung die FSK-Leiterin Christiane von Wahlert mit einem eindeutig-zweideutigen Versprecher, „der hat auch einen Sammeltrieb.“ Und dieser Sammeltrieb kam der Arbeit Ursula von Keitz durchaus zugute. Dass die gezeigten Filmausschnitte aus der damaligen Perspektive durchaus problematisches Material enthielten, wurde schnell klar: Szenen aus Bordellen, halb entblößte Frauen, sexuelle Freizügigkeit und Eindeutigkeit – alles ein Dorn im Auge der Filmzensoren, die mit ihrer Arbeit auch in jene schon früh geführte Debatte der Kinoreformbewegung eingriffen: deren Protagonisten war klar, dass das damals noch junge Medium Film einen fatalen Einfluss auf seine Zuschauer ausübte.

Insbesondere Frauen und Teenager seien davon betroffen und würden korrumpiert. Eine 16-jährige, die – zudem in männlicher Begleitung – in einen der betreffenden Filme gegangen sei, zitiert von Keitz einen zeitgenössischen Zensurbefürworter, und sich im Halbdunkel des Kinosaals derartig vergnügt habe, sei als sittenhafte Frau für die Zukunft unbrauchbar. Derartige wirkungstheoretische Überlegungen haben sich bis heute – in abgeschwächter Form – gehalten. Dennoch, so betont von Keitz zum Schluss, bleiben sie wissenschaftlich unbewiesen und der Zuschauer zum Glück eine „black box“.

Andere Länder, aber keineswegs andere Sitten

Der Filmemacher und Historiker Martí Rom berichtete von einer etwas späteren Zeit und einem anderen Ort: dem Spanien zur Franco-Zeit. Hier habe sich aufgrund der rigiden Zensur eine regelrechte Subkultur Filmschaffender und -schauender gebildet. Die regulären Vertriebswege nutzend wurden Filme, die niemals durch die Zensur gekommen wären, in geheimen Absprachen mit den Kinobetreibern quer durchs Land gesendet. „Die zensierenden Behörden rechnen nie mit der Fantasie der Künstler“, so Rom und hätten deshalb auch nie etwas vom Treiben mitbekommen. Dass sich unter derartigen Repressalien eine ganz eigene Form des Films, seiner Sprache und seiner Inhalte entwickelt, haben zahlreiche Filmhistorien gezeigt. Insbesondere inspiriert durch das französische Kino der Nouvelle Vague, das in Spanien oft nur in Form der eingeschmuggelten Texte Godards, Truffauts und anderer repräsentiert war, entwickelte sich eine ganz eigenes spanisches Kino.

Martí Rom

Die Diskrepanz zwischen dem, was (nicht) gezeigt werden durfte und dem, was passierte, klaffte im Spanien der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer weiter auseinander. So konnte jedermann am Strand der Costa del Sol Touristen-Frauen im Bikini bewundern, während sie zeitgleich auf Zelluloid Tabu blieben. Zuschauer, die dem filmästhetisch anderen Kinonationen hinterher hinkenden spanischen Film „entkommen“ wollten, flohen in Kinos des benachbarten Auslands – insbesondere in französische Grenzorte. Dort entwickelte sich schon bald eine Kultur rund um die Kino-Touristen aus Spanien. Eine durch zensorische Repressalien entstandene eigene Filmzensur und die grenznahe Kinokultur können als weitere unbeabsichtigte, positive Folgen der Filmzensur in Spanien gewertet werden. Spricht das aber für die Filmzensur?

Verbietet die Film-Kinder-Hexen!

Ein zeitgenössisches Beispiel für Filmzensur stellte Filmemacherin und -kuratorin Dorothee Wenner vor, die eine Expertise in Sachen Nollywood vorweisen kann. Nigerias Filmindustrie zählt zu den größten der Welt. Nach Indien und den USA (einige Schätzungen situieren Nigeria sogar dazwischen) werden dort die meisten Filme produziert – allerdings fast ausnahmslos für den eigenen Markt. Das liegt zum Einen daran, dass die Filme kaum internationalen Anforderungen genügen: Sie sind zumeist auf Video gedreht und auf VCD vertrieben und enthalten keine Sex-Szene, was sie, so zitiert Wenner einen Regisseur von dort, international uninteressant macht. Andererseits kreisen die Sujets Nollywoods um landesspezifische Themen. Wenner führte an Beispielen vor, wie der nigerianische Alltag zum oft alleinigen Gegenstand dieser Filme wird – und wie ähnlich dadurch einander lebenswirkliches Vorbild und mediales Abbild im nigerianischen Kino sind.

Diese Ähnlichkeit führt allerdings auch zu einem fatalen „Umkehrschluss“, denn offenbar lassen sich dort in fiktionalen Spielfilmen Themen lancieren, die von den Zuschauern dann außerhalb des Kinos „wieder gefunden“ werden. Am Beispiel der vor allem durch fundamental-christliche Bewegungen lancierten Hexen-Thematik in Filmen belegte Wenner, welche Ausformungen das nehmen kann: regelrechte Treibjagden haben nach Erscheinen solcher Spielfilme auf Kinder – zumeist AIDS-Waisen und „verhaltensauffällige“ (das heißt: renitente) Kinder und Jugendliche – stattgefunden, denen bereits tausende zum Opfer gefallen sind. In einem Film wird erklärt, dass das Essen hartgekochter Eier oder durch Anstiftung stattfindendes unchristliches Verhalten aus einem Kind eine Hexe machen. Solche Kinder lassen sich außerhalb des Kinos schnell finden.

Die nigerianische Filmzensur, der jeder Film vor der Publikation vorgelegt werden muss, ist machtlos gegenüber den Kino-Kirchen mit ihren überzähligen und finanzstarken Vertretern und muss zusehen, wie solche Horrorfilme zur Vorlage für Mordserien werden. Wäre eine Zensur, zumindest bis sich aufklärerisch-humanistische Programme in Nigeria durchgesetzt haben, zum Schutz der Kinder nicht unbedingt notwendig? - so die Conclusio des Vortrags.

Seeing is not a crime

Eine Zensur ganz im Sinne der „Betroffenen“ findet auch in Australien statt. Dort haben Filmarchivare das Problem, mit tabuisierten, filmisch protokollierten Ritualen der Aborigines konfrontiert zu werden. Darunter befinden sich Filme, die Dinge zeigen, welche nur von Männern oder nur von Frauen oder nur von den Stammesältesten erblickt werden dürfen. Wie und vor allem durch wen sollen solche Filme, die teilweise bis zu einhundert Jahre alt sind, restauriert und archivarisch betreut werden, fragt Paolo Cherchi Usai, der Leiter der Hagfilm Foundation aus Amsterdam.

Paolo Cherchi Usai

„Die Hölle des Archivs“ war der Gegenstand seines Vortrages, in dem er zahlreiche solcher Problemfälle ansprach. Filmarchivare haben die Aufgabe zu sammeln – und nicht zu filtern oder gar zu bewerten, was gesammelt wird. Um die Problematik dieses Auftrags in seinem ganzen Umfang zu verdeutlichen, zitierte Usai eine Entscheidung US-amerikanischer Gerichte: so genannte Crush-Videos, die zeigen, wie Menschen Tiere zu Tode quälen, sind – einmal in Umlauf geraten – Bestandteil des filmhistorischen Erbes. Jenseits der moralischen Frage ergibt sich eine juristische: Kann der Besitz oder gar das Anschauen solcher Filme strafbar sein, bloß weil sie eine strafbare Handlung dokumentieren? Die US-Gerichte haben entschieden: Es ist furchtbar, dass es solche Filme gibt, aber sie anzusehen kann nicht dasselbe sein, wie sie zu produzieren. „Seeing is not a crime.“

Wen schützt Filmzensur in aufgeklärten Gesellschaften?

Dass nach Usais Vortrag diese Problematik in der Diskussion augenblicklich auf die derzeit heiß diskutierte Kinderpornografie ausgedehnt wurde, war absehbar. Hier rief Usai zu einer differenzierten Position auf: Auch das Anschauen solcher Filme sollte – im Gegensatz geltender deutscher Rechtsprechung - keine Straftat sein, nur weil das in ihnen dargestellte eine ist. Es müsse hier unterschieden werden zwischen dem Film als ästhetischem Artefakt und seinem Charakter als ökonomisches Produkt.

Das eigentliche Problem ist, dass es solche Filme gibt und dass es einen Markt für sie gibt und dass aufgrund der Nachfrage immer mehr solcher Filme produziert werden. Das stünde Usai zufolge jedoch nur in indirektem Zusammenhang mit ihrer Rezeption. Für das Archiv gefragt: Wenn solche Filme im Diskurs sind – sollten sie dann auch archiviert werden? Die Frage ist durchaus nicht trivial, blickt man in andere Kulturen oder historische Epochen und ihren Umgang mit verfemten Artefakten, die wir heute teilweise nur deshalb kennen, weil sie trotz aller Tabuüberschreitung archiviert wurden.

Wie wandelbar die moralischen Ansichten über derartige Tabu-Objekte sind, hat der Münsteraner Zensurforscher Roland Seim dargelegt (Vortragsvideo). Er versuchte die Geschichte der bundesdeutschen Filmzensur gleichermaßen historisch und systematisch darzustellen und einen Überblick über die heute wirksamen zensurierenden Institutionen zu geben.

Roland Seim

Diese sind durchaus vielfältig und reichen von den total-verbietenden Gerichten (welche Filme aufgrund Strafgesetz- oder Persönlichkeitsrechtsverstößen beschlagnahmen und einziehen lassen können – siehe weiter unten zum Thema „The Texas Chainsaw Massacre“) über die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BpjM) in Bad Godesberg, die – das ist weltweit einzigartig! – als staatliche Einrichtung eine Liste mit indizierten Medieninhalten führt, welche erschwerten Distributionsbedingungen unterliegen, bis hin zur Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), die zwar nur Altersfreigaben ausspricht, sich aber dennoch dem Vorwurf eine Zensurinstanz zu sein, aussetzen muss. An Beispielen aus der Horrorfilmgeschichte und einer Gegenüberstellung von ungekürzten und gekürzten Filmausschnitten verdeutlichte Seim das nicht selten der Kunstschändung gleichkommende Wirken der deutschen Zensurinstanzen.

Die Gefahr einer Gefahr

Die FSK, so deren Geschäftsführerin Christiane von Wahlert, wolle jedoch lediglich Minderjährige davor beschützen, zum Opfer schädlicher medialer Einflüsse zu werden. Dass die Programmanbieter ihre Filme selber auf ein Maß schneiden, welches eine niedrigere Jugendfreigabe zur Folge hat, habe die halbstaatliche Institution genauso wenig zu verantworten, wie die Tatsache, dass solche Programme dann auch nicht als gekürzt gekennzeichnet werden müssten.

Und auch für die vollständige Transparentmachung der Freigaben – etwa auf der Internetseite der FSK – stehen leider nicht genügend Ressourcen zur Verfügung. Immerhin arbeite die FSK bereits seit 1949 und hat seither tausende Entscheidungen gefällt. Arbeit für künftige Zensurforscher bietet sich da zuhauf, wie eine jüngere Publikation zum Thema eindrucksvoll darlegt. (Wie problematisch und widersprüchlich die Arbeit der FSK-Ausschüsse teilweise ist, habe ich am Fall des Films The Last Horror Movie auf einer FSK-Tagung 2006 dargelegt.)

Nun ist prinzipiell nichts gegen Jugendschutz – und beruft er sich auch auf prinzipiell unklärbare Hypothesen der Medienwirkung – einzuwenden, wenn sichergestellt ist, dass Erwachsene freien Zugang zu den Medieninhalten bekommen. Dem ist aber nicht so, wie Seim dargelegt und Christiane von Wahlert auch bestätigt hat: Nach den Bestimmung zum Jugendmedienschutz hat die FSK nun auch die Möglichkeit, einem Film die Freigabe ganz zu verweigern – also auch das Siegel „Keine Jugendfreigabe“ für Erwachsenenfilme dem Antragsteller zu verwehren. Damit können Erwachsene diese Filme zunächst auch nicht sehen – wohlgemerkt handelt es sich um fiktionale Spielfilme und keineswegs um inkriminierte Darstellungen, wie sie Usai zuvor thematisiert hatte! Solche Filme müssen dann geschnitten werden, damit Erwachsene sie zu Gesicht bekommen können. Trotzdem: Die FSK ist de jure keine Zensurinstanz.

Die Säge im Bauch ...

Eine überaus eindrückliche Darlegung der derzeitigen Zensurpraxis gab der Chef des Filmlabels Turbine Medien GmbH, Christian Bartsch, der zusammen mit seiner Fachanwältin auf der Tagung auftrat. Beiden ging es um einen ziemlich alten, aber dennoch sehr aktuellen Zensurfall: Anfang der 1980er Jahre wurde der schon 1974 entstandene Horrorfilm „The Texas Chainsaw Massacre“ vom Landgericht München wegen Gewaltverherrlichung beschlagnahmt und eingezogen. Seither ist der gegen den Strafgesetz-Paragrafen 131b verstoßende Film in Deutschland nicht mehr zu sehen – außer in um sämtliche Gewaltdarstellungen gekürzten Fassungen, was für einen Splatterfilm dasselbe sei, wie die Aufzeichnung eines Fußballspiel mit herausgeschnittenen Torschüssen – so Roland Seim zuvor pointiert.

Christian Bartsch

Nun ist „The Texas Chainsaw Massacre“ aber streng genommen gar kein Splatterfilm, wie Bartsch in der Gegenüberstellung mit dem „erlaubten“ Remake des Films von 2003 eindrucksvoll vorführte: Es gibt sogar nur eine einzige Sequenz, in der man sieht, wie die titelgebende Kettensäge einen menschlichen Körper verletzt: Als der Serienmörder bei der Verfolgung des final girls stolpert, stürzt und sich aus Versehen selbst ins Bein sägt (was sich dann auch noch so ungefährlich erweist, dass er seine Verfolgung fortsetzen kann).

Alle anderen „Gewaltdarstellungen“ finden ausschließlich im Kopf des Zuschauers – und im kreativ verfassten Beschlusstext des LG-Richters statt. Das sehen Staatsanwälte, FSK und BpjM heute ebenso und würden den Film deshalb auch gern wieder freigeben – allein, die juristische Bürokratie sieht dies nicht vor und so kann die Blu-ray-Disc des Films, die „Turbine Medien“ bislang nur in Österreich vertreibt, in Deutschland nicht – ja wahrscheinlich sogar niemals – erscheinen.

Ein zensorisches Bonmot: Bartsch befürchtete zu Anfang der Arbeit an der Wiederveröffentlichung, der Film könne bei der Wiedervorlage vor der FSK ein „ab 16“ bekommen, was potenzielle Käufer dann wohl abermals von einer gekürzten Fassung hätte ausgehen lassen können. So aber bleibt er verboten und begehrt – denn ein Effekt von Filmverboten ist die enorme Wertsteigerung, die sie dadurch, dass sie sozusagen „amtliche Horrorfilme“ (Bartsch) seien, erfahren.

… die Sichel am Hals ...

Dass filmische Gewaltdarstellung durchaus einen kulturellen und ästhetischen Sinn hat, legte der Siegener Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger dar (Vortragsvideo), der seine Theorie des „dunklen Souveräns“ anhand eines Ausschnittes aus dem Film „Hostel 2“ darlegte – und zwar an einer Sequenz, derentwegen der Film hierzulande als „Gewaltverherrlichung“ kürzlich beschlagnahmt wurde: Eine kopfüber aufgehängte Frau wird von einer unter ihr liegenden Frau mit einer Sichel ermordet, jedoch so langsam, dass die obere allmählich ausblutet, während die unter ihr liegende eine Blutdusche nehmen kann. Ein Mord, der sich auf die Legende um die „Blutgräfin“ Erzsébet Báthory stützt, die in Jungfrauenblut gebadet haben soll, um ihre Jugend zu bewahren.

Marcus Stiglegger

Stiglegger machte deutlich, dass das gleichzeitige Abgestoßen- und Angezogensein des Zuschauers von solchen Sequenzen eine fundamentale moralische Selbstvergewisserung ermöglicht, die das moderne Subjekt über Medieninhalte erfahren kann. Filme, die unter dem Pejorativ „Torture Porn“ firmieren, reflektieren gleichzeitig zeitgeschichtliche Realität (etwa um den „Snuff“-Diskurs) und stellen neue Körperbilder vor, bei denen die Entgrenzung des Subjektes in der „Offenheit“ des Körpers ver(sinn)bildlicht wird.

Jede Zensur solcher Bilder zeigt sich mithin blind gegenüber kulturellen Diskursen. Derartige Zensur wird jedoch keineswegs nur von Institutionen betrieben. Gerade bei straken ästhetischen Transgressionen und Tabuverletzungen sind es zuweilen die Zuschauer selbst, die zensieren. Usai berichtete von einem Pfarrer, der bei anstößigen Film-Szenen von seinem Kinosessel aufgesprungen sei und mithilfe seines Körpers den Lichtstrahl vom Projektor „abfing“.

… und die Schere im Kopf

Andere Quellen berichten von Kino-Blockaden durch empörte Zuschauer, die Ingrid Thulin in Ingmar Bergmans „Das Schweigen“ nicht auf der Leinwand onanieren sehen wollten und ihre Wollungen auf andere Zuschauer ausdehnten. Solche Zensur, so Usai, sei tolerierbar, weil sie das Medium und seinen Inhalt selbst nicht verändere und später wegfalle: „Das Schweigen“ ist heute ungekürzt auf DVD „ab 16 Jahren“ zu sehen.

Der damalige Skandal bestätigt Stigleggers These einer (damals) neu sichtbaren Körperlichkeit, sozusagen als „Vorbild“ der sexuellen Befreiungsbewegung, die als Grenzüberschreitung wahrgenommen wurde. Und wer weiß, wie künftige Generationen die Inhalte und medialen Dispositive unserer Gegenwart bewerten, mit denen wir – beziehungsweise unsere Zensurinstanzen – so viel Ärger haben?

Dass sich Filmzensur, wie eingangs angedeutet, in einem ständigen Dialog mit der Ästhetik befindet, der zumeist erst im historischen Rückblick erkannt und rekonstruiert werden kann – davon berichtete die Filmkünstlerin Birgit Hein, die in den späten 1960er Jahren in Köln Xscreen mitgegründet hatte. Eine Gruppe von Filmkünstlern, die Programmkino machen wollten, dies teilweise an skurrilen Orten (wie der Baustelle des Kölner Neumarkt-U-Bahnhofs) auch verwirklichten, jedoch ständig von der Polizei und wütenden Bürgern gehindert wurden. Ähnlich wie Matí Rom erreichten es die deutschen Künstler ihren Zensoren immer einen Schritt voraus zu sein und Werke illegal zu veröffentlichen/zeigen, die heute einhellig als Filmkunst betrachtet werden.

Pornos & Internet

Zum Tagungsabschluss sprach der Berliner Pornofilm-Produzent Jürgen Brüning, der auch das Pornfilmfestival Berlin kuratiert, von seinen Schwierigkeiten, angesichts der international extrem unterschiedlichen rechtlichen Bestimmungen seinen Filmvertrieb zu organisieren. Dass etwa in der Schweiz vieles erlaubt ist – nur nicht das Zeigen von fließenden Körpersekreten, macht den Vertrieb von Filmen mit Urin-Themen schwierig, gerade weil – hier berief sich Brüning auf Linda Williams „Exzess“-Theorie (in Kürze ist ihr Essay online auf der Seite von montage av zu lesen) – Pornofilme eben Filme über das Fließen von Flüssigkeiten sind. Dass dieses Verbot dann aber nur Urin und nicht etwa Sperma oder weibliches Ejakulat betrifft, macht die Sache vollends heikel und nötigt Produzenten zu eindeutigen Klarstellungen.

Ganz anderen Problemen sieht sich ein postmodernistisch-zitierender Filmkünstler heute im Internet ausgesetzt: Der Rechtsanwalt Till Kreutzer schilderte die Unmöglichkeit, sich heute Rechtssicherheit in Hinblick auf die Persönlichkeits- und Verwertungsrechte zu verschaffen, wenn man nicht jedes Bild seines Films selbst gefilmt (und jeden Ton selbst erzeugt …) hat. Amateur-Filmproduktion wird durch solche Rechte eigentlich schon im Vornherein verunmöglicht – eine Vorzensur aus Angst vor teueren Rechteklagen.

Nur noch diejenigen, die das Kapital haben, sich neben den Produktionskosten auch noch Anwälte leisten zu können, können sich sicher fühlen. Kreutzer wird sein Thema im September auf einer Fortsetzung der Veranstaltung noch einmal vertiefen. Das wäre auch für die anderen angesprochenen Zensur-Aspekte wünschenswert, denn wie vielfältig und uneindeutig das Phänomen „Zensur“ ist, konnte an zwei Tagen allenfalls angeschnitten werden.