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Gen-Revoluzzer Craig Venter will Lebewesen e-mailen

Der Gen-Pionier träumt von einer phantastischen Zukunft: Gen-Codes werden per E-Mail verschickt und andernorts wieder zu Lebewesen zusammengebaut, sagt Craig Venter bei einer Internet-Konferenz in München voraus. Das Klimaproblem will er auch lösen - mit Designer-Mikroben.

Das Netz ist dicht. Bei der jährlichen Versammlung der digitalen Eliten, die Burda Media in München organisiert, ist kaum noch Platz in den Funkzellen. W-Lan und UMTS ächzen unter Vollast, überall wird telefoniert, gesurft und getippt, auf jedem Stuhl sitzt jemand mit einem Smartphone oder Laptop, und so mancher habituelle Blackberry-User hat jetzt zusätzlich auch noch ein iPhone dabei.

DLD heißt die Veranstaltung. Früher stand das für "Digital Lifestyle Day", inzwischen für "Digital, Life, Design". Sie ist hochkarätig besetzt - nicht nur, aber auch deshalb, weil sie günstig liegt: Viele der internationalen Business-Stars, die dem Verleger hier die Ehre erweisen, reisen anschließend gleich weiter nach Davos zum Weltwirtschaftsforum. So kann man dieses Jahr Menschen wie Richard Dawkins und Marissa Mayer von Google auf dem Gang treffen. Und Jason Calacanis, der das Profi-Bloggen erfand, diskutiert mit Wikipedia-Gründer Jimmy Wales - ach ja, auch Naomi Campbell soll heute noch vorbeischauen.

Bio-Revolutionär inmitten von Technikfans

Die Erregung ist groß, Themen sind die neuen Märkte in Indien und China, immer noch Social Networks und vor allem das mobile Netz. Vielleicht erscheint letzteres Thema manchem auch deshalb so dringlich, weil fast alle Anwesenden ständig versuchen, ins Internet zu kommen und immer wieder daran scheitern.

Inmitten all der Technologiebegeisterung findet dann ein Gespräch statt, das mehr Sprengkraft birgt als all die Pläne der alten und neuen digitalen Unternehmer zusammen - aber das merkt kaum jemand. Es ist immer zu voll beim DLD, bei interessanten Veranstaltungen muss man stehen. Aber als der Gen-Unternehmer Craig Venter und der Gen-Revolutionär Richard Dawkins, der mit seinem religionskritischen Wälzer "Der Gotteswahn" gerade die gesamte religiöse Rechte gegen sich aufgebracht hat, gestern gemeinsam auf die Bühne gingen, um über ein "gen-zentrisches Weltbild" zu sprechen, stehen weniger als sonst. Und das, obwohl in dieser Veranstaltung revolutionärere Sätze gesagt und wildere Prognosen formuliert werden als sonst auf dieser an Zukunftsvisionen nicht armen Veranstaltung.

Venter, der zuletzt Schlagzeilen machte, als er sein persönliches Genom vollständig ins Netz stellte, sagt ständig Ungeheuerliches - aber keiner reagiert. Der Klimawandel, so Venter, sei eine viel größere Bedrohung für die Menschheit als die Gentechnik. Die aber könne dagegen helfen: Mit genmanipulierten Mikroben, die CO2 fressen zum Beispiel: "Wir können die Umwelt durch gezielte Gestaltung verändern." John Brockman, der als Literaturagent sowohl Dawkins als auch Venter unter Vertrag hat, soll eigentlich moderieren, überlässt das aber dann doch weitgehend Dawkins. Als Venter dann vom gezielten gentechnischen Gestalten der Umwelt spricht, wacht er kurz auf. Man habe ihm einmal erklärt, wenn man in Deutschland solche Themen anschneide, "dann gibt es einen Aufstand - aber Sie scheinen alle so ruhig!". Und er hat recht.

"Leben wird zu Technologie"

Aufregung will sich einfach nicht einstellen, also setzt Venter - wie immer ganz Provokateur - noch einen drauf. Dawkins - notgedrungen nun in der Rolle des Advocatus Diaboli - fragt, ob Venter denn alles Leben als Technologie betrachte. "Das Leben ist Maschinerie", antwortet der, "und während wir lernen, es zu beeinflussen, wird es zu Technologie". Dawkins, der in Hemdsärmeln und mit einer sehr eigenwillig gemusterten weiß-grauen Krawatte ein bisschen wirkt wie ein freundlicher Mathematiklehrer, sieht sich nun doch zu einer zaghaften Warnung genötigt: Das wilde Vermischen von Genpools könne unabsehbare Folgen haben. Er zieht eine Parallele zu eingeschleppten Mikroben, Pflanzen oder Säugetierarten, die in unvorbereiteten Ökosystemen Verheerendes anrichten können.

Dawkins weiß, wovon er redet - er ist in den Siebzigern mit einem Buch namens "Das egoistische Gen" berühmt geworden. Zu Anfang des Gesprächs hat er gesagt: "Gene sind Information." Darauf aufbauend skizziert Venter nun eine Zukunft, in der genetische Information per E-Mail verschickt und beim Empfänger wieder zu einem Lebewesen zusammengebaut werden kann: "Wir können ein Chromosom jetzt schon im Labor rekonstruieren." Dem "Guardian" hatte Venter schon im vergangenen Oktober berichtet, er werde demnächst das erste vollständig künstliche Lebewesen erschaffen - nun führt er aus, wie er sich diese Zukunft vorstellt, in der Gene Software sind und Menschen nach Gutdünken Lebewesen nach ihren Wünschen schaffen. Was passiert, wenn diese Zuchtgene sich, frei nach Dawkins, allzu egoistisch verhalten sollten, bleibt ungefragt.

Während auf dem Podium diese unerhörte Konversation stattfindet, während ein gentechnologisch Radikaler und ein Vordenker der sich gerade vollziehenden wissenschaftlichen Revolution eine Zukunft inmitten von Designer-Wesen und DNA-Druckern ausmalen, unterhalten sich direkt daneben einige Web-Unternehmer und Venture-Kapitalisten lautstark über soziale Netzwerke und Verdienstmöglichkeiten. Neben den in Ehren ergrauten Herren auf der Bühne, sind sie es, die in diesem Moment ein bisschen farblos wirken - fast schon ein wenig gestrig.

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