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Elternzeit ist Reisezeit Traumtrip, gesponsert vom Staat

Vorteil für die Besserverdiener: Junge Familien mit ohnehin gutem Einkommen nutzen die vom Staat bezahlte Elternzeit oft für Reisen in ferne Länder. Hartz-IV-Empfänger dagegen sollen künftig auf Elterngeld verzichten. Ein plastisches Beispiel für die Ungerechtigkeit des schwarz-gelben Sparpakets.
Eltern in Berlin: 53 Prozent der Paare nehmen die Elternzeit zeitweise gemeinsam

Eltern in Berlin: 53 Prozent der Paare nehmen die Elternzeit zeitweise gemeinsam

Foto: DDP

Es geht mit dem VW-Bus quer durch Europa, mit dem Camping-Bus nach Chile, Kanada, in die USA. Oder man mietet sich ein Häuschen auf den Kanaren. Die Gelegenheit bietet sich schließlich nicht so oft: "Mein Freund bekommt sonst nie mehr als drei Wochen Urlaub am Stück", sagt eine junge Frau, die nach Australien will. So packen viele gut verdienende Anfang- und Mittdreißiger die Rucksäcke, brechen zu langen Reisen auf. Mit Partner und Baby.

Die Regelungen zum Elterngeld machen es möglich. 14 Monate wird die Lohnersatzleistung im Höchstfall gezahlt, dafür müssen aber beide Elternteile mitmachen. Mindestens zwei Monate muss auch der Partner Elternzeit nehmen. Ob er aber allein oder gemeinsam mit dem Partner zu Hause bleibt, ist egal.

Die Journalistin Inka Schmeling nutzte die Zeit deshalb und zog mit Mann, Kind und Rucksack los. Für die junge Familie ging es auf die Seidenstraße - aus dem Erlebnis wurde später ein Buch. Noch vor dem ersten Geburtstag sah Schmelings Sohn die Wüste, Istanbul und Teheran. Laufen lernte er in der Altstadt von Damaskus. Das schönste aber sei gewesen, so viel Zeit intensiv miteinander verbringen zu können, sagt Schmeling. "Das war für uns sehr, sehr gut." So kann Familienleben im Elterngeld-Deutschland aussehen.

Spitzenverdiener werden verschont

Anders ist es bei Eltern, die von Arbeitslosengeld II leben. Dann dreht sich das Familienleben oft um die Frage, ob ein neues Kinderbett noch drin ist - oder nicht. Und künftig sollen Hartz-IV-Familien auf den bisher geltenden Elterngeld-Mindestsatz von 300 Euro verzichten, so steht es im Sparprogramm der schwarz-gelben Bundesregierung. Das bedeutet herbe Einschnitte für Arbeitslose. Der Hartz-IV-Regelsatz für Kinder unter sechs Jahren, der dann noch bleibt, liegt bei 215 Euro.

"Das ist sehr ungerecht", findet auch Buch-Autorin Schmeling. Dabei sollen Berufstätige wie sie laut Sparplan ebenfalls verzichten. Doch im Vergleich erscheinen diese Einschnitte ziemlich harmlos: Väter oder Mütter, deren Nettoeinkommen 1240 Euro übersteigt, sollen künftig nur noch 65 statt 67 Prozent des Lohnes als Elterngeld erhalten. Der Höchstsatz von 1800 Euro bleibt sogar erhalten - Spitzenverdiener werden also komplett verschont.

Das offensichtliche Ungleichgewicht bei den Einsparungen ist der wohl deutlichste Beweis, wie ungerecht das Sparprogramm der Bundesregierung an manchen Stellen ist. Zumal das Elterngeld zumindest bislang seinen volkswirtschaftlichen Nutzen noch nicht unter Beweis gestellt hat. Derzeit ist es vor allem eins: ein Instrument, das jungen Familien in der anstrengenden ersten Zeit das Leben erleichtert.

Viele Väter nehmen die Babypause - und gehen dann arbeiten wie immer

Sicher: Jeder fünfte Papa nimmt sich mittlerweile eine Babypause, vor der Einführung des Elterngelds waren es nur 3,5 Prozent. Das sei der "besondere Erfolg" des Elterngelds, feiert Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) die Zahlen in der "Stuttgarter Zeitung". Doch welche Folgen hat das? Nach den zwei bis drei Monaten, die die neuen Väter im Schnitt pausieren, ist alles wie zuvor. Die Väter kehren fast vollzählig in die Arbeitswelt zurück. Vollzeit. Mütter nehmen dagegen durchschnittlich elf Monate Elternzeit in Anspruch. Und beenden damit nach wie vor oft ihre Karriere.

Die jüngste Evaluation des Bundesfamilienministeriums zum Elterngeld ist ernüchternd: Waren vor der Geburt immerhin 35 Prozent der befragten Frauen 35 Stunden oder mehr die Woche berufstätig, arbeiteten ein Jahr nach der Geburt nur fünf Prozent Vollzeit. Zwei Jahre nach der Geburt waren es acht Prozent.

Auch der Geburtenboom, den sich Ex-Familienministerin und Elterngeld-Vorkämpferin Ursula von der Leyen (CDU) erhoffte, ist bislang ausgeblieben. 2009 ist die Zahl der Geburten vorläufigen Zahlen zufolge weiter zurückgegangen. Stefan Fuchs, Verwaltungswissenschaftler aus Bonn, der gerade zum Thema Familienpolitik promoviert, ist überzeugt: Dieser Trend wird sich mit dem Elterngeld nicht umkehren lassen.

"Das Elterngeld wirkt auf keinen Fall geburtenfördernd, im Gegenteil", sagt Fuchs. Schon weil die Leistung sich am Einkommen bemesse, setze sie den Anreiz, möglichst spät Kinder in die Welt zu setzen. Außerdem kann jede Mutter bis 14 zählen. Nach 14 Monaten nämlich ist die Elterngeldzeit spätestens vorbei - und dann stellt sich die Frage, wo das Kind untergebracht werden kann, wenn beide Partner arbeiten gehen wollen.

Papaladen statt Stillcafé

Die Betreuungssituation in Deutschland ist nach wie vor schlecht, vor allem für Kleinkinder. Zwar soll ab 2013 ein gesetzlicher Anspruch auf einen Krippenplatz bestehen - doch der Vizepräsident des Deutschen Städtetags, Christian Ude (SPD), erklärte jüngst unverblümt: Die Zielmarke sei im Westen unerfüllbar. Die Kommunen kommen mit dem Ausbau nicht hinterher.

Völlig wirkungslos blieb das Elterngeld freilich nicht. 48 Prozent der Mütter, die für die Evaluation des Familienministeriums befragt wurden, bescheinigten einen psychologischen Effekt, weil sich die Bindung zwischen Vater und Kind intensiviere. Zwei Drittel stellten fest, dass der Partner ohne die Elterngeldmonate weniger Zeit mit dem Kind verbracht hätte. Auch wenn der Partner nach der Auszeit wieder arbeiten ging, beteiligte er sich weiterhin stark an der Erziehung.

Augenfällig wird der Mentalitätswandel im Berliner Babyboomer-Bezirk Prenzlauer Berg, wo es neben verschiedenen Kinder- und Stillcafés seit längerem nun auch einen "Papaladen" gibt. Dort treffen sich nicht nur Väter, die Elternzeit machen mit ihren Kindern - auch für Papas mit älteren Kindern ist das Café bestens ausgestattet. Es gibt eine Carrera-Bahn und Feuerwehrautos, Schwertkämpfe und Zeltlager werden angeboten. Und es ist sehr oft sehr voll.

"Im Alttag lebt man mit Baby oft aneinander vorbei"

"Das Elterngeld ist ein Anfang", lautet das Fazit von Buchautorin Schmeling. Weil sich das Denken wandle. Die Zeit, in der sich die Rollenverteilung in ihrer Familie am stärksten veränderte, sei die gewesen, als ihr Mann nach der gemeinsamen Reise allein mit dem Kind zu Hause blieb. "Es war für uns beide wichtig, dass er auch mal ganz allein die Verantwortung getragen hat", sagt Schmeling. Schmelings Mann arbeitet heute nur noch 80 Prozent.

Die gemeinsame Reisezeit sei "wahnsinniger Luxus" gewesen, sagt Schmeling außerdem. "Frau von der Leyen hat uns Zeit geschenkt." Im stressigen Alltag lebe man mit Baby "sehr oft aneinander vorbei".

Diese geschenkte Zeit nehmen sich viele Paare, rund 53 Prozent der Elterngeldbezieher setzen zumindest zeitweise gemeinsam aus. Im Schnitt für zwei Monate. Wie viele davon letztlich in die Ferne ziehen, ist nicht belegt - und nach Meinung des Bundesfamilienministeriums auch unwichtig. Das Elterngeld ermögliche es "beiden Elternteilen, ihre Verantwortung für Kinder wahrzunehmen und sich gemeinsam Zeit zu nehmen", erklärt ein Ministeriumssprecher. Wo das geschehe und ob nacheinander oder gemeinsam, sei unerheblich. Viele Eltern blieben etwa direkt nach der Geburt erst einmal zusammen zu Hause, um die ungewohnte und anstrengende Situation zu zweit zu meistern.

"Jedes sechste Kind wächst in Armut auf"

Einen Schonraum bietet das Elterngeld also. Es ist gut, wenn ein Staat sich das leisten kann. Doch dieser Luxus kostet viel Geld. Mehr als vier Milliarden Euro im Jahr muss Familienministerin Schröder für das Elterngeld einrechnen - das sind mehr als zwei Drittel ihres gesamten Budgets. Auf den Meinungsseiten der "Berliner Morgenpost" und der "Welt" forderte die Journalistin Susanne Leinemann deshalb kürzlich, das Elterngeld abzuschaffen. "Elterngeld ist ein Luxus, den man sich leisten kann, wenn die Wirtschaft gut läuft", findet die Autorin, die selbst Kinder hat.

Man kann dagegen argumentieren, dass ein gesellschaftlicher Wandel sich nicht von heute auf morgen vollzieht. Dass das Elterngeld einfach Zeit braucht, um zu wirken. Erste Anzeichen, die Hoffnung machen, gibt es. Die in den vergangenen Monaten wieder leicht ansteigende Geburtenrate etwa. Oder eine Studie der Uni Greifswald, wonach der Wille zum zweiten Kind bei besser ausgebildeten Müttern größer geworden ist. Das Untersuchungsergebnis gilt freilich nur für drei Städte in Vorpommern, aber immerhin.

Das Elterngeld war zudem nie sozialpolitisch gemeint. Es ist ein Lohnersatz, der nicht umverteilen, sondern die Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern sollte. "Arbeitslose haben keinen Anspruch auf Lohnersatzleistungen", begründet denn auch Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) die geplanten Einschnitte für Arbeitlosengeld-II-Empfänger in der "Stuttgarter Zeitung".

Doch Arbeitslose sind beim Sparprogramm nicht nur in dieser Kategorie die Verlierer. Allein 30 Milliarden Euro sollen bei den Sozialausgaben gekürzt werden. Wer am Elterngeld festhält, darf die Warnungen von Soziologen und Kirchenvertretern deshalb nicht ignorieren. Sie sehen die Gesellschaft immer weiter auseinanderdriften. Margot Käßmann, die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, empörte sich kürzlich im SPIEGEL-Interview: "Jedes sechste Kind wächst in Armut heran."

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