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"Geißeln der Talkshows": Gerhart Baum Der ewige Gewissenswurm der FDP

Sie können einfach nicht loslassen und brauchen die große Bühne: Viele Politiker drängt es noch lange nach ihrer aktiven Zeit ins Fernsehen, wo sie den großen Welterklärer geben. In einer neuen Serie stellt stern.de sechs Geißeln der Talkshows vor. Den Auftakt macht Ex-Innenminister Gerhart Baum.
Von Wolfgang Röhl

Gerhart Baum, 77, war mal Minister. Genauer gesagt - die Alten erzählen manchmal noch davon - Innenminister der sozialliberalen Koalition. Er war einer der bestaussehenden Minister, den die Republik je hatte, und das wusste er auch. Attraktive kurze Locken, markantes Kinn, energischer Mund, mitreißende Rede - er hätte glatt beim Fernsehen anfangen können, Abteilung Sonnntagabendfilm im ZDF.

Außerdem war er total liberal, sozusagen der Anti-Schily. Entkernte den Extremistenbeschluss der SPD, diskutierte öffentlich mit Horst Mahler und anderen Widerstandskämpfern, mahnte immer wieder "Mut zu Reformen" an. Marktwirtschaft plus Bürgerrechte, das war sein Ding! Die Wählerinnnen lagen ihm zu Füßen. Leider geriet seine Amtszeit (1978 - 1982) innenpolitisch etwas unruhig. Viele wünschten sich da denn doch einen Innenminister, der nicht geschwollen daherredete, sondern straff handelte. Als seine Partei die Koalition mit der SPD platzen ließ, verschwand auch Baum von der großen Bühne.

G. wie Gewissen

In seiner eigenen Partei hatte er ab den 90er Jahren nicht mehr viel zu melden. Jobs wie der als "Menschenrechtsexperte für die KSZE-Gremien", Sprecher der "Privatinitiative Kunst (PIK)" oder Dozent an einem Kolloquium der Uni Bonn (Thema: "Philosophie und Freiheit") vermochten das Vakuum nicht aufzufüllen. Damals begann sein langer Marsch durch die Talkshows, als ewiger Gewissenswurm der FDP. Schließlich nennen ihn seine Bewunderer nicht umsonst Gerhart "G." Baum, G. wie Gewissen. Er ist, ob sie das nun wünscht oder nicht, das Über-Ich seiner Partei. Zum Beispiel "das juristische G. der FDP" (stern), "das sozialliberale G. der FDP" (WDR) oder "das linke G. der FDP" (RBB). Ein Mann für gewisse Stunden, sozusagen. Obschon, genau betrachtet, er und die heutige FDP ungefähr so viel miteinander zu tun haben wie Leberkäse mit Leber und Käse. Beziehungsweise die Royal Air Force mit der RAF.

Apropos RAF. Einen Teil der regen Nachfrage seitens der Talkshow-Szene verdankt Baum seinem unermüdlichen Einsatz für die Resozialisierung irregeleiteter Kämpfer, etwa der von ihm warm beflüsterte RAF-Aussteiger Peter Jürgen Boock. Als "größter privater Versöhner zwischen Staat und RAF", wie ihn ein Kritiker mal definierte, erregt er schon mal den Unmut von Leuten, die auf Terroristen nicht so gut zu sprechen sind. Setzt man Baum etwa mit Michael Buback, dem Sohn des von der RAF ermordeten Generalbundesanwaltes Manfred Buback, zusammen ins Talkshowstudio, darf man darauf hoffen, dass es alsbald gewaltig Putz gibt.

Der Lordsiegelbewahrer des Grundgesetzes

Der Fundamentalliberale Baum plustert sich dann regelmäßig zum Lordsiegelbewahrer des reinen, wahren Grundgesetzes auf und belehrt jedermann coram publico - Angehörige der Opfer und Davongekommene des Terrors wie den "Landshut"-Kopiloten Jürgen Vietor eingeschlossen -, dass in Deutschland die lebenslange Freiheitsstrafe abgeschafft sei, auch Mördern somit nach einer bestimmten Haftzeit eine zweite Chance zustehe und so fort. Unstrittige Fakten, die Baum aber durch den Furor, mit dem er sie vorträgt, als akut bedroht dar stellt. So, als sei die Wiedereinführung der Todesstrafe in Deutschland nur eine Frage von Tagen.

Wenn er von seinem ehemaligen Mentor Hans-Dietrich Genscher etwas gelernt hat, dann dies: "Er hat zu mir gesagt, wenn Sie in ein Interview gehen, müssen Sie sich vornehmen, etwas zu sagen, unabhängig davon, was Sie gefragt werden." Baum kann zu vielem was sagen, wenn der Fernsehabend lang ist. Als Datenschützer etwa zum Thema "Entblößen im Netz" (Frank Plasberg) oder - jüngstes Beispiel - zum Thema "Zocken, spekulieren, abkassieren - haben Banker aus der Krise nichts gelernt?" (Anne Will). In der Sendung zum Thema "Darf der Staat im Angriffsfall Passagierflugzeuge abschießen?" haute er kräftig auf die Gewisenspauke: "Das Opfern von Menschen widerspricht unserer Verfassung." Ein Glück, dass das endlich mal einer klarstellt! Wir dachten schon, bei uns geht's zu wie bei den ollen Azteken.

"Der beste Innenminister, den wir je hatten"

Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit - und daran anknüpfende Talkshow-Präsenzen - generiert der "Urliberale" auch immer wieder mal mittels Verfassungsbeschwerden (etwa gegen die akustische Wohnraumüberwachung) oder höchstgerichtlichen Klagen, wie gegen die Online-Durchsuchung von Computern. Den damit verbundenen Aufwand zweitverwertet er in Büchern wie "Rettet die Grundrechte! Bürgerfreiheit gegen Sicherheitswahn", welche dann wiederum bei Talkshow-Auftritten beworben werden können.

Ein geniales, sich selbst unterhaltendes System, durch das "der beste Innenminister, den wir je hatten" (Heinrich Böll) komplett autark geworden ist. 1992 barmte der "Süddeutsche Zeitung"-Redakteur Heribert Prantl, ein naher Geistesverwandter von Baum, Leute wie der Ex-Minister seien in ihrer Partei "kaltgestellt (...), keiner hört mehr auf sie." Welch ein Irrtum! Wortgewaltiger und wirkungsmächtiger ist G. G. Baum nie gewesen, denn als regelmäßiger Beigeordneter im feierabendlichen Staatsfernsehenparlament. Manchmal kommen sie eben wieder.

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