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Justizposse in Brandenburg Der verschwundene Schatz von Artur T.

Er wollte im großen Stil sogenannte Seltene Erden verkaufen, dafür wanderte Artur T. ins Gefängnis. Jetzt schlägt der gebürtige Pole zurück und verlangt vom Land Brandenburg Schadensersatz in Millionenhöhe. Angeblich haben die Behörden seinen beschlagnahmten Metallschatz zu Unrecht verkauft.

Als die Fahnder das erste Mal von der Sache hören, trauen sie ihren Ohren nicht. Es sei ein Riesending, es ginge um Millionen, heißt es damals, im Jahr 1999. Ein Pole wolle in Berlin "eine mehrere Tonnen umfassende Partie Seltener Erden" an den Mann bringen. Die Ermittler sind begeistert. Normalerweise werden Seltene Erden nur im Grammbereich gehandelt. Wert des angeblichen Rohstoffschatzes des Polen, so wird es der Zoll später feststellen: umgerechnet über acht Millionen Euro.

Lanthan, Europium, Neodym und 14 weitere Metalle umfasst die Gruppe der Seltenen Erden. Für die Produktion von Computern, Akkus, Hybrid-Autos, Handys und Rüstungsgütern sind die Stoffe unverzichtbar. Der Verkäufer, Artur T., lebt inzwischen wieder in Nordpolen. Er ist verhaftet und wegen des Deals verurteilt worden, saß im Knast. Seinen Anwälten gelang ein kompliziertes Wiederaufnahmeverfahren, T. wurde schließlich freigesprochen. Und während des ganzen juristischen Hickhacks verloren Staatsanwaltschaft und Zoll den Überblick - was jetzt für das Land Brandenburg teuer werden könnte.

Die Ermittler hatten die damals beschlagnahmten Seltenen Erden verkauft. Statt für ein paar Millionen jedoch nur für ein paar tausend Euro. Ein möglicherweise fataler Fehler. T.s Berliner Anwalt Lutz Beyer verlangt jetzt acht Millionen Euro plus Zinsen als Schadensersatz. Ein Urteil des Potsdamer Landgerichts steht noch aus.

Viele Geschäfte werden in Hinterzimmern abgewickelt

Rückblende: T. handelt im Oktober 1999 nicht allein. Partner in dem Geschäft ist ein Berliner Galerist. Im Keller der Galerie unweit der Berliner Kantstrasse lagern fünf Tonnen Seltene Erden. Vakuumverpackt und ordentlich verplombt in 200 grünen Kisten. Die Inhaltsangaben sind auf Russisch. Wie die Ladung hierhergekommen ist, lässt sich heute nicht mehr genau klären.

T. schlägt der Galerist vor, die Metalle zu verkaufen. Er hofft auf eine ordentliche Provision. Er bietet die Seltenen Erden in der Import- und Exportszene der Hauptstadt für 3,5 Millionen Mark an. Viel Geld auch in der Halbwelt rund um die Berliner Kantstrasse. Hier haben sich seit dem Fall der Mauer allerlei Geschäftemacher mit guten Kontakten nach Osteuropa niedergelassen. Ein Paralleluniversum, in dem russisch, polnisch und nur selten deutsch gesprochen wird. Viele Geschäfte werden in Hinterzimmern abgewickelt, manchmal stehen Männer mit Pumpguns an der Tür. Man kennt sich, doch vertraut sich nur selten.

Schon bald meldet sich ein gewisser Darek bei Artur T.: Er kenne Leute, die großes Interesse an den Erden hätten und auch das nötige Kleingeld. Was T. nicht ahnt: Darek ist eine Vertrauensperson (VP) der Zollfahndung Brandenburg.

Am 9. Mai 2000 übergibt T. in einem Potsdamer Einkaufscenter eine Materialprobe. Er ist vorsichtig. Über die Herkunft der anscheinend sehr begehrten Kisten samt Inhalt will er sich keine Gedanken gemacht haben. Doch T. ist misstrauisch: Er sei von fünf Autos beschattet worden, berichtet er V-Mann Darek. Darek kann ihn beruhigen, alles sei in Ordnung.

Am 6. Juni 2000 treffen sich die Verkäufer mit Darek im Hotel "Sol-Inn" in Michendorf bei Potsdam. Der Galerist und Artur T. lassen sich das Geld zeigen, 3,6 Millionen Mark in 1000-DM-Scheinen. Als die Seltenen Erden in dem brandenburgischen Ort eintreffen, schlagen die Fahnder zu. 96 weitere grüne Kisten finden sich bei der anschließenden Durchsuchung im Keller der Galerie. Alles wird beschlagnahmt, auch T.s fünf Jahre alter VW Passat (286 PS) wird zum Beweismittel. Damaliger Marktwert: rund 10.000 Euro.

Folgenschwerer Irrtum

Am 18. Oktober 2000 wird ein erstes Urteil gegen T. gefällt: zwei Jahre auf Bewährung wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei. Der Zoll hat den Gesamtwert der Seltenen Erden mit knapp 16 Millionen Mark angegeben. Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass T. einen Steuerschaden von 1.121.112,21 DM verursacht hat. Das Verfahren gegen seinen Partner, den Galeristen, wird wegen Geringfügigkeit eingestellt.

In seiner Beweisführung verlässt sich die Staatsanwaltschaft damals auf Aussagen der Bundesfinanzverwaltung in Frankfurt am Main. Demnach wird jede zollpflichtige Einfuhr erfasst, nachlesbar in der Statistik des Deutschen Gebrauchszolltarifs. Da die grünen Kisten aus der Galerie nicht verzeichnet waren, mussten sie also illegal nach Deutschland eingeführt worden sein. Ein folgenschwerer Irrtum.

Denn in einem Vermerk des Zollfahndungsamts vom 1. März 2001 heißt es, dass die Bundesfinanzverwaltung lediglich Daten eines speziellen Zoll-Erfassungssystems verarbeitet. Zum Tatzeitpunkt war an dieses System aber nur der Flughafen Tegel angeschlossen. Daher hätten die Seltenen Erden auch über einen der anderen zahlreichen Grenzübergänge in Brandenburg eingeführt werden können, ohne zentral registriert zu werden. Die Staatsanwaltschaft kann nicht belegen, dass die Waren illegal eingeführt worden waren.

Im November 2002 erreichen T.s Anwälte die Wiederaufnahme des Verfahrens. "Die Strafvollstreckung aus dem Urteil wird aufgehoben", so das zuständige Amtsgericht. Die grünen Kisten mit den Seltenen Erden und der VW Passat dürfen also nicht zugunsten der Staatskasse verkauft werden. Das Verfahren zieht sich hin. Am 25. April 2006, fast sechs Jahre nach dem geplatzten Verkauf in Michendorf, wird T. freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft konnte ihm nicht nachweisen, dass die Kisten nie versteuert worden waren. Im Zweifel für den Angeklagten.

Als T. seinen Passat zurückhaben will, teilen ihm die zuständigen Behörden mit, dass der längst verkauft sei: für 195 Euro an einen Autohändler im Oldenburger Land. Der Betrag liegt rund 10.000 Euro unter dem Zeitwert. Bei den Seltenen Erden ist die Sache noch dramatischer. In einem Schreiben wird T.s Anwalt von der Staatsanwaltschaft informiert, dass man nach den Asservaten erst mal suchen müsse. Wer sei denn überhaupt der Besitzer der Kisten? Erstaunlich bei Waren, die laut Zollgutachten einen Wert von acht Millionen Euro haben.

Monate später. Der Anwalt fragt erneut telefonisch und schriftlich nach. Dann eine neue Auskunft: Alles ist weg, verkauft an einen Händler in Lübeck. Schriftlich festgehalten in einem Abschlussvermerk des Zolls. Zum Preis von exakt 7065 Euro. Seit mittlerweile vier Jahren versucht T.s neuer Anwalt Lutz Beyer Schadensersatzansprüche gegen das Land Brandenburg durchzusetzen. Ohne Erfolg. Immer wieder werden angekündigte Entscheidungen des Landgerichts verschoben. Zu groß ist der wohl drohende Schaden für die Landeskasse. Angeblich soll es in den nächsten Tagen eine Entscheidung geben.