R. Schmid: Geschichte im Dienst der Stadt

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Titel
Geschichte im Dienst der Stadt. Amtliche Historie und Politik im Spätmittelalter


Autor(en)
Schmid, Regula
Erschienen
Zürich 2009: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
357 S.
Preis
€ 42,00
Rezensiert für Clio-online und H-Soz-Kult von:
Karsten Igel, Historisches Seminar, Universität Münster

Die Instrumentalisierung von Geschichte als Argument zur Rechtfertigung politischen wie militärischen Handelns lässt sich vom ceterum censeo Catos des Älteren bis zur Diskussion um die deutschen Kampfeinsätze der letzten Dekade verfolgen. Auf diesen Aspekt, wenn auch für das Spätmittelalter und die Frühe Neuzeit, ist auch die hier vorzustellende Arbeit von Regula Schmid, ihre Zürcher Habilitationsschrift, fokussiert. Ist das betrachtete Phänomen wie auch die Untersuchung der Funktionen von Geschichtsschreibung keineswegs neu1, so ist es doch der darauf zielende Blick auf die fünf eidgenössischen Kommunen Freiburg, Bern, Luzern, Zürich und Basel und deren Formen und Gebrauch von amtlicher Historie. In ihrer politischen Stellung ähnlich, innerhalb der Eidgenossenschaft verbunden, aber auch miteinander konkurrierend und im Zuge der Reformation auf beiden Seiten zu finden, bieten die ausgewählten Städte eine gute Vergleichsebene, um die Formen, Funktionen und Nutzungen amtlicher Historie zwischen 1350 und 1550 zu betrachten. Die Untersuchung ihres politischen Gebrauchs spitzt Regula Schmid auf den Konflikt zwischen altgläubiger und protestantischer Seite in den Jahren 1528-31 zu, in dessen Zuge und Nachwirken im reformierten Bern, dem katholischen Luzern und der hier hinzugenommenen, ebenfalls altgläubigen und unmittelbar involvierten Talschaft Unterwalden eine dichte Reihe amtlicher Historien entstanden.

Amtliche Historien, also Darstellungen von Geschichte, an deren Entstehung, Existenz und Nutzung ein ausdrückliches Interesse der städtischen Regierung bestand, konnten vielfältiger Natur sein: in der Geschichtsschreibung vor allem Chroniken, die vom Rat beauftragt oder diesem – in der Hoffnung auf soziale und wirtschaftliche Anerkennung – gewidmet wurden, aber auch die Stadtbuchchronistik, also historische Ereignisschilderungen, die vom städtischen Schreiber in die amtlichen Stadtbücher eingetragen wurden. Eine besondere Berücksichtigung finden die Bilderchroniken, unter denen mit der Berner Chronik Diepold Schillings das herausragende Beispiel aus dem betrachteten Raum stammt, das zugleich in Form von Entstehung, Übergabe an den Rat und Verwahrung im Gewölbe des Rathauses als amtliche Historie par excellence dasteht. Sah Diepold Schilling 1483 den Wert der reichen Bebilderung noch in der Unterhaltung, Ergötzung des Betrachters, so gewann in den folgenden Jahrzehnten der Informationswert der Illustrationen als Ergänzung des Textes an Bedeutung. Im Schnittbereich von Mündlichkeit und Schriftlichkeit standen politische Ereignislieder, deren Wertschätzung und Gebrauch sich unter anderem in den Stadtrechnungen spiegeln. Im öffentlichen Raum trat die Historie schließlich mit Historienbildern und Inschriften in Erscheinung, wobei im Vergleich von Fassadeninschriften und Bildern in Ratssälen sicherlich von einer unterschiedlichen Zugänglichkeit und Abstufung von Öffentlichkeit ausgegangen werden muss. Entsprechend dieser breiten schriftlichen wie dinglichen Quellenbasis amtlicher Historie, die zudem durch die Heranziehung weiterer Quellen – wie der gerade auch in diesem Zusammenhang ertragreichen Stadtrechnungen – erschlossen wird, nimmt der erste Teil zu den Erscheinungsformen amtlicher Historie den größten Raum innerhalb des Bandes ein.

Der zweite Hauptteil wendet sich auf der Basis des zuvor ausführlich vorgestellten und diskutierten Quellenkorpus den Funktionen der amtlichen Historie zu. Bei deren Untersuchung treten drei Fragerichtungen in den Mittelpunkt: Die Intentionen, die hinter der Entstehung amtlich beförderter Geschichtswerke standen und mit deren Eigenschaften, insbesondere der ihnen eigenen Wahrheitsunterstellung, verbunden waren; dann die Umstände der Entstehung, vor allem im Blick auf die dahinter stehenden Personengruppen, und schließlich die Verwendung der Historien durch die Regierung, also als Mittel politischen Handelns. Zeichen für die Wahrheit sind die Anführung genauer Datierung und der Autorität der Alten, deren Augenzeugenschaft und Schriften für diese bürgen. Im 15. Jahrhundert treten dazu zunehmend der Bezug auf lokale Autoritäten, wie die am Entstehungsprozess beteiligten Ratsherren, im Archiv eingesehene Schriftstücke, aber auch die baulichen Zeugnisse in der Stadt, in den Vordergrund. Eine Bestätigung und damit auch geradezu ihren amtlichen Charakter erhielten die Chroniken mit der Durchsicht und zum Teil auch mit ihrer Korrektur durch den Rat. Gleiches gilt ebenso für die Historienbilder, deren Wahrheitsgehalt von dem eingebundenen Text, den Legenden zu den dargestellten Ereignissen und Orten garantiert wird. Auch hier kann im Falle einer Solothurner Darstellung der Schlacht von Dornach die Einflussnahme des Rates und zudem anderer Städte auf den Bildinhalt dargestellt werden. Wirkte der Rat so auf die Inhalte mit ein, so waren die Verfasser zwar bei den chronikalischen Nachrichten in den Stadtbüchern naheliegend die Stadtschreiber selbst, bei den eigentlichen Stadtchroniken, schon mangels müßiger Zeit, in der Regel jedoch nicht. Für deren Autoren waren ihre Werke vielmehr auch ein Vehikel einer gewünschten Anerkennung in Verbindung mit einem sozialen wie wirtschaftlichen Aufstieg.

Die Bedeutung der Erinnerung historischer Ereignisse in Form der amtlichen Historie liegt in ihrem Gegenwartsbezug, sei die Selbstvergewisserung der städtischen Stellung, aber auch die Schilderung gesellschaftlicher wie städtischer Handlungen, von Herrscherempfängen mit genauer Ausführung des zeremoniellen Ablaufs, der Geschenke und Kosten – in diesem Zusammenhang kam den Stadtchroniken, besonders der Stadtbuchchronistik, durchaus auch die Funktion eines Zeremonienbuches zu. Ähnliches gilt für die Beschreibung von Kriegszügen und Schlachten oder Krisenzeiten, die Geschichte sollte hier in der Tat lehren, Handlungsanweisungen geben. Zugleich zeigt sich auch hierin, dass historische Erinnerung auch in der Erzählung tatsächlicher Geschehnisse ein Konstrukt ist, bestimmte Ereignisse und Personen besonders hervorgehoben werden.

Auf den 1528 erfolgten, militärisch glimpflich verlaufenen, Zug Unterwaldens gegen Bern reagierten Bern und Zürich mit dem Plan, eine Schilderung dieser Vorgänge in den Druck zu bringen und so die Unterwalder als bundesbrüchig darzustellen. Statt des Druckwerks wurde dann allerdings die Stadtchronik Schillings fortgeschrieben, statt öffentlicher Verbreitung blieb die Schilderung so in der Obhut des Rates. Eingang fand die Argumentation mit historischen Ereignissen, gerade im Blick auf die Bundesfrage, hingegen in die verschiedenen Klageschriften auf beiden Seiten, die zum Teil als Flugschriften verbreitet wurden. Ausgehend von den dazu notwendigen Vorarbeiten entstand, wohl eher aus Eigeninitiative, auf katholischer Seite die Reformationschronik Hans Salats, die ihren Weg in die beteiligten altgläubigen Orte fand. Hinzu kam, dass mit dem Landfrieden von 1531/32 zur Friedenswahrung die Veröffentlichung der Kriegsanlässe verboten wurde. Die amtliche Historie in Form der Chroniken blieb so in den Händen der Führungsgruppen, diente der Selbstvergewisserung und als Materialsammlung für die politische Argumentation, nicht aber dieser unmittelbar. Vielmehr blieb, wie Regula Schmid feststellt, die Anführung historischer Inhalte in der politischen Kommunikation selten, üblich war vielmehr die allgemeine Berufung auf das „gute Alte“.

Jenseits dieses detailliert vorgestellten Konfliktes der Jahre 1528-31 stellt sich natürlich die weitergehende Frage, wie weit die verschiedenen, auch öffentlich wahrnehmbaren Medien amtlicher Historie, wie Inschriften, Historienbilder und vor allem auch Lieder, jenseits der örtlichen Führungsschicht Teil eines öffentlichen Diskurses waren. Ein Problem, wie die Verfasserin auch selbst bekundet, liegt hier natürlich in der nur fragmentarischen Überlieferung ihrer verschiedenen Formen und mehr noch der zur Erforschung ihrer Rezeption notwendigen Quellen. Dies ändert aber natürlich nichts daran, dass Regula Schmid mit der „Geschichte im Dienst der Stadt“ eine grundlegende und zudem gut strukturierte Arbeit vorgelegt hat, die zu weiteren Forschungen zur städtischen Geschichtsschreibung und deren Bedeutung im politischen Diskurs im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit auffordert!

Anmerkung:
1 Siehe dazu Hans Patze (Hrsg.), Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im späten Mittelalter, Sigmaringen 1987; Peter Johanek (Hrsg.), Städtische Geschichtsschreibung im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, Köln 2000.

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