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SPIEGEL-Gespräch mit Ahmadinedschad "Wir sind entschlossen"

Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad über den Holocaust, die Zukunft des Staates Israel, über Fehler Amerikas im Irak und Teherans Anspruch auf Nuklearenergie.

SPIEGEL: Herr Präsident, Sie sind Fußballfan und spielen selbst gern Fußball. Wenn die iranische Nationalmannschaft am 11. Juni in Deutschland gegen Mexiko spielt, werden Sie dann in Nürnberg im Stadion sitzen?

Ahmadinedschad: Das kommt darauf an. Ich werde mir das Spiel natürlich in jedem Fall anschauen, aber ob zu Hause vor dem Fernseher oder anderswo, weiß ich noch nicht. Meine Entscheidung hängt von vielerlei ab.

SPIEGEL: Zum Beispiel?

Ahmadinedschad: Wie viel Zeit ich habe, wie manche Beziehungen sind, ob ich dazu Lust habe und manches mehr.

SPIEGEL: Es hat in Deutschland große Ent- rüstung gegeben, als bekannt wurde, dass Sie womöglich zur Fußballweltmeisterschaft kommen werden. Hat Sie das überrascht?

Ahmadinedschad: Nein, das ist nicht wichtig, ich habe gar nicht verstanden, wie das zustande kam. Es hatte für mich auch keine Bedeutung. Ich kann diese ganze Aufregung nicht verstehen.

SPIEGEL: Sie hat mit Ihren Bemerkungen über den Holocaust zu tun. Dass der iranische Präsident den systematischen Mord der Deutschen an den Juden leugnet, löst zwangsläufig Empörung aus.

Ahmadinedschad: Ich verstehe den Zusammenhang nicht genau.

SPIEGEL: Erst machen Sie Ihre Bemerkungen über den Holocaust, dann kommt die Nachricht, Sie reisen eventuell nach Deutschland - das sorgt für Aufregung. Also waren Sie doch überrascht?

Ahmadinedschad: Nein, in keiner Weise, denn das Netzwerk des Zionismus ist weltweit sehr aktiv, auch in Europa, daher habe ich mich nicht gewundert. Wir haben das deutsche Volk als Ansprechpartner gesehen. Mit Zionisten haben wir nichts zu tun.

SPIEGEL: Das Leugnen des Holocaust steht in Deutschland unter Strafe. Ist es Ihnen gleichgültig, wenn Ihnen Entrüstung entgegenschlägt?

Ahmadinedschad: Ich weiß, dass der SPIEGEL ein renommiertes Magazin ist, aber ich weiß nicht, ob Sie die Möglichkeit haben, die Wahrheit über den Holocaust zu veröffentlichen. Sind Sie befugt, alles darüber zu schreiben?

SPIEGEL: Ganz sicher sind wir befugt, über die Erkenntnisse der historischen Forschung in den letzten 60 Jahren zu schreiben. Aus unserer Sicht besteht kein Zweifel daran, dass die Deutschen - leider - an der Ermordung von sechs Millionen Juden die Schuld tragen.

Ahmadinedschad: Nun, dann haben wir eine ganz konkrete Diskussion angeregt. Wir stellen zwei klare Fragen. Die erste lautet: Hat sich der Holocaust wirklich ereignet? Sie bejahen diese Frage. Also lautet die zweite Frage: Wer trägt die Schuld daran? Die Antwort darauf muss in Europa gefunden werden und nicht in Palästina. Es ist doch ganz klar: Wenn der Holocaust in Europa passiert ist, dann muss man die Antwort darauf ebenfalls in Europa finden. Andererseits: Wenn der Holocaust nicht passiert ist, warum ist dann dieses Besatzerregime ...

SPIEGEL: ... Sie meinen den Staat Israel ...

Ahmadinedschad: ... zustande gekommen? Warum verpflichten sich die europäischen Länder, dieses Regime zu verteidigen? Erlauben Sie mir, noch auf einen weiteren Punkt einzugehen. Wir sind der Meinung, wenn eine historische Begebenheit der Wahrheit entspricht, wird diese Wahrheit umso mehr ans Tageslicht kommen, je mehr danach geforscht und darüber gesprochen wird.

SPIEGEL: Das ist in Deutschland längst geschehen.

Ahmadinedschad: Wir wollen den Holocaust weder bestätigen noch leugnen. Wir sind gegen jede Art von Verbrechen an jedwedem Volk, aber wir wollen wissen, ob dieses Verbrechen wirklich geschehen ist oder nicht. Wenn ja, dann müssen diejenigen bestraft werden, die dafür die Verantwortung tragen, und nicht die Palästinenser. Warum ist es nicht erlaubt, über eine Tatsache zu forschen, die vor 60 Jahren passiert ist? Dabei sind andere historische Ereignisse, die zum Teil mehrere tausend Jahre zurückliegen, für die Forschung freigegeben, und auch die Regierungen unterstützen sie.

SPIEGEL: Herr Präsident, mit Verlaub, der Holocaust hat stattgefunden, es gab Konzentrationslager, es gibt Akten über die Vernichtung der Juden, es ist viel geforscht worden, und es gibt nicht den geringsten Zweifel am Holocaust und auch nicht an der Tatsache, dass die Deutschen - wir bedauern das sehr - dafür verantwortlich sind. Wenn wir noch eines ergänzen dürfen: Das Schicksal der Palästinenser wiederum ist eine ganz andere Frage, und sie bringt uns in die Gegenwart.

Ahmadinedschad: Nein, nein, die Wurzeln des Palästina-Konflikts sind in der Geschichte zu suchen. Der Holocaust und Palästina stehen in direkter Verbindung zueinander. Und wenn es den Holocaust wirklich gegeben hat, dann erlauben Sie doch, dass unparteiische Gruppen aus aller Welt forschen. Warum beschränken Sie die Forschung auf eine bestimmte Gruppe? Ich meine natürlich nicht Sie, sondern die europäischen Regierungen.

SPIEGEL: Bleiben Sie dabei, dass der Holocaust nur "ein Mythos" sei?

Ahmadinedschad: Ich akzeptiere nur dann etwas als Wahrheit, wenn ich wirklich überzeugt bin.

SPIEGEL: Obwohl alle westlichen Wissenschaftler keinen Zweifel am Holocaust hegen?

Ahmadinedschad: In Europa gibt es dazu doch zwei Meinungen. Eine Gruppe Wissenschaftler oder Personen, die meistens politisch motiviert sind, sagen, dass der Holocaust geschehen ist. Dann gibt es aber die Gruppe jener Wissenschaftler, die eine gegenteilige Auffassung vertreten und deshalb zum größten Teil inhaftiert sind. Also muss eine unparteiische Gruppe kommen, um nachzuforschen und eine Stellungnahme abzugeben zu diesem sehr wichtigen Thema. Denn die Klärung dieser Frage trägt zur Lösung von Weltproblemen bei. Unter dem Vorwand des Holocaust fand weltweit eine sehr starke Polarisierung und Frontenbildung statt. Deshalb wäre es sehr gut, wenn eine internationale und unparteiische Gruppe der Sache nachginge, um ein für alle Mal Klarheit zu schaffen. Normalerweise fördern und unterstützen Regierungen die Arbeit der Forscher über historische Ereignisse und stecken sie nicht ins Gefängnis.

SPIEGEL: Wer soll das sein, welche Forscher meinen Sie?

Ahmadinedschad: Das wissen Sie besser als ich, Sie haben die Liste. Es sind Leute aus England, aus Deutschland, Frankreich und aus Australien.

SPIEGEL: Vermutlich meinen Sie zum Beispiel den Briten David Irving, den Deutsch-Kanadier Ernst Zündel, der in Mannheim vor Gericht steht, und den Franzosen Georges Theil, die allesamt den Holocaust leugnen.

Ahmadinedschad: Allein die Tatsache, dass meine Äußerungen zu solchen heftigen Protesten geführt haben, obwohl ich kein Europäer bin, und auch die Tatsache, dass ich mit gewissen Personen in der deutschen Geschichte verglichen werde, deutet darauf hin, wie konfliktgeladen in Ihrem Land die Atmosphäre für Forscher ist. Hier in Iran können Sie unbesorgt sein.

SPIEGEL: Nun führen wir diese historische Debatte mit Ihnen aus durchaus aktuellem Anlass. Stellen Sie Israels Existenzrecht in Abrede?

Ahmadinedschad: Schauen Sie, meine Ansichten sind ganz klar. Wir sagen, wenn der Holocaust passiert ist, dann muss Europa die Konsequenzen ziehen und nicht Palästina dafür den Preis zahlen. Wenn er nicht passiert ist, dann müssen die Juden dahin zurückkehren, wo sie hergekommen sind. Ich glaube, dass heute auch das deutsche Volk der Gefangene des Holocaust ist. Im Zweiten Weltkrieg sind 60 Millionen Menschen gefallen, der Zweite Weltkrieg war ein riesiges Verbrechen. Wir verurteilen all das, wir sind gegen Blutvergießen, und zwar unabhängig davon, ob ein Verbrechen gegen einen Muslim oder gegen einen Christen oder Juden begangen wird. Die Frage aber ist: Warum stehen unter diesen 60 Millionen Opfern nur die Juden im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit?

SPIEGEL: Das ist so nicht der Fall. Alle Völker trauern um die Opfer, die der Zweite Weltkrieg gefordert hat, Deutsche und Russen und Polen und andere ebenso. Doch wir als Deutsche können uns nicht von einer speziellen Schuld freimachen, nämlich von der systematischen Ermordung der Juden. Aber vielleicht sollten wir nun doch zum nächsten Thema übergehen.

Ahmadinedschad: Nein, ich habe eine Frage an Sie. Was für eine Rolle hat die heutige Jugend im Zweiten Weltkrieg gespielt?

SPIEGEL: Keine.

Ahmadinedschad: Warum soll sie Zionisten gegenüber Schuldgefühle haben? Warum sollen die Kosten für die Zionisten aus ihrer Tasche bezahlt werden? Wenn Leute damals Verbrechen begangen haben, dann mussten sie vor 60 Jahren vor Gericht gebracht werden. Schluss! Warum muss das deutsche Volk heute dafür erniedrigt werden, dass es im Laufe der Geschichte eine Gruppe von Menschen gab, die im Namen der Deutschen Verbrechen begangen haben?

SPIEGEL: Das heutige deutsche Volk kann nichts dafür. Aber es gibt eine Art Kollektivscham für jene Taten, die unsere Väter oder Großväter in deutschem Namen begingen.

Ahmadinedschad: Wie kann eine Person, die zur damaligen Zeit gar nicht gelebt hat, juristisch verantwortlich sein?

SPIEGEL: Nicht juristisch, sondern moralisch.

Ahmadinedschad: Warum wird dem deutschen Volk so viel auferlegt? Das deutsche Volk trägt heute keine Schuld. Warum darf das deutsche Volk nicht das Recht haben, sich zu verteidigen? Warum werden die Verbrechen einer Gruppe so betont, anstatt vielmehr das große deutsche Kulturerbe herauszustellen? Warum sollen die Deutschen nicht das Recht haben, ihre Meinung frei zu äußern?

SPIEGEL: Herr Präsident, wir sind uns durchaus bewusst, dass die deutsche Geschichte nicht nur aus den zwölf Jahren des Dritten Reichs besteht. Dennoch müssen

wir akzeptieren, dass im deutschen Namen schreckliche Verbrechen begangen worden sind. Dazu stehen wir auch, und es ist eine große Leistung der Deutschen in der Nachkriegsgeschichte, dass sie sich kritisch mit der Vergangenheit auseinander- gesetzt haben.

Ahmadinedschad: Sind Sie bereit, dies auch dem deutschen Volk mitzuteilen?

SPIEGEL: Oh ja, das tun wir.

Ahmadinedschad: Würden Sie daher auch zulassen, dass eine unparteiische Gruppe das deutsche Volk befragt, ob es Ihre Meinung teilt? Kein Volk akzeptiert seine Erniedrigung.

SPIEGEL: In unserem Land ist jede Frage erlaubt. Aber natürlich gibt es Rechtsradikale in Deutschland, die nicht nur antisemitisch eingestellt sind, sondern ausländerfeindlich, und sie halten wir in der Tat für eine Gefahr.

Ahmadinedschad: Ich habe eine Frage an Sie. Wie lange soll das so weitergehen? Wie lange, glauben Sie, muss das deutsche Volk die Geisel der Zionisten sein? Wann ist das zu Ende - in 20, 50, in 1000 Jahren?

SPIEGEL: Wir können nur für uns sprechen. Der SPIEGEL ist niemandes Geisel, der SPIEGEL beschäftigt sich nicht nur mit der deutschen Vergangenheit und den Verbrechen der Deutschen. Wir stehen im Palästina-Konflikt keineswegs kritiklos auf der Seite Israels. Doch eines wollen wir mit Entschiedenheit festhalten: Wir sind kritisch, wir sind unabhängig, wir lassen jedoch nicht zu, jedenfalls nicht ohne Protest, dass das Existenzrecht des Staates Israel, in dem viele Überlebende des Holocaust leben, in Frage gestellt wird.

Ahmadinedschad: Genau das sagen wir doch. Warum sollten Sie sich den Zionisten gegenüber verpflichtet fühlen? Wenn es den Holocaust gab, muss Israel in Europa liegen und nicht in Palästina.

SPIEGEL: Wollen Sie 60 Jahre nach Kriegsende ein ganzes Volk wieder umsiedeln?

Ahmadinedschad: Fünf Millionen Palästinenser sind seit 60 Jahren heimatlos. Es ist erstaunlich: Sie zahlen seit 60 Jahren Entschädigung wegen des Holocaust und müssen noch 100 Jahre weiterzahlen. Aber warum ist das Schicksal der Palästinenser kein Gegenstand der Diskussion?

SPIEGEL: Die Palästinenser werden von den Europäern sehr unterstützt, denn natürlich haben wir auch eine historische Verantwortung dafür, dass in dieser Region endlich Friede einkehrt. Aber tragen Sie diese Verantwortung nicht auch?

Ahmadinedschad: Ja, aber Aggression, Besetzung und Wiederholung des Holocaust führen nicht zum Frieden. Wir wollen einen nachhaltigen Frieden, wir müssen die Probleme an den Wurzeln lösen. Ich freue mich, dass Sie ehrliche Menschen sind und sagen, dass Sie verpflichtet sind, die Zionisten zu unterstützen.

SPIEGEL: Das haben wir nicht gesagt, Herr Präsident.

Ahmadinedschad: Sie haben Israelis gesagt.

SPIEGEL: Herr Präsident, wir reden über den Holocaust, weil wir über die mögliche atomare Bewaffnung Irans reden wollen - und deshalb werden Sie im Westen als eine Gefahr erachtet.

Ahmadinedschad: Manche Gruppen im Westen lieben es, Sachen oder Personen als gefährlich einzustufen. Bitte, Sie sind frei, so zu urteilen, wie Sie es für richtig halten.

SPIEGEL: Die Kernfrage lautet: Wollen Sie Nuklearwaffen für Ihr Land?

Ahmadinedschad: Erlauben Sie mir, eine Diskussion anzuregen: Was glauben Sie, wie lange man die Welt mit der Rhetorik einiger westlicher Mächte regieren kann? Sobald man etwas gegen eine Person hat, geht es mit Propaganda und Lügen los, mit Verleumdungen und Erpressung. Wie lange soll das so weitergehen?

SPIEGEL: Wir sind ja hier, um die Wahrheit herauszufinden. Der Staatschef eines Nachbarlandes zum Beispiel hat zum SPIEGEL gesagt: "They are very keen on building the bomb." Stimmt das?

Ahmadinedschad: Schauen Sie, unsere Diskussion mit Ihnen und den europäischen Regierungen verläuft doch auf einer ganz anderen, höheren Ebene. Wir finden dieses Rechtssystem, wonach ein paar Länder der übrigen Welt ihren Willen aufzwingen, diskriminierend und instabil. 139 Länder sind Mitglieder der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien, auch wir. Sowohl die Satzung der IAEA als auch der Atomwaffensperrvertrag sowie sämtliche Sicherheitsabkommen räumen den Mitgliedsländern das Recht ein, für friedliche Zwecke über den atomaren Brennstoffkreislauf zu verfügen; das ist das gesetzlich legitimierte Recht eines jeden Volkes. Darüber hinaus wurde die Internationale Atomenergiebehörde aber auch ins Leben gerufen, um die Abrüstung jener Mächte voranzutreiben, die schon über atomare Waffen verfügten. Und nun schauen Sie, was heute passiert: Iran hatte die beste Zusammenarbeit mit der IAEA. Mehr als 2000-mal hatten wir Inspektionen in unseren Anlagen, die Inspektoren haben über 1000 Seiten Dokumente von uns bekommen. Ihre Kameras sind in unseren Nuklearzentren installiert. In allen Berichten hat die IAEA betont, dass es keine Indizien für Unregelmäßigkeiten Irans gibt. Das ist die eine Seite.

SPIEGEL: Die IAEA sieht das nicht ganz so wie Sie.

Ahmadinedschad: Die andere Seite aber ist: Es gibt einige Länder, die sowohl die Nuklearenergie als auch Nuklearwaffen haben. Sie benutzen ihre Nuklearwaffen, um andere Völker zu bedrohen. Ausgerechnet diese Mächte sagen, sie seien besorgt, dass Iran vom Weg zur friedlichen Nutzung abweicht. Wir sagen, wenn diese Mächte besorgt sind, können sie uns ja beaufsichtigen. Diese Mächte aber sagen: Die Iraner dürfen den Nuklearkreislauf nicht schließen, weil dann die Möglichkeit bestünde, dass sie von der friedlichen Nutzung abweichen. Wir sagen, dass diese Länder selbst längst von der friedlichen Nutzung abgewichen sind. Diese Mächte haben nicht das Recht, so mit uns zu reden. Diese Ordnung ist ungerecht, sie kann nicht Bestand haben.

SPIEGEL: Herr Präsident, die entscheidende Frage lautet doch: Wie gefährlich wird die Welt, wenn noch mehr Länder zu Atommächten aufsteigen - wenn ein Land wie Iran, dessen Präsident Drohungen ausstößt, in einer krisenreichen Region die Bombe baut?

Ahmadinedschad: Wir sind grundsätzlich dagegen, dass die Arsenale mit Atomwaffen noch ausgebaut werden. Wir haben deshalb vorgeschlagen, dass eine unparteiische Organisation gegründet wird und die Atommächte entwaffnet. Wir benötigen keine Waffen, wir sind ein zivilisiertes und kulturreiches Volk, unsere Geschichte zeigt, dass wir niemals irgendein Land angegriffen haben.

SPIEGEL: Iran braucht gar nicht die Bombe, die es bauen will?

Ahmadinedschad: Es ist doch interessant, dass europäische Länder dem diktatorischen Schah-Regime damals Nukleartechnologie gewähren wollten. Dieses Regime war gefährlich, dennoch waren sie bereit, ihm die Atomtechnologie zu liefern. Aber seitdem es die Islamische Republik gibt, sind diese Mächte dagegen. Ich betone noch mal, wir benötigen keine Atomwaffen. Weil wir ehrlich sind und gesetzestreu handeln, stehen wir auch zu dem, was wir sagen. Wir sind keine Betrüger. Wir wollen nur unser legitimes Recht geltend machen. Außerdem habe ich niemanden bedroht - auch dies gehört zur Propagandamaschine, die gegen mich bei Ihnen läuft.

SPIEGEL: Wäre es dann nicht notwendig, darauf hinzuwirken, dass niemand Angst davor haben muss, Sie könnten nukleare Waffen produzieren, die Sie möglicherweise gegen Israel einsetzen und so eventuell einen Weltkrieg auslösen könnten? Sie sitzen auf einem Pulverfass, Herr Präsident.

Ahmadinedschad: Erlauben Sie mir, zwei Dinge zu sagen. Kein Volk der Region hat Angst vor uns. Und niemand soll den Völkern Angst machen. Wir glauben, wenn die USA und diese zwei bis drei europäischen Länder sich nicht einmischen würden, dann würden die Völker dieser Region friedlich zusammenleben, so wie in den Tausenden Jahren zuvor. Auch Saddam Hussein wurde 1980 von Ländern in Europa und von Amerika angestiftet, gegen uns Krieg zu führen. In Bezug auf Palästina ist unser Standpunkt ganz klar. Wir sagen: Erlauben Sie, dass die Besitzer dieses Landes ihre Meinung äußern. Lassen Sie doch Juden, Christen und Muslime ihre Meinung sagen. Die Gegner dieses Vorschlags ziehen den Krieg vor und bedrohen die Region. Warum sind die USA und diese zwei bis drei europäischen Länder dagegen? Ich glaube, diejenigen, die Holocaust-Forscher einsperren, sind für Krieg und gegen Frieden. Unser Standpunkt ist demokratisch und friedlich.

SPIEGEL: Die Palästinenser sind Ihnen doch längst einen Schritt voraus, sie erkennen Israel als Faktum an, während Sie es weiter von der Landkarte ausradieren wollen. Die Palästinenser sind bereit zu einer Zwei-Staaten-Lösung, während Sie Israel das Existenzrecht absprechen.

Ahmadinedschad: Sie täuschen sich. Sie haben doch gesehen, dass das Volk bei der freien Wahl in Palästina die Hamas gewählt hat. Wir sagen, weder Sie noch wir sollten uns zum Sprecher des palästinensischen Volkes machen. Die Palästinenser sollen selbst sagen, was sie wollen. Es ist doch in Europa üblich, für jede Frage ein Referendum zu machen. Man sollte auch den Palästinensern die Gelegenheit geben, ihre Meinung zu äußern.

SPIEGEL: Die Palästinenser haben das Recht auf ihren eigenen Staat, aber die Israelis unserer Ansicht nach selbstverständlich auch.

Ahmadinedschad: Wo sind die Israelis hergekommen?

SPIEGEL: Wissen Sie, wenn wir aufrechnen wollten, woher die Menschen gekommen sind, dann müssten auch die Europäer zurück nach Ostafrika, wo alle Menschen ursprünglich herkommen.

Ahmadinedschad: Wir sprechen nicht über die Europäer, wir sprechen über die Palästinenser. Die Palästinenser waren dort in Palästina. Jetzt sind fünf Millionen zu Flüchtlingen geworden. Haben sie kein Recht auf Leben?

SPIEGEL: Herr Präsident, kommt nicht irgendwann der Zeitpunkt zu sagen: Die Welt ist, wie sie ist, und wir müssen mit dem Status quo, so wie er ist, fertig werden? Nach dem Krieg gegen den Irak ist Iran doch in einer günstigen Lage. Amerika hat den Irak-Krieg de facto verloren. Ist es also nicht an der Zeit, dass Iran zu einer konstruktiven Friedensmacht im Nahen Osten wird? Und das heißt auch, dass Iran sich von Atomplänen und aufrührerischen Reden verabschiedet?

Ahmadinedschad: Ich wundere mich, warum Sie die Position der europäischen Politiker einnehmen und fanatisch verteidigen. Sie sind ein Magazin und keine Regierung. Zu sagen, dass wir die Welt, so wie sie ist, akzeptieren sollen, bedeutet, dass die Sieger des Zweiten Weltkriegs noch 1000 Jahre Siegermächte bleiben, und dass das deutsche Volk noch 1000 Jahre erniedrigt werden muss. Denken Sie, dies ist die richtige Logik?

SPIEGEL: Nein, die richtige Logik ist es nicht, und es trifft auch nicht zu. Die Deutschen haben in der Entwicklung der Nachkriegszeit eine bescheidene, aber wichtige Rolle in der Welt gespielt, sie fühlen sich nicht seit 1945 erniedrigt und entwürdigt. Dafür sind wir zu selbstbewusst. Wir wollen jedoch jetzt von der Aufgabe Irans heute reden.

Ahmadinedschad: Dann würden wir akzeptieren, dass jeden Tag Palästinenser getötet werden, durch Terroraktionen sterben, dass Häuser zerstört werden. Aber erlauben Sie mir, über den Irak zu sprechen. Wir waren immer für Frieden und Sicherheit in der Region. Die westlichen Länder haben acht Jahre lang Saddam im Krieg gegen uns militärisch aufgerüstet, chemische Waffen eingeschlossen, und ihn politisch unterstützt. Wir waren gegen Saddam, wir haben durch ihn schweren Schaden erlitten, wir freuen uns, dass er gestürzt ist. Aber wir akzeptieren nicht, dass ein Land, unter dem Vorwand, Saddam stürzen zu wollen, geschluckt wird. Mehr als 100.000 Iraker sind ums Leben gekommen, unter der Herrschaft der Besatzer. Glücklicherweise sind Deutsche nicht dabei. Wir wollen Sicherheit im Irak.

SPIEGEL: Aber Herr Präsident, wer schluckt den Irak? Der Krieg ist für die USA praktisch verloren. Wenn Iran konstruktiv mitwirken würde, wäre den Amerikanern möglicherweise geholfen, und sie könnten über einen Rückzug nachdenken.

Ahmadinedschad: Das ist sehr interessant: Die Amerikaner besetzen das Land, töten Menschen, verkaufen das Öl, und wenn sie verloren haben, schieben sie anderen die Schuld zu. Das irakische Volk ist mit uns eng verbunden. Viele Menschen auf beiden Seiten der Grenze sind miteinander verwandt. Wir haben Tausende von Jahren zusammengelebt. Unsere heiligen Pilgerstätten liegen im Irak. Der Irak war ein Zentrum der Zivilisation genauso wie Iran.

SPIEGEL: Was folgt daraus?

Ahmadinedschad: Wir haben immer gesagt, dass wir die vom Volk gewählte Regierung im Irak unterstützen. Aber aus meiner Sicht machen es die Amerikaner schlecht. Sie haben uns mehrere Male Botschaften geschickt und uns um Hilfe und Zusammenarbeit gebeten. Sie haben gesagt, dass wir Gespräche über den Irak führen sollten. Obwohl unser Volk kein Vertrauen in die Amerikaner hat, haben wir das Angebot akzeptiert und dies öffentlich bekannt- gegeben. Amerika aber hat sich negativ geäußert, es hat uns beleidigt. Auch jetzt leisten wir unseren Beitrag für die Sicherheit im Irak. Die Bedingung für Gespräche ist, dass die Amerikaner ihre Verhaltensweise ändern.

SPIEGEL: Macht es Ihnen manchmal Spaß, die Amerikaner und den Rest der Welt zu provozieren?

Ahmadinedschad: Nein, ich beleidige niemanden. Der Brief, den ich an Herrn Bush geschrieben habe, war höflich.

SPIEGEL: Wir meinen nicht beleidigen, sondern provozieren.

Ahmadinedschad: Nein, wir fühlen niemandem gegenüber Feindseligkeit. Wir sind besorgt über die amerikanischen Soldaten, die im Irak ums Leben kommen. Warum müssen sie dort ihr Leben lassen? Der Krieg ist sinnlos. Warum gibt es Krieg, wenn es doch auch Vernunft gibt?

SPIEGEL: Ist der Brief, den Sie dem Präsidenten geschrieben haben, auch eine Geste gegenüber den Amerikanern, damit es zu direkten Verhandlungen kommt?

Ahmadinedschad: Wir haben darin unse-re Position ganz klar dargelegt, genauso sehen wir die Probleme der Welt. Die politische Atmosphäre der Welt ist durch manche Mächte stark besudelt worden, weil aus deren Sicht Lügen und Betrügen legitim sind. Das ist aus unserer Sicht sehr schlecht. Für uns verdienen alle Menschen Respekt. Die Beziehungen müssen auf der Grundlage von Gerechtigkeit geregelt werden. Wenn Gerechtigkeit herrscht, herrscht Friede. Ungerechte Verhältnisse haben keinen Bestand, auch wenn Ahmadinedschad sich nicht dagegen äußert.

SPIEGEL: In diesem Brief an den amerikanischen Präsidenten gibt es eine Passage über den 11. September 2001. Wir zitieren: "Wie könnte eine solche Operation ohne Koordinierung mit Geheim- und Sicherheitsdiensten beziehungsweise unter weitreichender Infiltration dieser Dienste geplant und durchgeführt werden?" Bei Ihnen schwingen immer so viele Unterstellungen mit. Was soll das heißen? Hat die CIA dazu beigetragen, dass Mohammed Atta und die anderen 18 Attentäter ihre Anschläge ausführen konnten?

Ahmadinedschad: Nein, das habe ich nicht gemeint. Wir finden nur, sie sollten sagen, wer schuldig ist. Sie sollten nicht unter dem Vorwand des 11. September den Nahen Osten militärisch angreifen. Sie sollen die Schuldigen vor Gericht bringen. Wir sind nicht dagegen, wir haben die Anschläge verurteilt. Wir verurteilen jede Aktion gegen unschuldige Menschen.

SPIEGEL: In diesem Brief schreiben Sie auch, der Liberalismus westlicher Prägung sei gescheitert. Wie kommen Sie eigentlich darauf?

Ahmadinedschad: Schauen Sie, für das palästinensische Problem haben Sie zum Beispiel Tausende Definitionen, und auch die Demokratie wird in jeder Ausprägung bei Ihnen anders definiert. Wenn ein Phänomen abhängig ist von der Meinung vieler Einzelner, die das Phänomen beliebig deuten dürfen, dann ist das nicht sinnvoll, damit kann man die Weltprobleme nicht lösen. Man braucht einen neuen Weg. Wir sind natürlich dafür, dass der freie Wille des Volkes herrscht, aber wir brauchen nachhaltige Prinzipien, die alle akzeptieren - zum Beispiel Gerechtigkeit. Darin sind sich Iran und der Westen einig.

SPIEGEL: Welche Rolle kommt Europa bei der Lösung des Atomkonflikts zu, und welche Erwartungen haben Sie an Deutschland?

Ahmadinedschad: Wir haben von jeher gute Beziehungen zu Europa gepflegt, insbesondere zu Deutschland. Die beiden Völker mögen sich. Wir sind interessiert, dass diese Beziehungen ausgebaut werden. Europa hat drei Fehler in Bezug auf unser Volk gemacht. Der erste Fehler war, die Regierung des Schahs zu unterstützen. Unser Volk ist deswegen enttäuscht und unzufrieden. Allerdings hat Frankreich dadurch, dass es den Imam Chomeini aufgenommen hatte, eine besondere Position erworben, die es später wieder verlor. Der zweite Fehler war die Unterstützung Saddams im Krieg gegen uns. Die Wahrheit ist, dass unser Volk erwartet hatte, Europa auf seiner Seite zu sehen und nicht gegen sich. Der dritte Fehler war das Verhalten in der Nuklearfrage. Europa wird der große Verlierer sein und nichts erzielen. Das wollen wir nicht.

SPIEGEL: Wie geht der Konflikt zwischen der westlichen Welt und Iran jetzt weiter?

Ahmadinedschad: Die Logik der Amerikaner verstehen wir. Sie haben durch den Sieg der islamischen Revolution Schaden erlitten. Aber wir wundern uns, warum manche europäischen Länder gegen uns sind. In der Nuklearfrage habe ich eine Botschaft geschickt und gefragt, warum die Europäer uns die Worte der Amerikaner übersetzen. Sie wissen doch, dass unsere Aktivitäten friedlich ausgerichtet sind. Wenn die Europäer auf der Seite Irans stehen, ist es in ihrem und unserem Interesse. Aber wenn sie sich gegen uns stellen, dann tragen nur sie den Schaden davon. Denn unser Volk ist stark und entschlossen. Die Europäer sind dabei, ihre Rolle im Nahen Osten völlig zu verlieren, und in anderen Regionen der Welt verlieren sie ihren Ruf. Man wird denken, sie seien nicht in der Lage, Probleme zu lösen.

SPIEGEL: Herr Präsident, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Das Gespräch führten die SPIEGEL-Redakteure Gerhard Spörl, Stefan Aust und Dieter Bednarz in Teheran.