Sie ziehen sich zurück wie Schnecken

Eine großangelegte amerikanische Studie stellt die Schattenseite der Diversität von Gemeinschaften fest: Je unterschiedlicher eine Gemeinschaft zusammengesetzt ist, desto mehr neigen die Menschen zu Misstrauen und Rückzug

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Gesellschaften werden durch Zuwanderer reicher, behaupten freudig die einen, während andere Angst haben. Eine Reihe von Untersuchungen untermauert die Annahme derjenigen, die für die Vielfalt plädieren, und verweist auf größeres Wirtschaftswachstum, mehr Steuereinnahmen, größere Kreativität und bessere Wissenschaft (so findet sich etwa unter den amerikanischen Nobelpreisträgern ein sehr hoher Anteil von Einwanderern). Doch muss sich die neuere Sozialforschung nun mit einem Studienergebnis auseinandersetzen, das eher die Argumente der Gegner von multikulturellem Zusammenleben stärkt: Je höher die Diversität in einer Gemeinschaft ist, desto geringer ist ihr soziales Kapital, so das Ergebnis einer großangelegte Studie unter Leitung des renommierten amerikanischen Sozialforschers Robert Putnam heraus.

Die Studie, die Putnam in Zusammenarbeit mit der Universität von Manchester durchführt, ist groß angelegt, sie dürfte sogar die größte ihrer Art sein: über 30.000 Personen aus den unterschiedlichsten Lebenserhältnissen wurden interviewt - aus 41 „communities“, verstreut über die ganzen USA, von homogenen Gemeinschaften in North Dakota, bis zu höchst unterschiedlich zusammengesetzten Wohnvierteln in San Francisco und Los Angeles. Eine Aufteilung des US-Zensus von 2000 nahm Putnam zu Hilfe, um die Befragten in vier Kategorien aufzuteilen: Weiße, Latinos, Schwarze und Asiaten.

Im Zentrum des Forschungsinteresses von Putnam steht das soziale Kapital. Sein Buch "Bowling Alone" dürfte mancher kennen. Die aus dem Jahr 2000 stammende These von der Vereinsamung der Amerikaner, die schon im Titel des Buches eingefangen ist, wurde im Zusammenhang mit der Kritik an amerikanischen Zuständen auch hier bekannt (vgl. Meine Charlotte, meine Eltern und ich).

Mit sozialem Kapital meint Putnam den vitalen Nutzen, den soziale Netzwerke und damit verbundene elementare Werte wie Austausch und Vertrauen anhäufen. Als konkrete Beispiele führt der Sozialwissenschaftler an, dass etwa die meisten Jobs über soziale Netzwerke vergeben werden („We are likely to get our jobs through whom we know as through what we know“).

Darüber hinaus würden Studien belegen, dass Kinder in Umgebungen mit hohem sozialen Kapital gesünder und sicherer aufwachsen und eine besser Ausbildung hätten; die Bewohner solcher Orte würden glücklicher und älter; Demokratie und Wirtschaft würden dort besser funktionieren, wie Putnam selbst in der Studie von 2000 ermittelte. Putnam ist ein engagierter Wissenschaftler, der sich öffentlich immer wieder für zivilgesellschaftliche Beteiligung stark macht; eine amerikanische Zeitung bezeichnete ihn vor kurzem als „nationalen Guru des Bürgerengagements“.

Die jüngsten Ergebnisse seiner Studie, die bis zum 30.August in der Fachzeitschrift Scandinavian Political Studies online zu lesen ist, konfrontieren Putnam (und viele andere auch) nun mit einer „unbequemen Wahrheit“: Das soziale Kapital einer Gemeinschaft, so ergaben die Auswertungen von Putnam und seinem Team, nehmen mit dem Maß der Diversität der Gemeinschaft ab. Je unterschiedlicher eine Gemeinschaft zusammengesetzt ist, desto kleiner wird das soziale Kapital der Community.

In Gebieten, die sich durch größere Diversität der Bewohner auszeichneten, zeigte sich:

  1. ein geringeres Vertrauen in die kommunale Selbstverwaltung, die örtlichen Behörden und in lokale Medien
  2. ein geringeres Vertrauen in den eigenen Einfluss bzw. die Gestaltungsfähigkeit
  3. eine niedrigere Wahlbeteiligung
  4. eine geringere Erwartung an die Kooperation anderer, wenn es um gemeinschaftliche Probleme geht (z.B. bei Wasser- oder Stromausfall)
  5. eine geringere Wahrscheinlichkeit, dass jemand bei einem zivilgesellschaftlich organisiertem Projekt mitarbeitet
  6. dass die Bewohner weniger enge Freunde und Vertraute haben
  7. dass sie sich als weniger glücklich wahrnehmen und ihre Lebensqualität niedriger einstufen
  8. dass sie mehr fernsehen und das „als wichtigste Quelle der Unterhaltung“ angeben.

Die Studie demonstriere, so Putnam, dass sich Menschen in solch heterogenen Gemeinschaften immer weiter zurückziehen - wie Schnecken. Das Misstrauen gegenüber anderen sei vorherrschend. Diese Ergebnisse der Studie widerlegen bisherige Annahmen. Nicht nur die Annahme, dass heterogene Gemeinschaften Brücken zu Personen anderer Hautfarbe oder Herkunft schlagen könne, sondern auch die Theorie, wonach gemischte Gesellschaften die Spannungen zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen steigern.

Keine „bad race relations“

Nach Putnams Untersuchungen ist dies nicht der Fall - die Bewohner reagieren nicht offensiv, sondern mit ausgeprägtem Rückzug. Das Erstaunliche an Putnams Ergebnissen ist aber, dass das Misstrauen in solchen heterogenen Umgebungen umfasst alle Gruppierungen umfasst - einschließlich derjenigen, zu der die Befragten selbst gehören. Also nicht: Die Latinos misstrauen den Weißen, den Schwarzen und den Asiaten, sondern die Latinos misstrauen den Latinos den Weißen, den Schwarzen und den Asiaten.

Zwar würde Diversität keine „bad race relations“ produzieren, so Putnam, aber die Ergebnisse und die Schlussfolgerungen daraus seien provokant. Für die Wissenschaft hatte dies den Vorteil, dass Putnam die Studie wieder und wieder bearbeitete, Kriterien und Faktoren statistisch kontrollierte, überprüfte oder neu wertete (B. Einkommen, Armut, „upscale and downscale neighbourhoods“; Geschlecht: Ziehen sich Frauen schneller zurück als Männer?; Bildung, politische Einstellung, Alter: Sind Jugendliche anders als frühere Generationen? Usw.) - aber am Ergebnis änderte sich nichts oder nur sehr unwesentlich.

Das Muster änderte sich nicht, auch als Putnam es von allen möglichen Seiten aus überprüfte: Diversität affizierte Männer wie Frauen, Konservative wie Liberale, Weiße wie Menschen anderer Hautfarbe. Kollegen hätten ihm, so Putnam, vorgeworfen, er habe dieses „X“ vergessen oder jenes; am Schluss seien es 20 oder 30 X gewesen und das Ergebnis unverändert.

What emerged in more diverse communities was a bleak picture of civic desolation, affecting everything from political engagement to the state of social ties.

So blieb Putnam nur, der Wahrheit der Studie eine andere hinzuzufügen: Dass nach seiner Auffassung jede moderne Gesellschaft mit allergrößter Sicherheit damit rechnen muss, in einer Generation unterschiedlicher zusammengesetzt zu sein als jetzt. Für einen kurzen Zeitraum ist, wie das Ergebnis der Studie zeige, eine derartige Veränderung eine Herausforderung für die Gesellschaft. Sei das aber geschafft, so Putnam, dann würden sich langfristig positive Perspektiven ergeben: „Erfolgreiche Zuwanderergesellschaften erfinden neue Formen der sozialen Solidarität und mindern die negativen Aspekte der Diversität, in dem sie neue Identitäten mit wesentlich mehr Mitgefühl aufbauen“.