Vom Aprilscherz zur Zukunft des Bibliothekskataloges

Eigentlich war das Ganze als April-Scherz geplant: Um deutlich zu machen, dass es Open-Source-Komponenten für Bibliothekskataloge und lokale Bibliothekssysteme gibt, die durchaus mit kommerziellen Lösungen (wie Touchpoint und Primo) mithalten können, sollte ein auf der Nutzung der Software vufind basierter Fake einer neuen Oberfläche für den Katalog der Universitätsbibliothek der TU Hamburg-Harburg angeboten werden. Schnell wurde bei den beiden Kollegen Oliver Marahrens und Heiko Weier, die diese Idee hatten, deutlich, dass hier mehr rauskommen kann und innerhalb kurzer Zeit (ohne irgendwelche Fokusgruppen-Interviews und Usability-Tests) war eine gut funktionierende Oberfläche verfügbar, die dann am 1. April als Beta-Version online ging. Nun wirft das Ergebnis dieses Aprilscherzes auch Fragen nach der Zukunft von Bibliothekskatalogen überhaupt auf!

Im Sinne der Zukunftswerkstatt hat die TUHH-Bibliothek einfach etwas ausprobiert, und damit herumgespielt. Web 2.0 heisst eben mitmachen, mitproduzieren und selbst ausprobieren. Und wie es mein Kollege Heiko Weier ausdrückt:

„Vielfalt ist das Schlagwort. Manche mögen OPC4, andere Beluga, oder Touchpoint, oder Primo oder eben Vufind…“

Die TUHH-Bibliothek ist schon an dem seit 2007 laufenden Projekt Beluga der SUB Hamburg beteiligt, das ebenfalls eine Web 2.0 Oberfläche für den Bibliothekskatalog konzipiert und in Betrieb hat, aber z.B. mit der Einbindung von Katalogdaten in Lernmanagementsysteme teilweise auch einen etwas anderen Fokus umfasst. Ohne Beluga, das aus meiner Sicht in Zukunft eine Funktion ähnlich der des bisherigen Hamburger Regionalkatalogs haben könnte, und ohne die Aktivtäten der Göttinger GBVCrew um Jakob Voss und Till Kinstler (auch hinsichtlich der Ermöglichung einer Verfügbarkeits-Recherche mit DAIA) wäre es nie zu den TUHH-eigenen Aktivitäten gekommen! Anstoß für den Schnellschuss der TUHH-Bibliothek gab zudem die Verwendung von vufind für die Nationallizenzen in der Verbundzentrale.

Nochmals mein Kollege Heiko Weier:

„Es schien möglich zu werden, worauf wir schon lange gewartet haben. Und das auf Basis von OpenSource! Skalierbar, basierend auf allgemeinen Standards. Schon die ersten Tests waren sehr vielversprechend. Nach einigen Tagen wurde klar, das dieses Werkzeug das Potential hat, unsere Bedürfnisse optimal abzubilden.

Wir haben mit TUBfind ein Experimentierfeld aufgemacht, an dem alle und jeder sofort teilnehmen kann (die Programmquellen sind veröffentlicht). Es sind noch jede Menge Details zu lösen, die z.T. an den Datenstrukturen liegen, die PICA mit sich bringt. Das ist machbar und auch für die anderen Produkte von Beluga bis Touchpoint wichtig.

Die Zeit war reif – es musste etwas passieren.“

(Die Programmquellen liegen bei SourceForge, z.B. der von Oliver erstellte Code für die Anbindung an die Verfügbarkeit in unserem lokalen Bibliothekssystem.)

Es mag naiv erscheinen, aber eine wirkliche strategische Überlegung hat zunächst für die TUHH-Bibliothek keine Rolle gespielt. Wobei wir als relativ kleine Bibliothek uns gerne nur auf uns selbst verlassen, und dies aufgrund unserer motivierten und hochkompetenten KollegInnen häufig auch können. Nur so sind manche Ideen für Service-Verbesserungen auch zeitnah umzusetzen. Insofern ist es unsere kontinuierliche, strategische Entscheidung gewesen, Innovation zu ermöglichen. Notwendige Bedingung für Innovation stellen gewisse Freiräume für Mitarbeitende dar. Die Produkte dieser Freiräume werden dann natürlich auch gerne der Öffentlichkeit präsentiert, besonders wenn das Ergebnis so wunderbar ist wie diese Beta-Version des TUHH-Kataloges.

Insgesamt hat sich durch unsere Aktivitäten meine Sicht auf den zukünftigen Bibliothekskatalog weiterentwickelt, so dass manches, was ich vor einem halben Jahr in meinem Blog hinsichtlich Inkludisten und Exkludisten schrieb, schon wieder veraltet sein mag. VuFind bietet die Möglichkeit auch weitere Datenquellen zu integrieren. Es wird in Zukunft voraussichtlich immer einfacher werden für eine einzelne Bibliothek, eine selbst gewählte Katalog-Oberfläche oder gar ein Bibliothekssystem zu nutzen. Vorausgesetzt ist hier natürlich, dass die Bewegung der Open linked data weitergeht und dass sich solche offenen Schnittstellen wie COinS, DAIA u.a. weiter verbreiten bzw. auch neue entwickelt werden und die lokale Kompetenz zum Machen und Ausprobieren vorhanden ist.

Vielleicht hat die Bezeichnung „MyCatalog“ in Zukunft aber auch nicht mehr die Bedeutung einer Katalog-Oberfläche, in der Nutzende sich anmelden, Listen ablegen usw. können, und für sich sonstwie personalisieren können, sondern Nutzende wählen aus einer Vielzahl von Oberflächen „ihre“ (ihr/ihm am intuitivsten vorkommende) Katalogoberfläche aus (ähnlich wie einem Template bei WordPress), und fügen dann noch die passenden „Bestände“, d.h. hier Indices, „ihres“ Kataloges dazu, in denen sie recherchieren wollen. Hierbei finden vielleicht dann auch solche Peer2Peer-Suchmaschinen wie Yacy Anwendung. Im Prinzip sammelt der Nutzer ähnlich wie heute in einem RSS-Reader seine RSS-Feeds vielleicht in Zukunft in einer selbst gewählten Katalog-Oberflöche seine Indices!

Das die obige Vision nicht nur Hirngespinste sind, sondern durchaus einen Funken Realität enthalten könnten, verdanke ich Diskussionen mit Beate Rajski, Oliver Marahrens und Heiko Weier in der TUHH-Bibliothek. Ich danke Euch dafür! 😎

2 Gedanken zu „Vom Aprilscherz zur Zukunft des Bibliothekskataloges

  1. Pingback: Bibliothekarisch.de » Blog Archive » links for 2010-04-22

Kommentare sind geschlossen.