Stromkonzern mit eigener Gesetzgebung

Der tschechische Energiekonzern CEZ erzielt nicht nur Rekordgewinne, er hat auch eine eigene paramilitärische Truppe

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Während die tschechische Wirtschaft durch die Wirtschaftskrise schwer getroffen wurde, hat es ein Unternehmen geschafft, seine Erfolgsgeschichte fortzusetzen. Der Energiekonzern CEZ vermeldete für das letzte Jahr den größten Gewinn, den je ein tschechisches Unternehmen erwirtschaftet hat. Für Prag aus doppelter Hinsicht ein Grund zur Freude, denn CEZ hat es nicht nur in die Top Ten der europäischen Energiekonzerne geschafft, sondern auch dem Staat, der bei CEZ Hauptaktionär ist, gute Renditen gebracht. Doch diese Erfolgsgeschichte hat in der letzten Zeit einige dunkle Flecken erhalten. Seit Monaten wird in Tschechien über die zu engen Verbindungen zwischen der Politik und dem Konzern diskutiert. Und zuletzt sorgte eine paramilitärische Truppe, die CEZ seit fünf Jahren gegen säumige Zahler und Stromdiebe einsetzt, für negative Schlagzeilen.

Wenn man sich die Lebensläufe der bisherigen acht tschechischen Ministerpräsidenten anschaut, fällt vor allem eins auf: Fünf von ihnen haben in ihrer Jugend Wirtschaft studiert. Dies ist sicherlich nicht der Hauptgrund für den wirtschaftlichen Aufschwung, den das Land nach der Samtenen Revolution 1989 und der Trennung von der Slowakei 1993 erlebte, ist aber durchaus charakteristisch für die tschechische Politik der letzten Jahre. Die Transformation von Plan- zu Marktwirtschaft stand im Vordergrund jeder Regierung der vergangenen 20 Jahre, egal ob diese bürgerlich oder sozialdemokratisch war. Mit einem aus ökonomischer Sicht beeindruckenden Ergebnis. Die Reformen führten dazu, dass Tschechien bereits 2008 ein Bruttoinlandsprodukt erreicht hat, das zu 82 Prozent dem EU-Durchschnitt entsprach.

Dass von den neoliberalen Umstrukturierungen nicht alle Bürger profitieren konnten, schien die Politik bei ihren weiteren Zielsetzungen nicht zu stören. Aufgrund eines jährlichen Wirtschaftswachstums von über 6 Prozent, das Tschechien zwischen 2004 und 2007 verbuchte, wollte Prag bis 2012/2013 mit seinem BIP dem EU-Durchschnitt entsprechen. Doch der Ausbruch der weltweiten Wirtschaftskrise machte diese ehrgeizigen Pläne, zumindest vorerst, zunichte. 2008 betrug das Wirtschaftswachstum nur 3.5 Prozent und die Zahlen für das vergangene Jahr werden noch schlechter ausfallen. Wie das tschechische Statistikamt im Februar bekannt gab, soll 2009 das Wachstum im Vergleich zum Vorjahr um weitere 4.3 Prozent zurückgegangen sein.

Die Auswirkungen dieses Negativtrends bekommt das exportorientierte Tschechien zu spüren. Nach Angaben des Wiener Instituts für Wirtschaftsvergleiche fiel die Industrieproduktion zwischen September 2008 und Mitte 2009 um über 20 Prozent. Der Rückgang macht sich natürlich auch auf dem tschechischen Arbeitsmarkt bemerkbar. Während im November 2008 die Arbeitslosenrate noch bei 6 Prozent lag, ist sie bis Februar dieses Jahres auf mittlerweile 9.9 Prozent gestiegen. Und eine Entspannung auf dem Arbeitsmarkt ist trotz besserer Wirtschaftsdaten nicht in Sicht. Analysten gehen davon aus, dass in den nächsten Wochen und Monaten die Zahl der Arbeitslosen noch größer wird und längere Zeit zweistellig bleiben wird.

Der tschechische Staatskonzern gehört zu den 10 größten Energieversorgern in Europa

Die Auswirkungen der Wirtschaftskrise hat ein Unternehmen jedoch nicht zu spüren bekommen. Ceske Energeticke Zavody, wie das nach den Skoda-Automobilwerken zweitgrößte Unternehmen des Landes CEZ noch bei seiner Gründung 1992 hieß, verzeichnete im vergangenen Jahr Rekordeinnahmen. Einen Nettogewinn von 51.9 Milliarden Kronen, ca. 2 Milliarden Euro, vermeldete das Unternehmen Ende Februar, was einen Anstieg um 9.5 Prozent im Vergleich zu 2008 bedeutet.

Analysten gehen zwar davon aus, dass der Gewinn für das laufende Geschäftsjahr nur 46 Milliarden Kronen betragen wird, doch zufrieden kann man sich in der Prager CEZ-Zentrale dennoch geben. Während andere tschechische Unternehmen 2009 die Auswirkungen der Wirtschaftskrise zu spüren bekamen, erwirtschaftete CEZ nicht nur den größten Gewinn seit seiner Gründung, sondern auch den größten, den je ein tschechisches Unternehmen erzielt hat.

Dabei hat bei der Gründung des Unternehmens keiner von solchen Gewinnen geträumt. CEZ sollte ursprünglich die Energieversorgung im eigenen Land sichern. Doch mittlerweile ist das Staatsunternehmen nicht nur in Tschechien Marktführer, wo es 75 Prozent des Stroms produziert, sondern gehört zu den 10 größten Energieversorgern Europas. Davon zeugen nicht nur die Börsennotierungen des Unternehmens in Prag, Warschau und Frankfurt, sondern vor allem die Geschäfte von CEZ in Ost-, und Südosteuropa.

Neben Tschechien, ist der Konzern auch in Albanien, Österreich, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Ungarn, im Kosovo, Polen, Rumänien, Serbien, Slowakei und seit 2009 auch in der Türkei aktiv. In Deutschland betreibt CEZ den in München ansässigen RPG-Energiehandel und kaufte im vergangenen Jahr die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft. Die internationale Marktaktivität möchte der Konzern noch ausweiten. So hofft CEZ beispielsweise auf die Privatisierungen der polnischen Energieversorger Tauron und Enea, um sein Tätigkeitsfeld auf dem polnischen Markt auszuweiten. Bisher betreibt CEZ in Polen zwei Kohlekraftwerke.

Der Aufstieg von CEZ in die Top Ten der europäischen Energiekonzerne ist eng verbunden mit dem Generaldirektor und Vorstandsvorsitzenden des Unternehmens Martin Roman. Seit 2004 leitet der 1969 geborene Jurist, der in Prag, St. Gallen und Heidelberg studierte, die Geschicke des Konzerns. Und dass Roman die Zukunft des Unternehmens außerhalb der Landesgrenzen sah, wurde ziemlich schnell nach seinem Amtsantritt deutlich. 2005 erwarb CEZ von dem rumänischen Staat Teile des Energieversorgers Electrica Oltenia und machte aus diesen ein hundertprozentiges Tochterunternehmen. 2006 folgten zwei Kohlekraftwerke in Polen und in den nächsten Jahren weitere Investitionen im Ausland. Mit dem Ergebnis, dass der CEZ heute 54 Tochtergesellschaften und mit der Coal Energy und Lomy Morina zwei assoziierte Gesellschaften im In-, und Ausland gehören.

Dass diese Entwicklung von den Aktienmärkten honoriert wurde, ist nicht besonders überraschend. Innerhalb von einem halben Jahrzehnt stieg der Wert der CEZ-Aktie um das Neunfache, von 100 Kronen im Jahr 2004 auf heute 900 Kronen, ca. 34 Euro. Eine Wertsteigerung, die besonders den tschechischen Staat freuen darf, der mit 64 Prozent Hauptaktionär bei CEZ ist.

Enge Verbindungen zwischen Konzern und Politik

Der Aufstieg von CEZ machte Martin Roman, der vor seinem Job bei CEZ schon erfolgreich die staatliche Skoda Holding leitete, zu einem Liebling der tschechischen Politiker. Mit dem ehemaligen bürgerlichen Ministerpräsidenten Mirek Topolanek spielt Roman Golf. Zudem sind im vergangenen August Urlaubsfotos aufgetaucht, die Topolanek bei einem vertraulichen Gespräch mit Martin Roman und dem CEZ-Lobbyisten Vladimir Johannes in dem toskanischen Monte Argentario zeigen. Bilder, die in Tschechien den so genannten Toskana-Skandal auslösten.

Doch Roman pflegt nicht nur zu Topolanek, der im Herbst wieder Regierungschef werden möchte, gute, ja enge Kontakte. Mit dessen sozialdemokratischen Vorgänger und Widersacher Jiri Paroubek, in dessen Amtszeit Roman zum Generaldirektor von CEZ aufstieg und der momentan selber in einen Bestechungsskandal verwickelt ist, wird der Manager öfters auf dem gesellschaftlichen Parkett der tschechischen Hauptstadt gesehen. "Ich bin kein mächtiger Mensch. Ich habe vielleicht Einfluss, doch dies ist ein Unterschied. Macht haben Politiker", behauptete Roman dennoch erst kürzlich in einem Interview für den Nachrichtensender CT24.

Eine Aussage, die viele Tschechen nicht teilen. Denn Martin Roman lässt schon mal gerne seinen Einfluss und seine Kontakte bis ganz nach oben spielen, um die Macht der Politiker für eigene Zwecke zu nutzen. So verhinderte Roman bisher erfolgreich den Ausbau von alternativen Stromenergien in Tschechien, mit dem Argument, dass die Fremdeinspeisung das Stromnetz unnötig belasten und somit die Energieversorgung des Landes gefährden würde.

Stattdessen forciert Roman die Erweiterung des in Österreich und Deutschland umstrittenen Atommeilers Temelin sowie die Modernisierung des Braun-Kohlekraftwerks Prunerov, des größten seiner Art im Lande. Diese Modernisierung ist jedoch nicht auf dem neuesten Stand der Technik, weshalb es zu Unstimmigkeiten zwischen Tschechien und Mikronesien kam und den überraschenden Rücktritt des bisherigen Umweltministers Jan Dusik am vergangenen Freitag, der die so geplante Modernisierung von Prunerov nicht mittragen wollte.

Martin Roman nutzt seine Kontakte zu der Politik aber nicht nur, um lästige Konkurrenz vom Markt zu drängen. Im vergangenen Sommer übte CEZ Druck auf die Regierung und das Parlament aus, damit Prag die von der EU angestrebten Klimarichtlinien sabotiert. Vor allem der Emissionshandel ist dem CEZ ein Dorn im Auge, da dadurch zusätzliche Kosten auf den Konzern zukommen würden. In Ostmitteleuropa, wo die meiste Energie noch in Kohlekraftwerken gewonnen wird, ist CEZ jedoch kein Einzelfall. Auch Polen hatte Interesse daran, die EU-Klimaschutzpolitik aufzuweichen (In Polen ist man über das Scheitern des Klimagipfels nicht unglücklich).

Jagd auf Stromdiebe mit einer Spezialtruppe des Konzerns

Für CEZ gelten in Tschechien aber nicht nur eigene Gesetze, wenn es um die Energiepolitik und den Umweltschutz geht. Anfang Februar spielte ein Rechtsanwalt den tschechischen Medien ein aus dem Jahr 2005 stammendes Video zu, das dunkelgekleidete Männer beim Schießtraining, einer simulierten Verhaftung, bei der die Gefangenen bis auf die Unterhose ausgezogen sind und Säcke über den Köpfen haben, Schlagstockkämpfen und Abseilübungen an einer Staumauer zeigt. Doch bei diesen Bildern handelte es sich nicht um Folterszenen aus Abu Ghraib, wie die Gefangenenszenen vermuten lassen, oder dem Manöver einer Militärsondereinheit, sondern um Übungen einer Spezialtruppe des Konzerns CEZ. Die einzige Aufgabe des NTZ, der Abteilung für nichttechnische Verluste, ist die Verfolgung von säumigen Zahlern und Stromdieben.

Und mit welchen menschenverachtenden und kriminellen Methoden die Mitglieder des NTZ Jagd auf Stromdiebe machen, wurde in den darauf folgenden Februarwochen publik. "Im Juni 2006 haben mich Mitarbeiter von CEZ bei der Arbeit angerufen. Ich sollte sofort nach Hause kommen", erzählte Pavel Skrans, eines der Opfer, den tschechischen und ausländischen Medien. "Eine halbe Stunde später war ich da, und die CEZ-Leute waren schon im Keller am Stromzähler. Es waren acht bewaffnete Männer in schwarzen Sicherheitswesten. Sie haben mich bedroht und behauptet, dass eine der Plomben am Stromzähler fehlt. Dann haben sie den Strom abgeschaltet und gesagt, das sei Diebstahl."

Damit war für Pavel Skrans die Begegnung mit den NTZ-Leuten jedoch nicht beendet. "Später musste ich in der Zentrale den Chef des Trupps treffen, um Mitternacht in seinem Büro. Es waren zwei Leute in Uniform. Sie haben mich gefragt, wie viel Geld ich bei mir habe und sie forderten mindestens drei Millionen Kronen von mir, also mehr als 100.000 Euro. Sonst müsste ich ins Gefängnis." Eingeschüchtert durch diese Methoden, lieh sich Skrans das Geld zusammen und bezahlte seine angeblichen Schulden.

Pavel Skrans ist nicht das einzige Opfer der CEZ-Kampftruppe aus der Abteilung für nichttechnische Verluste. "Seit 2007 habe ich etwa 160 Opfer vertreten, die von dem CEZ-Sicherheitstrupp bedroht oder sogar erpresst wurden. Sie haben die Kunden dazu gezwungen, zu nächtlichen Terminen in der Zentrale in Gablonz zu erscheinen. Dort wurden sie massivem psychologischem Druck ausgesetzt", erklärte der Anwalt Jan Rytir, der den Fall publik machte. Und wie groß der psychologische Druck war, beweist der Fall eines älteren Mannes, der während einer CEZ-Razzia Selbstmord beging.

Doch auch bei diesem Skandal erwiesen sich die engen Kontakte von Martin Roman zur Politik als vorteilhaft. 13 Mitarbeitern des CEZ-Konzerns drohen zwar Gerichtsverfahren, doch für das Unternehmen selber hat dieser Skandal keine weiteren Konsequenzen. Ganz im Gegenteil, einige wichtige Regierungspolitiker zeigten Verständnis für die rabiate Vorgehensweise der CEZ-Geldeintreiber. "Irgendwer muss nun einmal gegen diese notorischen Schuldner vorgehen. Die Frage ist, ob dies der Energiekonzern sein sollte oder eher der Staat. Aber wir sind hier nicht in der Ukraine, wo sich einfach jeder an das Stromnetz anschließt, ohne dafür zu zahlen. Das können wir nicht zulassen", sagte Innenminister Martin Pecina nach dem Ausbruch des Skandals und folgte damit der Rechtfertigung des Konzerns. "Strom wird hierzulande in großem Stil gestohlen. Die Stromdiebe sind in bewaffneten Gangs organisiert, die vor nichts zurückschrecken und äußerst gewaltbereit sind", ließ die Prager CEZ-Zentrale nach der Veröffentlichung der Bilder verlauten.

Eine Argumentation, mit der sich der Konzern nicht nur zum eigentlichen Opfer stilisiert, sondern weiterhin auch sein Saubermann-Image pflegt. Denn so gern, wie CEZ seine wirtschaftlichen Erfolge vermeldet, hebt es seit Jahren auch sein soziales Engagement hervor. So wird CEZ in den nächsten Jahren einigen karitativen Organisationen Elektroautos schenken. Auch seine Tätigkeit als Hauptsponsor der tschechischen Olympiamannschaft betont der Konzern immer wieder gern. Und kürzlich gab Martin Roman bekannt, dass CEZ in den nächsten Jahren die tschechische Wissenschaft mit 5 Milliarden Kronen unterstützen wird. Eine schöne, heile Welt, in die Schlagzeilen von paramilitärischen Geldeintreibertruppen und Umwelt belastenden Kraftwerken einfach nicht passen.