Ruß-Mohl: "Das iPad ist ein unhandliches Trumm"

(c) AP (Marcio Jose Sanchez)
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Der Medienwissenschafter über die Zukunft des Journalismus: Zeitungen müssen online Geld für ihre Artikel verlangen, meint Stephan Ruß-Mohl. Und sie müssen dem Rundfunk welches abluchsen.

Die Presse: Für Ihr im Winter erschienenes Buch "Kreative Zerstörung" befragten Sie US-Medienexperten zur Zukunft des Journalismus. Die waren davon wenig begeistert. Wie steht diese Vogel-Strauss-Politik dem ständigen Krisen-Lamento der Branche gegenüber?

Stephan Ruß-Mohl: Man müsste sich eingestehen, dass man die Antwort auf die Frage nach der Zukunft der Medien nicht kennt. Das fällt Journalisten schwer. Andererseits hat das mit uns Kommunikationswissenschaftlern zu tun: Wir sind schrecklich unkommunikativ (lacht).

Im Buch zitieren Sie dann doch US-Wissenschaftler, einer sagt: Journalisten sind heute eher Lotsen denn Gatekeeper, als die sie die Kommunikationstheorie bisher sah ...

Ruß-Mohl: Heute landet viel Information fertig journalistisch aufbereitet in den Redaktionen: von Agenturen, von PR-Stellen. Journalisten müssen Nachrichten auswählen, anstatt sie selbst zu recherchieren.

In den USA beklagt man andererseits die "Akademisierung" des Journalismus: Ausgebildete Journalisten arbeiten zwar prinzipiell seriöser, doch heißt es auch, sie hätten den Bezug zum Leser verloren, seien zu abgehoben.

Ruß-Mohl: An der These ist was dran. In den USA haben noch nie so viele hoch qualifizierte Journalisten gearbeitet - übrigens auch als Journalistenausbilder an den Unis. Dort gab es nämlich die umgekehrte Entwicklung: Durch den Schrumpfprozess der Branche sind jetzt viele gute Praktiker an den Hochschulen tätig. In einigen Fällen hat das mit Krisenkündigungen zu tun, einige haben ihre Jobs aber auch selbst an den Nagel gehängt, weil sie sagten: ,Ich lass mir die Mannschaft nicht weiter zusammenkürzen.' Sie starten nun ihre zweite Karriere in der Lehre. Allerdings bilden sie Journalisten aus, die keine Jobs kriegen . . . Und insgesamt entfernt sich damit der Berufsstand natürlich von den einfachen Leuten, von John Sixpack, sozusagen . . .

Wie sollten klassische Medien mit der Konvergenz (Print/TV/Radio verschmelzen im "neuen" Kanal Internet) umgehen?

Ruß-Mohl: In den USA werden Print- und Online-Redaktionen viel entschlossener zusammengelegt als bei uns. Bei der "New York Times" (NYT) gibt es keinen der über 1000 Journalisten, der nicht auch für online arbeitet. Insgesamt ist man in den USA eher drauf gefasst: Die gedruckte Zeitung ist ein Auslaufmodell. Sie wird künftig online erscheinen, man weiß nur noch nicht, wie sie dort zu finanzieren ist. Ein paar Jahre noch wird es beides parallel geben. Aber es wird schwieriger, das Druckprodukt zu vertreiben: Der Vertrieb wird ja pro Kopf teurer, wenn man nur in jeden vierten Postkasten eine Zeitung wirft. Andererseits sind alle Prognosen vage. Und ich liebe es, mich zurückzulehnen, die Zeitung aufzuschlagen! Die Lebenserwartung ist ja auch gestiegen (lacht). Noch sind mit Print höhere Einkünfte zu erzielen, da wird alles getan, um es am Leben zu erhalten. Aber die Jungen heute kämen sich schon total blöd vor, für das zu bezahlen, was sie online gratis bekommen!

In Ihrem Buch plädieren sie dementsprechend für das Bezahl-Internet, "Paid Content".

Ruß-Mohl: Die NYT und Rupert Murdoch (u. a. "Wall Street Journal", das schon eine Paywall hat) haben das fix angekündigt. Wenn zwei so Mächtige das machen, werden die anderen - wenn sie nicht völlig wahnsinnig sind - nachziehen.

Und die letzte Zeitung wird dann 2043 gedruckt, wie US-Kommunikationswissenschaftler Philip Meyer 2004 prognostizierte?

Ruß-Mohl: (lacht) So lang wird es nicht mehr dauern, er hat diese Prognose schon revidiert.

Und was in den USA passiert, passiert automatisch auch bei uns?

Ruß-Mohl: In den USA sind viele Redaktionen heute weniger als halb so groß als vor wenigen Jahren. Unsere europäischen sind schon prinzipiell klein im Vergleich zu diesen Riesentankern. An vielen Stellen ist die Lage nicht vergleichbar. Z. B. der öffentlich-rechtliche Rundfunk: Der sitzt in Europa auf ganz viel Geld. Die BBC ist derzeit so unter Druck, dass sie freiwillig ihr Online-Angebot zurückfährt. Mit dem finanziellen Vorteil, den die Öffentlich-Rechtlichen haben, machen sie für Wettbwerber den Markt kaputt. Das kann nicht sein. Mich verwundert, dass die Verleger da so schlafmützig agieren. Bei Ihnen in Österreich haben sich in der letzten ORF-Krise sogar Zeitungen für ihn eingesetzt - kurios! Die Sender verfügen ja auch über professionell gedrehte Videos. Die verschaffen ihnen online einen Riesenvorteil. Texte sehen dort mittlerweile schon recht alt aus. Diese Schlacht wird noch heftig.

Wie sollen "alte" Redaktionen umrüsten?

Ruß-Mohl: Wenn ich eine Antwort darauf hätte, wär ich schon als Millionär auf den Bahamas. Das weiß momentan niemand. Wenn Paid-Content Erfolg hat, sieht die Welt in zwei Jahren völlig anders aus. Wenn nicht, wird der Prozess des Abschmelzens der Redaktionen rapide fortschreiten. Dann aber bringt das das ganze journalistische "Ökosystem" durcheinander. Selbst eine "Süddeutsche", eine "NYT", eine "Presse" gäb's nicht, wenn nicht mittelmäßige Regionalzeitung recherchieren und Material zuliefern würden. Ohne dieses Netzwerk funktioniert Qualitätsjournalismus nicht. Man muss auf die Zahlungsbereitschaft der Menschen setzen! Obama hat seine "Yes we can"-Kampagne hingekriegt, Umweltschützer lösen Verhaltensänderungen aus. Bei Medien geht es ja um relativ wenig Geld pro Nutzer und Tag.

Sie sind Schweizer Partner des EU-Forschungsprojekts "MediaAct", das Medien(selbst)kontrolle evaluiert. Wie sollte die im Idealfall aufgestellt sein?

Ruß-Mohl: Gefragt ist Vielfalt, also: ein Presserat, Ombudsleute. Medienblogs z. B. funktionieren ebenfalls gut - was ich mir aber wünsche: mehr Plattformen in den alten Medien TV und Print, in denen über Medien selbst berichtet wird. Das würde das Publikum ein Qualitätsbewusstsein entwickeln lassen, gäbe der Selbstkontrolle Raum und den Verlegern ein Verkaufsargument.

Nützlich wäre wohl auch ein Schulfach Medienkunde?

Ruß-Mohl: Ja! Das darf dann nur nicht zu PR-Aktionen à la "Zeitung in der Schule" ausufern, das ist zu einseitig. Fachmedienkunde hingegen ist wichtig für uns alle, damit Demokratie funktioniert. Wie glaubwürdig sind die Medien? Da gibt's viel Nachholbedarf im deutschen Sprachraum. Übrigens auch ein wunderbarer Arbeitsmarkt für arbeitslose Journalisten und Kommunikationswissenschaftler (lacht).

Welche Zukunft hat "Citizen Journalism", das Einbeziehen von "User Generated Content"?

Ruß-Mohl: In vielen Fälle fließt der direkt ein, Beispiel Haiti. Spannend ist, wie zum Beispiel die NYT Leser ganz gezielt als Contentlieferanten einsetzt. In China und Russland, also in Ländern ohne Pressefreiehit, haben ihre Korrespondenten mit "Crowd Sourcing" experimentiert: Sie stellen einen noch unvollendeten Artikel ins Netz, Leser werden gebeten, darauf zu reagieren. Die eintrudelnden Hinweise, die über alte Recherchewege nicht zu bekommen wären, werden geprüft und überarbeitet - eine bereichernde Erfahrung. Das Problem ist: Wenn Redaktionen auf Teufel komm raus interaktiv werden wollen, kommen viele Reaktionen unter dem Niveau, das die Zeitung halten möchte. Auch damit muss man umgehen lernen.

Zur künftigen Finanzierung von Medien: Fazit Ihres Buches ist "Qualitätsjournalismus wird weiterleben" - was macht Sie so sicher?

Ruß-Mohl: Der Berufsoptimismus! (lacht) Solange die Häuser ihre Artikel gratis ins Netz stellen, wird sich allerdings nichts ändern. Setzt sich Paid-Content durch, dann hat die NYT vielleicht - bei einer bisherigen Auflage von einer Million - zwei Millionen Online-Abonnenten. Davon wird die Zeitung leben können, in the long run. Allerdings bin ich mit der Meinung relativ alleine. US-Internetguru Jeff Jarvis (http://www.buzzmachine.com) etwa ist völlig anderer Ansicht. Bei Leuten wie ihm habe ich allerdings immer wieder das Gefühl, die können nicht rechnen. Ich glaube nicht an reine Werbefinanzierung im Internet - zumindest nicht beim Qualitätsjournalismus mit Hintergrundberichterstattung, Korrespondenten usw.

In Apples iPad, das im April auf den Markt kommt, sehen Verleger die rettende Erlösung, versprechen sich die Verquickung von Print mit Online/Mobile. Ist das iPad nur Projektionsfläche in der Not oder ist der Jubel berechtigt?

Ruß-Mohl: Der Hype, der von den alten Medien inszeniert wird, hat mich irritiert. Die Dinge könnten sich damit schon sehr ändern - aber ob es wirklich das iPad ist, das sich durchsetzt? Das ist immer noch ein unhandliches Trumm. Elektronisches Papier hingegen kann man vermutlich demnächst in die Jackentasche stecken. Das Handy wiederum ist fürs mobile Lesen am Bildschirm zu klein. Wobei: Auch das ist reine Gewohnheitssache.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12. 3. 2010)

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