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Deutschland Flüchtlinge

Kirchen unterlaufen das Asylrecht sehr erfolgreich

Innenminister de Maizière vergleicht das Kirchenasyl mit der Scharia. Dafür nennt ihn Göring-Eckardt „Elefant im Porzellanladen“. Doch warum macht die Kirche die Arbeit der Härtefallkommissionen?

Abid floh 2012 aus Afghanistan. Auf das Haus seiner Familie waren Bombenanschläge verübt worden. Nach seiner Flucht gelangte Abid nach Schweden. Doch dort, so erzählt der heute 21-Jährige, habe ihm die Abschiebung gedroht. „Als ich eines Tages meine Wohnung betrat, lag dort ein Brief, in dem stand, ich solle wieder zurück nach Hause.“

2014 sei es ihm gelungen, nach Deutschland zu fahren. Über Hamburg kam er nach Berlin, wo er jetzt seit vier Wochen Kirchenasyl in der evangelischen Paulusgemeinde Lichterfelde hat. Die Gemeinde bezahlt ihm die Verpflegung, das Nahverkehrsticket und die Unterkunft. Eine ehrenamtliche Lehrerin erteilt ihm drei Mal pro Woche Deutschunterricht. „Er engagiert sich bei uns sehr gut“, sagt Abids Lehrerin.

Am Dienstag bekam Abid politischen Besuch. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt machte sich in der Paulusgemeinde ein Bild von jenem Kirchenasyl, über das nach öffentlicher Kritik durch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) eine heftige Diskussion entbrannt ist.

Das Kirchenasyl ist eine christliche Form zivilen Ungehorsams, der Respekt verdient
Katrin Göring-Eckardt, Grünen-Fraktionsvorsitzende

Die Protestantin Göring-Eckardt, ehemalige Synodenpräses der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), verteidigt es. Es sei „eine Variante, Menschen auf der Flucht zu helfen“. Scharf kritisierte sie de Maizière: Er sei mit seinen Einwänden gegen das Kirchenasyl wie ein „Elefant im Porzellanladen“ aufgetreten, schrieb sie in einem Brief an den Innenminister.

De Maizière, ebenfalls Protestant und treuer Anhänger seiner Kirche, hat in jüngster Zeit mehrfach betont, dass er als Verfassungsminister das Kirchenasyl grundsätzlich ablehnt. Eine religiöse Institution dürfe sich nicht über das Aufenthalts- und Asylrecht hinwegsetzen. Schließlich könne auch die Scharia als „eine Art Gesetz für Muslime“ nicht über deutschen Gesetzen stehen.

Zwar könne man, so de Maizière im Deutschlandfunk, in Einzelfällen „vielleicht mal Gnade vor Recht ergehen lassen“. Aber weil die Zahl der Kirchenasyle stark gestiegen ist, gehe es mittlerweile um „eine systematische Verhinderung von Überstellungen“, und das sei „ein Missbrauch des Kirchenasyls“.

Hingegen nannte Göring-Eckardt das Kirchenasyl „eine christliche Form zivilen Ungehorsams, der Respekt verdient“. Ähnlich hatten sich in jüngster Zeit zahlreiche evangelische Geistliche geäußert.

Dublin-Regeln der EU sollen umgangen werden

In Deutschland gibt es derzeit – Stand 2015 – rund 200 Fälle solcher Kirchenasyle. Nach Angaben der ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“ geht es dabei um insgesamt 359 Personen. Die große Mehrheit der Fälle, 169 der 200, betreffen das Dublin-Verfahren der EU.

Es handelt sich somit meist um Personen, die nach ihrer Flucht aus der Heimat zunächst nicht in Deutschland, sondern in einem anderen EU-Mitgliedsstaat erfasst wurden und erst danach nach Deutschland gelangten. Gemäß den Dublin-Regeln müssen solche Menschen ins Erstaufnahmeland zurückgebracht werden, wo über ihre Asylberechtigung entschieden wird.

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Diese Rückführung versuchen Gemeinden in Härtefällen zu verhindern. Etwa wenn die Betroffenen durch die Rückführung von ihrer in Deutschland lebenden Kernfamilie getrennt würden, wenn eine zu rasche Abschiebung drohe oder wenn die Bedingungen im EU-Erstaufnahmeland als unzumutbar erscheinen.

Kirchenasyl hat oft Erfolg

Jenen Menschen versuchen evangelische und auch katholische Gemeinden ein Verfahren in Deutschland zu ermöglichen, indem sie sie für sechs Monate beherbergen. Denn dann ist nach bisheriger Rechtslage die Frist abgelaufen, innerhalb derer die deutschen Behörden jene Menschen ins Erstaufnahmeland zurückbringen können.

Als Erfolg bewertet die Bundesarbeitsgemeinschaft, dass rund 95 Prozent der Menschen, deren Anliegen nach einem Kirchenasyl von deutschen Behörden geprüft wurden, einen gesicherten Aufenthaltstitel erhalten hätten.

Ich kann wieder essen und schlafen. Ich fühle mich hier zu Hause
Mercy Amiosonor, Asylbewerberin

Hierauf kann auch Mercy Amiosonor mittlerweile hoffen. Sie sitzt mit gesenktem Blick im Gemeindesaal der Kölner Thomaskirche. Die 26-jährige Nigerianerin ist mit ihrem zweijährigen Sohn Prince im September vergangenen Jahres in Köln angekommen und steht unter dem Schutz der hiesigen Kirchengemeinde. „Ich kann wieder essen und schlafen. Ich fühle mich hier zu Hause“, sagt Mercy Amiosonor. Sie erzählt auf Englisch ihr persönliches Drama: Sie war als Mädchen aufgrund familiärer Verbindungen nach Libyen gekommen, wo sie dann vom Ausbruch des Bürgerkriegs überrascht wurde.

Vor dem Bürgerkrieg versuchte sie zu fliehen und wurde von Schleusern auf die italienische Insel Lampedusa gebracht. In einem Boot, das vor ihrem fuhr, starben Dutzende Flüchtlinge.

Sie selbst überlebte, musste aber in Lampedusa erfahren, dass sie zur Prostitution gezwungen werden sollte, um auf diese Weise die Schleuserkosten zu begleichen. Amiosonor, mittlerweile schwanger, floh weiter und erreichte Berlin.

In der deutschen Hauptstadt ging sie zur Polizei und wurde in Aufnahmestellen nach Dortmund, Hemer und zuletzt Köln übersandt. Als sie erfuhr, dass sie nach Lampedusa zurückgebracht werden sollte, weil die Bundesrepublik die Zuständigkeit für ein Asylverfahren ablehnte, wandte sie sich an die evangelische Kirche in Köln.

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Im Jugendheim der Thomaskirche kam sie mit ihrem Sohn unter, in einem 30 Quadratmeter großen Zimmer im Untergeschoss. „Ich wohne ja wie Angela Merkel“, sagte die Afrikanerin damals. Die evangelische Kirchengemeinde entschied, der Nigerianerin Kirchenasyl zu gewähren.

„Die Menschen wollen, dass Kirche Profil zeigt, und mit dem Kirchenasyl tut sie genau das“, sagt Thomaskirchen-Pfarrer Christoph Rollbühler. Die Kirche, so der 43-Jährige weiter, „zeigt Profil, indem sie Leben entschieden schützt. Es ist nicht nur eine Selbstverständlichkeit, es ist sogar unsere Pflicht, denen Schutz zu gewähren, die Schutz brauchen.“ Mercy Amiosonor und ihr Sohn Prince seien der Gemeinde „ans Herz gewachsen“.

Härtefallkommissionen sind ähnlich erfolgreich

Und die Gemeinde hatte Erfolg: Das Verwaltungsgericht Köln hat gerade entschieden, dass Deutschland für das Asylverfahren von Mercy Amiosonor zuständig ist. Jetzt beginnt das Verfahren, während die Frau und ihr Sohn in einem Flüchtlingsheim wohnen. Die Kirchengemeinde hat sich schon um einen Kindergartenplatz für den Jungen gekümmert.

Doch auch wer hierin einen Erfolg sieht, kann fragen, ob dafür ein Kirchenasyl erforderlich war. Kritiker dieser Praxis verweisen jedenfalls darauf, dass ein Prüfverfahren in Deutschland auch anders herbeigeführt werden kann: durch Härtefallkommissionen, die es in allen Bundesländern gibt.

Auch sie kümmern sich um Menschen, bei denen Ausnahmeregelungen nötig sein könnten, und auch bei diesen Kommissionen sind die Chancen gut. In 90 Prozent der Fälle, in denen die Kommissionen bei den Behörden um einen Aufenthaltstitel für Härtefälle ersucht hatten, wurde dem stattgegeben. Bis Ende 2013 – neuere Zahlen liegen nicht vor – profitierten davon insgesamt 6085 Personen.

Dennoch ist die Zahl der Kirchenasyle gestiegen. Sind es jetzt 200 Fälle, die jeweils mehrere Personen umfassen können, so waren es Anfang 2014 nur 34.

Allerdings wird das Kirchenasyl neuerdings erschwert. Deutsche Behörden stufen die Betroffenen nun als „flüchtig“ ein. Bei flüchtigen Personen aber beträgt die Frist, innerhalb derer sie ins Erstaufnahmeland zurückgebracht werden können, nach den EU-Regeln 18 Monate. Somit müssten die Gemeinden den Personen künftig für eine Zeit von bis zu eineinhalb Jahren Unterschlupf gewähren.

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