Ein Punkt ist mehr als keiner

Piratenpartei Hat die Piratenpartei Erfolg, müssen wir unseren gewohnten Begriff von Partei überdenken. Es ist auch höchste Zeit dafür

Die Piratenpartei macht, was ihre verdammte Pflicht ist nach so einem guten Abschneiden bei der Europawahl. Sie mischt sich in die politische Willensbildung ein. Sie zieht aus der Aufmerksamkeit, die sie nach der Wahl bekommen hat und die ungleich höher ist, als das Wahlergebnis von 0,9 Prozent der Stimmen, jetzt die Konsequenzen. Auch das schuldet sie ihren Wählern. Sie hat nun dazu aufgerufen, sich an der Online-Petition gegen Internet-Sperren noch zu beteiligen. Die Zeichnungsfrist endet in fünf Tagen am 16. Juni. Rund 230.000 Wähler haben der Partei ihre Stimme gegeben, auch aus der Empörung über die Gesetzespläne von Ursula von der Leyen heraus. Aber "nur" rund 115.000 Menschen haben bisher an der Online-Petition teilgenommen. Ein guter Grund, um das eigene Wählerpotenzial noch einmal für das kurzfristige politische Ziel zu aktivieren. In soweit ist die Piratenpartei eine Partei wie jede andere.

Trotzdem wird belächelt, was da entsteht. 0,9 Prozent der Stimmen bei den Europawahlen, wo gern mal am Rand oder ein bischen zum Spaß gewählt wird, bedeuteten noch gar nichts für nationale Wahlen, heißt es da. Und noch schwerwiegender: Es handele sich um eine Ein-Themen-Partei, da sei ihr Schicksal doch vorherbestimmt, singen die eifrigen Bestatter. Auf den ersten Blick klingt das auch wie ein überzeugendes Argument. Aber es ist voreilig.

Denn wer so denkt, denkt so deutsch und vergisst - wieder einmal -, dass der deutsche Parlamentarismus und seine Parteienlandschaft nicht in Blei gegossen sind. Das hätten die etablierten Parteien zwar gern, nicht nur die mit der über hundertjährigen Geschichte. Das haben sie auch erfolgreich in der Mehrheitsmeinung verankert. Und zwar so erfolgreich, dass das Verfassungsgericht sie schon vor Jahrzehnten zu Verfassungsinstitutionen gemacht hat, die staatlich finanziert werden. Außerhalb Deutschlands haben die politischen Parteien selten einen solchen Rang. Das hat viel Gutes. Aber auch viele Nachteile. Dazu gehört zum Beispiel das weit verbreitete Unbehagen, wenn sich das Vier-Parteien-System mit der Erfolg der Linkspartei zum Fünf-Parteiensystem verändert. Das Missfallen ist ebenfalls weit verbreitet, wenn Protestparteien zu Wahlen in den Ländern antreten. Mit einer neuen Partei zu landen – das ist in der Bundesrepublik harte Kärnerarbeit. Bei unseren Nachbarn in Italien und Frankreich ist das vollkommen anders.

Und auch in Deutschland ist es nicht unmöglich. Wenn man es sich genau ansieht, dann sind einige Parteien, die es in den letzten Jahren zu Erfolg gebracht haben, als Ein-Themen-Partei gestartet. Die Grünen begannen als verlängerter Arm der Anti-AKW-Bewegung. Auch auf die Linkspartei trifft das in gewisser Weise zu. Denn als sie noch PDS hieß hat es ihr selten geschadet, von der Konkurrenz maßlos zur Wendeverlierer auf roten Socken reduziert zu werden. Es hat ihr sogar genützt.

Keiner der Experten, die nun das Grablied anstimmen, hätte sich vor ein paar Monaten zu der These verstiegen, dass sich das Verlangen nach digitalen Freiheitsrechten noch einmal so laut in Deutschland äußern würde, wie derzeit. Auf solche Prognosen ist kein Verlass.

Debattieren Sie das Thema in der Wahlkampfarena. Die aktuelle Frage der Woche: "Ist die Piratenpartei auf dem Weg zu bundespolitischen Relevanz?"


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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

Jörn Kabisch

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