Schweizer legen Milliarden an Schwarzgeld offen

Die Zahl der Selbstanzeigen bei den Steuerbehörden nimmt zu: Mehr als 15 000 Fälle wegen nichtdeklarierter Vermögen haben die Kantone seit 2010 bearbeitet.

Von Eugen Stamm und Franziska Pfister
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Die Zürcher Justiz hat gegenüber einem Ehepaar zu Unrecht den Aufschub der Grundstückgewinnsteuer widerrufen. (Bild: Christian Beutler / Keystone)

Die Zürcher Justiz hat gegenüber einem Ehepaar zu Unrecht den Aufschub der Grundstückgewinnsteuer widerrufen. (Bild: Christian Beutler / Keystone)

Einfach am Schalter vorbeikommen und rasch das Schwarzgeld melden: Der Kanton Bern hat ein Merkblatt mit Empfehlungen verfasst, wie Bürger «hinterzogene Elemente» legalisieren können. Die Anforderungen sind bewusst tief gehalten, ein Formular ist nicht nötig, bloss der Hinweis, dass bisher nicht alle Gelder deklariert waren.

Allein 170 Berner Millionäre sind der Aufforderung in den letzten fünf Jahren gefolgt, sie haben sich selbst angezeigt und sieben- bis achtstellige Vermögen offengelegt. Ein grosser Fisch ging 2014 der Zürcher Steuerbehörde ins Netz: Eine Privatperson legalisierte mittels einer Selbstanzeige Vermögenswerte von gegen 50 Mio. Fr., die sie in der Steuererklärung zuvor nicht angegeben hatte, verlautet aus dem Umfeld des Steueramts. Insgesamt meldeten für 2014 21 Kantone 7569 Selbstanzeigen – eine Rekordzahl.

Der Bund schuf die Möglichkeit der «straflosen Selbstanzeige» im Jahr 2010. Einmal im Leben kann jeder Bürger Schwarzgeld melden, und – sofern er «vorbehaltlos» mit den Behörden zusammenarbeitet – ohne Busse davonkommen. Die hinterzogenen Steuern und Verzugszinsen für die abgelaufenen zehn Jahre müssen allerdings bezahlt werden. Teurer wird es, falls später weitere nichtdeklarierte Vermögenswerte auftauchen oder wenn der Fiskus einem auf die Schliche kommt. Dann droht neben den geschuldeten Steuern auch eine Strafzahlung. Und die kann bis zum Dreifachen der hinterzogenen Steuern betragen.

Mehr als 15 000 Selbstanzeigen haben die Kantone seit 2010 dem Eidgenössischen Finanzdepartement als erledigt gemeldet – mit steigender Tendenz. Wie viele landesweit hängig sind, wird nicht erhoben. Zahlen des Kantons Bern zeigen, dass Konti, Wertschriften und Liegenschaften im Ausland den Löwenanteil der nichtdeklarierten Vermögenswerte ausmachen.

Grosse Kantone wie Bern, Zürich und Aargau verzeichneten 2014 eine Rekordzahl von Selbstanzeigen. Allein in Zürich wurden unversteuerte Vermögen von gut 1 Mrd. Fr. gemeldet – nahezu doppelt so viel wie im Vorjahr. Die Finanzdirektion führt dies auf die öffentliche Diskussion und geplante gesetzliche Anpassungen zurück. Der Bundesrat hat im Sommer 2014 entschieden, dass die Schweiz das Bankgeheimnis gegenüber anderen Staaten aufgeben und beim automatischen Datenaustausch mitmachen wird. Schweizer Banken stellen sich darauf ein, den Steuerbehörden in einigen Jahren auch über ihre Schweizer Kunden Auskunft geben zu müssen.

«Gerade ältere Leute haben das Versteckspiel satt, weil sie nicht mehr gut schlafen», sagt Jürg Birri, Leiter der Rechtsberatung der Revisions- und Beratungsgesellschaft KPMG. Ihn konsultieren regelmässig Kunden, die sich selbst bei den Steuerbehörden anzeigen wollen. «Die Leute wollen nicht vor ihren Kindern als Steuerhinterzieher dastehen. Das kommt ihnen oft erst spät in den Sinn, aber es kommt ihnen in den Sinn.»

Die Steueraffären um Klaus Zumwinkel, den vormaligen Chef der Deutschen Post, und den Fussballmanager Uli Hoeness hätten auch Schweizer aufgeschreckt, sagt der Steuerstrafrechtler Daniel Holenstein, der Mandanten in die Steuerehrlichkeit begleitet. Er kennt Fälle von Unternehmern, die einen Notgroschen in Liechtenstein angelegt haben. Bald werde es für sie unausweichlich, ihre Situation aufzudecken. Der Informationsaustausch mit dem Nachbarland werde in zwei, drei Jahren anlaufen.

Doch sogar bei der Offenlegung von Vermögenswerten würden einzelne Steuersünder noch versuchen zu tricksen, sagt Holenstein. «Sie saldieren ihr Schwarzgeld-Depot, heben das Bargeld ab und verstecken es im Safe. Den Behörden geben sie an, das Geld habe schon immer dort gelegen.» Dahinter stecke die Absicht, die erzielten Erträge zu verbergen und dadurch die Nachsteuern zu reduzieren. Von Nachahmung rät der Anwalt ab: Die Behörden würden in solchen Fällen sehr genau nachfragen.

Manche Steueranwälte und Treuhänder sind in einer kniffligen Lage. Sie haften mit, wenn der Fiskus Kunden beim Hinterziehen erwischt. Denn das Gesetz bestraft auch Anstifter und Gehilfen bei der Steuerhinterziehung. «Wer in der Vergangenheit Kunden dabei beraten hat, wie sie Steuern hinterziehen können, der steht heute vor einem riesigen Problem», sagt Steueranwalt Robert Desax von Baker & McKenzie.

Das finanzielle Risiko für Berater ist enorm: Im Extremfall haften sie für die gesamten hinterzogenen Steuern der Kunden. Hinzu kommen Strafzahlungen von bis zu 50 000 Fr. und der Reputationsschaden. «Wer heute Wege zur Steuerhinterziehung sucht, dem sagt ein seriöser Steueranwalt oder Treuhänder: Suchen Sie sich woanders Rat», sagt Desax.

Mit Straffreiheit können fehlbare Berater nur rechnen, wenn sie alle Fälle aufdecken, in die sie involviert waren. Dazu müssen sie die Selbstanzeigen aller Kunden koordinieren – keine leichte Aufgabe. Wenn sie ihre Klienten mit der eigenen Anzeige verpfeifen, riskieren sie zudem Schadenersatzklagen.

Der Gang aufs Steueramt fällt Vermögenden schwer. Viele seiner Mandanten würden Zeit brauchen, bis sie den Entschluss fassten, sich selbst anzuzeigen, sagt Rechtsanwalt Daniel Holenstein. Sobald sie das aber getan hätten, falle eine Last von ihnen ab. «Die Leute sind sehr erleichtert, wenn man ihnen sagt, dass sie keine Busse bezahlen müssen», sagt er. Deshalb geht Holenstein davon aus, dass den Kantonen eine weitere grosse Welle von Selbstanzeigen bevorsteht.

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