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Internet-Gedächtnis Google will Streit um Brust-OP nicht vergessen

Ein Arzt verlangt, dass Google nicht länger einen 20 Jahre alten Bericht über einen angeblichen Kunstfehler verlinken darf. Das Unternehmen wehrt sich juristisch. Ein Recht auf Vergessen gibt es im Internet bisher nicht. In der Europäische Union gibt es Pläne, genau das zu ändern.
Google-Messestand auf der Cebit: Falscher Ansprechpartner?

Google-Messestand auf der Cebit: Falscher Ansprechpartner?

Foto: Jochen Lübke/ dpa

Hamburg - Vergeben und vergessen funktioniert im Internet nicht mehr so einfach: In Spanien versucht derzeit ein plastischer Chirurg, einen Google-Treffer zu entfernen. Die Suchmaschine fördert einen 20 Jahre alten Bericht der Zeitung "El Pais" über einen angeblichen Kunstfehler zu Tage. Der Arzt hatte eine 21-Jährige operiert, danach kam es zu schweren Komplikationen.

Der Arzt wurde schuldig gesprochen, so steht es in dem Artikel. Dass er später von den Vorwürfen freigesprochen wurde, steht nicht darin. Sucht man mit Google nach dm Betreiber einer privaten Schönheitsklinik, ist der Text aber einer der ersten Treffer. Nun haben Gerichte in Spanien wie auch in Deutschland entschieden, dass solche Berichte in Online-Archiven zulässig sind und nachträglich nicht verändert oder gar gelöscht werden müssen, selbst wenn sich deren Inhalt mittlerweile überholt hat.

War der Bericht zum Zeitpunkt der Veröffentlichung zulässig, dann darf er so auch im Online-Archiv viele Jahre später noch stehen. In Deutschland hat das der Bundesgerichtshof im vergangenen Jahr festgestellt: Zwei verurteilte Mörder, die nach 16 Jahren Haft auf Bewährung entlassen worden waren, hatten gegen SPIEGEL ONLINE geklagt, weil Artikel mit ihren Namen und mit Fotos von ihnen im Internet abrufbar sind.

So ist es bis heute: Das Internet vergisst nicht. "Ein Gebot der Löschung aller früheren den Straftäter identifizierenden Darstellungen in 'Onlinearchiven' würde dazu führen, dass Geschichte getilgt und der Straftäter vollständig immunisiert würde", heißt es in der Urteilsbegründung (Aktenzeichen VI ZR 243/08).

Das Recht auf vergessen

Doch gilt das auch für Google? Die spanische Datenschutzbehörde AEPD hat von dem Unternehmen in mehreren Fällen verlangt, Links auf veraltete oder fehlerhafte Informationen aus seinem Suchindex zu löschen. Auch der Doktor ist darunter. Dagegen wehrt sich Google seit Januar dieses Jahres vor Gericht. Man sei schließlich nur der Vermittler, gelöscht werden müsste wenn überhaupt der Artikel auf den Seiten der "El Pais", alles andere sei Zensur.

Spanien sei das einzige Land, in dem Google aufgefordert werde, legale Inhalte aus seinem Suchindex zu löschen, sagte einer der Anwälte. In anderen Ländern löscht das Unternehmen Suchtreffer, wenn diese illegal sind. Eine öffentliche Statistik gibt Auskunft darüber, wie oft staatliche Stellen eine Löschung verfügen.

Das Gericht in Spanien erwägt nun, den Fall an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) abzugeben, berichtet das "Wall Street Journal" . Sehr zur Freude von Google. Gleichzeitig wird in der Europäischen Union ein "Recht auf Vergessen" diskutiert, ein Prinzip, auf das sich auch die spanischen Datenschützer berufen.

"Ich trete für das Recht jedes Einzelnen ein, jederzeit auf seine Daten zuzugreifen und sie auch löschen zu können", sagte EU-Justizkommissarin Viviane Reding im November des vergangenen Jahres. Sie arbeitet derzeit mit mit den Mitgliedstaaten und dem EU-Parlament an einem modernen Datenschutzrecht. Die Nutzer sollen mehr Kontrolle über ihre Daten bekommen. Bisher ist dabei allerdings vor allem von sozialen Netzwerken die Rede - und nicht von Google oder Zeitungsarchiven. Noch wird die Pressefreiheit in der Diskussion nicht angetastet.

"Keine Macht den Datenschützern"

Deutsche Politiker träumen schon von einem "digitalen Radiergummi", einer technischen Lösung, mit der sich die eigenen Daten jederzeit wieder aus dem Web tilgen lassen sollen. Das klingt einfach und verlockend für all jene, die den Kontrollverlust über die Privatsphäre beklagen, widerspricht aber der grundsätzlichen Funktionsweise des Internets. Eine vorgestellte Software-Lösung, mit der Bilder ein Verfallsdatum bekommen sollen, scheint schon vor dem Start zum Scheitern verurteilt.

Weil sich Daten im Internet auch mit Gerichtsurteilen und Verfallsdaten nicht ohne weiteres einfangen lassen - der sogenannte Streisand-Effekt - plädieren einige Internet-Aktivisten, sich mit dem Ende der Privatsphäre schlicht abzufinden. "Es nützt nichts, man muss die Realität anerkennen und überlegen, wie man damit umgeht", sagt Julia Schramm von der "datenschutzkritischen Spackeria" . Die Gruppe lehnt all zu strikten Datenschutz ab, ihre Utopie ist eine Welt, in der niemand seine Daten schützen muss, weil sie nicht missbraucht werden können.

"Keine Macht den Datenschützern", fasst Schramm das Anliegen der "Post-Privacy"-Advokaten zusammen. Angesichts datenhungriger Unternehmen wie Facebook und Google keine besonders populäre Meinung - doch allemal konstruktiver als nicht funktionstüchtige Konzepte aus der analogen Welt wie das "digitale Radiergummi".

Der Schönheitschirurg hat auch ohne digitales Radiergummi und ohne neue Datenschutzgesetze etwas erreicht: Weil über seinen Streit mit der Suchmaschine vielfach berichtet wurde, finden sich unter den ersten Google-Treffern zu seinem Namen nun auch etliche neue Artikel. Darin wird auch über den Ausgang des zurückliegenden Rechtsstreits berichtet: Busen verhunzt, Arzt unschuldig.

ore