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Bericht eines Schaffners "Wir fühlen uns nicht sicher"

Wie groß ist das Problem mit Gewalt in Zügen? Ein Schaffner, der seit 24 Jahren in Berlin und Brandenburg arbeitet, erzählt von seinen Erfahrungen aus dem "Krisengebiet", wie er es nennt.
Tatort Regionalzug: "Streckenabschnitte, die wir intern nur noch den 'Gaza-Streifen' nennen"

Tatort Regionalzug: "Streckenabschnitte, die wir intern nur noch den 'Gaza-Streifen' nennen"

Foto: imago

SPIEGEL ONLINE nahm Kontakt mit Schaffnern auf. Die Frage: Wie sind Ihre Erfahrungen mit Gewalt in Zügen? Manche, etwa aus Bayern, winkten ab: Es komme zwar immer wieder zu Beschimpfungen, aber Gewaltattacken hätten sie bisher selbst nicht erlebt, da gebe es nicht viel zu berichten. Andere waren nicht bereit, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Zu groß die Angst, erkannt zu werden, zum Beispiel von ihrem Arbeitgeber.

Ein 50-Jähriger sagte zu, einzige Bedingung: Sein Name soll unerwähnt bleiben. Er arbeitet seit 24 Jahren als Zugbegleiter in der Region Berlin-Brandenburg. Dort also, wo vor Kurzem erst eine Familie mit einem kleinen Kind offenbar von drei jungen Männern attackiert wurde.

Hier sein Bericht im Wortlaut:

"Als Zugbegleiter wurde ich schon so oft geschlagen, beleidigt oder bespuckt, ich könnte ein Buch darüber schreiben. Nicht nur mir geht es so: Viele meiner Kollegen wurden von Fahrgästen angegriffen und verletzt. Bei uns in Brandenburg gibt es ganze Streckenabschnitte, die wir intern nur noch den 'Gaza-Streifen' nennen. Dort ist es für uns wie im Krisengebiet, besonders abends am Wochenende ist die Arbeit in den Zügen dort sehr gefährlich, weil wir Übergriffe fürchten müssen.

Fünf Mal wurde ich bereits von Fahrgästen verprügelt, zwei Mal allein in diesem Jahr. Der letzte Angriff passierte vor einem Monat. An einem Sonntagnachmittag um 17 Uhr stiegen drei junge Männer Mitte 20 in den Zug und machten Randale. Sie brüllten durchs Abteil, traten immer wieder gegen die Sitze. Ich habe dem Lokführer Bescheid gesagt und die Polizei gerufen, wie vorgeschrieben. Dann bin ich auf die Jungs zugegangen, habe sie um Ruhe gebeten. Doch da hatte ich auch schon die Faust im Gesicht, immer wieder schlugen die Drei auf mich ein. Als sie an der nächsten Bahnstation aus dem Zug sprangen, konnte ich gerade noch ein paar Handyfotos schießen. Jetzt fahndet die Polizei nach den Tätern.

Ich will mich nicht einschüchtern lassen

Anfang des Jahres habe ich einen Wagen im Regionalzug Richtung Falkenberg kontrolliert. Plötzlich stand ein Mann vor mir, bis auf die Unterhose ausgezogen, er hatte keinen Fahrschein, kein Geld und keinen Ausweis dabei. Er hat mich in eine Ecke geschubst, mir ins Gesicht gespuckt und mehrmals auf mich eingeschlagen. Dabei brüllte er die ganze Zeit wie am Spieß, hatte glasige Augen und wirkte so, als stünde er unter Drogeneinfluss. So etwas ist erniedrigend. Der Mann ist geflüchtet, aber weil er mir zu Beginn noch seine Krankenkassenkarte gezeigt hatte, konnte ich Anzeige gegen ihn erstatten, bald steht der dritte Verhandlungstag vor Gericht an.

Eigentlich stecke ich solche Angriffe gut weg. Der psychologische Dienst der Deutschen Bahn ruft an, ich rede mit einem Seelsorger, werde ärztlich versorgt und eine Woche krankgeschrieben. Der erste Arbeitstag nach so einem Vorfall ist nicht leicht. An einigen Bahnstationen überkommt mich jedes Mal wieder die Angst. Aber ich will mich nicht einschüchtern lassen, versuche nicht zu grübeln - da ist auch viel Verdrängung im Spiel.

Die Gewalt in den Regionalzügen nimmt hier in Brandenburg zu. Verbale und körperliche Angriffe stehen auf der Tagesordnung. Als ich 1990 anfing, als Zugbegleiter zu arbeiten, war das noch ganz anders. Aber heute haben besonders die jungen Leute keinen Respekt mehr vor uns Schaffnern, sie werfen uns alle erdenklichen Schimpfwörter an den Kopf. Meistens geht die Gewalt von jungen deutschen Männern zwischen 18 und 30 aus, die in einer Gruppe auf dem Weg zu einer Party sind und Alkohol getrunken haben. Verbal aggressiv werden jedoch auch ältere Fahrgäste schnell, etwa wenn sich ein Zug verspätet und sie ihren Anschluss verpassen.

Die Prügeleien zwischen Fahrgästen häufen sich

Oft sind es auch Rechte, die Probleme machen. Vor zwei Jahren hat eine Gruppe Neonazis ein ganzes Abteil in einem Regionalzug kurz- und kleingeschlagen. Sie haben die Fensterscheiben zerschlagen, die Sitzverkleidung zerrissen, der ganze Wagen musste später saniert werden. Zum Glück wurde dabei niemand verletzt, wir haben den Schaden erst bemerkt, als die jungen Männer bereits aus dem Zug ausgestiegen waren.

Die Deutsche Bahn weiß von diesen 'Gaza-Streifen' auf den Bahnstrecken in Brandenburg. Wir Schaffner werden in Deeskalationstrainings auf Konflikte mit Fahrgästen vorbereitet. Doch in der Praxis nützte mir das bisher nichts, ich fühle mich trotzdem nicht sicher. Bis vor etwa drei Jahren wurden wir oft von Sicherheitskräften in den Zügen begleitet, heute nicht mehr. Ich bin als Schaffner alleine mit dem Lokführer im Zug. Ich verstehe das nicht. Immer wieder werden Kollegen zusammengeschlagen, auch die Prügeleien zwischen Fahrgästen häufen sich - da könnten wir Unterstützung gut gebrauchen. Doch wir Schaffner fühlen uns oft mit dem Problem alleingelassen."

Aufgezeichnet von Annika Lasarzik

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