Politik

Brüssel plant neue Versicherung Muss Berlin für Spaniens Arbeitslose zahlen?

Spanien dürfte laut einer Studie der Bundesagentur für Arbeit zu den Hauptprofiteuren einer europäischen Arbeitslosenversicherung gehören.

Spanien dürfte laut einer Studie der Bundesagentur für Arbeit zu den Hauptprofiteuren einer europäischen Arbeitslosenversicherung gehören.

(Foto: REUTERS)

Es gibt gewaltige Verwerfungen in der Europäischen Union. Die Arbeitslosenquote in Spanien ist fast fünf Mal so hoch wie in Deutschland. EU-Sozialkommissar Andor will deshalb eine europäische Arbeitslosenversicherung einführen.

EU-Sozialkommissar Lazlo Andor treibt die Idee einer europäischen Arbeitslosenversicherung schon seit Langem voran. In der "Welt" konkretisiert er jetzt die durchaus umstrittene Maßnahme.

Menschen, die in Europa arbeitslos geworden sind, sollen laut dem Ungarn für sechs Monate 40 Prozent ihres bisherigen Gehalts bekommen. Die einzelnen Nationalstaaten könnten das ausgezahlte Arbeitslosengeld darüber hinaus aufstocken. Andor gibt auch konkret an, wo das Geld dafür herkommen soll: aus Steuermitteln aller Euroländer.

EU-Kommissar Lazlo Andor: "Es geht kein Weg daran vorbei, dass wir künftig mehr Transfers von Geldern zwischen den Euro-Ländern vornehmen."

EU-Kommissar Lazlo Andor: "Es geht kein Weg daran vorbei, dass wir künftig mehr Transfers von Geldern zwischen den Euro-Ländern vornehmen."

(Foto: picture alliance / dpa)

Wie hoch die Transferleistungen aus Deutschland ausfallen könnten, wenn Brüssel die Pläne umsetzt, zeigt eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Die Einrichtung der Bundesagentur für Arbeit hat kürzlich die Folgen berechnet, wenn über eine europäische Arbeitslosenversicherung 50 Prozent des früheren Lohnes gezahlt würden. Zwischen 2006 und 2011 hätte die Bundesrepublik demnach 20 Milliarden Euro abgeben müssen - fast ein Drittel der Gesamttransfers in der EU. Größter Profiteuer wäre Spanien, das in dieser Zeit fast 38 Milliarden Euro erhalten hätte.

Andor sagt: "Es geht kein Weg daran vorbei, dass wir künftig mehr Transfers von Geldern zwischen den Euroländern vornehmen." Als Begründung nennt er Schwachstellen in der Konstruktion der Währungsunion. Und die einzelnen Mitgliedsstaaten haben tatsächlich nur sehr begrenzte Möglichkeiten, kurzfristig auf regionale Konjunktureinbrüche zu reagieren. Vor der Einführung der Währungsunion konnten Länder Krisen durch eine Abwertung der eigenen Währung abfangen. Diese Möglichkeit ist ihnen heute genommen. Andor versucht daher, die bewährten Systeme der Nationalstaaten auf die EU zu übertragen. In Deutschland etwa sind Bürger aus Bremen und Berlin teil des selben Arbeitsmarktes. Ihnen steht es schließlich jederzeit offen, in einem anderen Bundesland einen Job anzutreten. Logischerweise sind sie deshalb auch Teil der selben Arbeitslosenversicherung, wenn sie ihren Job verlieren. Da es mittlerweile auch einen europäischen Arbeitsmarkt gibt, muss es im Sinne Andors auch eine europäische Arbeitslosenversicherung geben. Andor hofft darauf, dass seine Pläne die Stabilität in der Eurozone stärken und die Wirtschaft in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs kurzfristig beleben können.

Kritiker befürchten allerdings, dass die Transferzahlungen das falsche Werkzeug sind, weil die EU eben kein Nationalstaat ist. Handelt es sich um konjunkturell bedingte Arbeitslosigkeit, mag eine europäische Arbeitslosenversicherung Experten zufolge durchaus zur Stabilität in der Währungsunion beitragen. Handelt es sich aber um strukturelle Arbeitslosigkeit, hat sie das Potenzial, diese zu verfestigen, weil sie die dann eigentlich angebrachten Reformen im Lande verzögern können. Und anders als im Nationalstaat ist es nur bedingt möglich, notwendige Reformen zu erzwingen. Die Konsequenz: Wirtschaftlich starke Euroländer wie Deutschland würden zu Dauergebern werden. Der Anreiz für wirtschaftlich schwache Staaten, gegen strukturelle Mängel vorzugehen, bliebe wiederum gehemmt.

Anreiz für Reformen

Andor versichert zwar, dass seine Pläne solche Effekte nicht auslösen würden: "Nein, das ist nicht so. Wenn wir Anfang der neunziger Jahre eine europäische Arbeitslosenversicherung gehabt hätten, so hätte auch Deutschland davon profiert." Die Folgen der hohen Arbeitslosigkeit wären dann "weniger dramatisch" ausgefallen. Er fügt hinzu: "Europa hätte Deutschland geholfen." Dabei geht er allerdings nicht darauf ein, dass die schwierige Lage Deutschlands in den 90er-Jahren am Ende zu den Hartz-IV-Reformen geführt hat. Sie sind letztlich mit dafür verantwortlich, dass der deutsche Arbeitsmarkt heute zu den robustesten in ganz Europa zählt.

Kritiker werfen Andor deshalb vor, in Wirklichkeit das Ziel zu verfolgen, einen automatischen Kanal für innereuropäische Transfers zu eröffnen - von den besser- zu den schlechtergestellten Staaten. Befürworter halten dagegen, dass die europäische Arbeitslosenversicherung ein wichtiges Instrument sein könnte, soziale Verwerfungen in der EU zu bekämpfen.

Ob die europäische Arbeitslosenversicherung wirklich kommt, ist noch vollkommen ungewiss. Notwendig wäre dafür eine Änderung der EU-Verträge. Das heißt: Alle Mitgliedsstaaten müssten zustimmen. Vor wenigen Jahren setzte sich auch die Bundesregierung verstärkt für einen finanziellen "Solidaritätsmechanismus" ein. Wie dieser konkret aussehen könnte, blieb aber im Vagen. Nun sagt der Chef der deutschen Unionsabgeordneten im Europaparlament, Herbert Reul, der "Welt" über Andors Pläne: "Das ist der Versuch, Aufgaben nach Europa zu ziehen, die dort nicht hingehören."

Quelle: ntv.de, ieh

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