Bei einigen Themen hört bei evangelischen Christen die Toleranz auf, und das Heilige verlangt ein Ende aller protestantischen Pluralität. Die Heiligtümer des Evangelischen Kirchentages in Hamburg waren dreieinige Behälterensembles mit Deckeln in gelb, blau und anthrazit, überragt von einem Schild: "Müllinsel".

Müllinseln sind die Herrgottswinkel des Kirchentages und die Altäre der Frömmigkeit. Bei nichts anderem ist sich der Kirchentag so einig. Aus Müllinseln schöpft der Kirchentag spirituelle Kraft und Entschiedenheit.

 

Ob Jesus wirklich Gott ist und die Bibel Gottes Wort enthält, darüber werden Kirchentage kontrovers diskutieren. Was Sex angeht, war der Kirchentag immer schon undogmatisch. Er braucht auch keinen Konsens darüber, ob Treue in der Partnerschaft heute noch nötig ist oder die Kirche ein Streikverbot braucht. Selbst bei der Position zur Exportpolitik deutscher Waffenhersteller leistet sich die evangelische Kirche den Luxus widersprechender Meinungen.

Aber beim Müll kennt der Kirchentag keinen Diskurs und keinen Widerspruch. Das Glaubensbekenntnis lautet: Müll trennen, Strom sparen, Fahrrad fahren. Der Anteil an Restmüll beim Kirchentag soll auf unter 30 Prozent sinken. Wie ernst das gemeint ist, musste der grüne Exfrontmann Rezzo Schlauch erfahren. Kürzlich bekannte er, dass ihm der Sinn der Mülltrennung nie aufgegangen sei. Damit hat sich der Pfarrerssohn eine Exkommunikation von allen Kirchentagspodien zugezogen. Ohne, dass man darüber reden müsste.

Die Homepage des Treffens zählt derweil auf, was schon erreicht wurde.  Die Besucherzahl hat mit knapp 120.000 einen neuen Rekord erreicht, wichtiger aber ist: weniger als ein halbes Kilo Müll pro Dauerteilnehmer. Was für ein Fortschritt: Vor zwei Jahren waren es noch knapp 900 Gramm! Zum traditionellen Kirchentagskonzert der Popgruppe Wise Guys strömten 65.000 Fans in den Hamburger Stadtpark. Sicher die größte Kirchentagsveranstaltung der letzten Jahrzehnte. Und nach dem Konzert die Wiese in jungfräulichstem Grün! Kirchentage, sagt Generalsekretärin Ellen Ueberschär, seien Festivals der Mitmachkultur.

Künftig sollte eine Müllbeichte die ganze Wahrheit an den Tag legen: Wie oft wurde die Eröffnungsansprache von Bundespräsident Joachim Gauck ausgedruckt, bis sie fertig war? Wie viele A-4-Bögen verschlang der viel bejubelte Auftritt der Bundeskanzlerin und ihres Herausforderers, die nicht recycelt wurden? Wie viel Wasser kostete die Reinigung der Abendmahlsgeschirre nach dem Abschlussgottesdienst?

Ich selbst habe gesündigt, denn ich trieb die Müllbilanz leichtfertig in die Höhe. Bei jedem Essen habe ich auf eine Serviette bestanden. Und als meine Nachbarin mir rote Grütze auf die Jacke gespritzt hatte, rannte ich zur Toilette, drehte unkontrolliert am Wasserhahn und hörte auf, die Papierhandtücher zu zählen.