WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Debatte
  3. Henryk M. Broder
  4. Empörung: Volker Becks Win-win mit Holocaustleugner Irving

Meinung Empörung

Volker Becks Win-win mit Holocaustleugner Irving

Reporter
Die Antifa demonstriert oft gegen die Nazis. Doch in anderen Fällen politischer Relevanz wie bei Besuchen iranischer Politiker schaut sie gern mal weg Die Antifa demonstriert oft gegen die Nazis. Doch in anderen Fällen politischer Relevanz wie bei Besuchen iranischer Politiker schaut sie gern mal weg
Die Antifa demonstriert oft gegen die Nazis. Doch in anderen Fällen politischer Relevanz wie bei Besuchen iranischer Politiker schaut sie gern mal weg
Quelle: picture-alliance/ dpa
Die Berliner Hotels sind aufgerufen, dem Holocaustleugner Irving keine Räume zu vermieten. Für den Grünen Volker Beck ist damit ein Zeichen gesetzt. Wenn man schon bei großen Antifa-Themen versagt.

Wir müssen wieder einmal über den deutschen antifaschistischen Widerstand sprechen, die sogenannte Antifa. Nein, nicht die aus der Zeit von 1933 bis 1945, als in Deutschland die Nazis das Sagen hatten, sondern die von heute.

Wir hatten bereits öfter Gelegenheit zu der Beobachtung, dass die Antifa vor allem dann und dort gedeiht, wo es keine Fa gibt, dass also die Abwesenheit von Faschismus die Grundlage für eine vitale Antifa ist, während im Faschismus selbst die Antifa kaum eine Chance hat, sich zu entfalten, weil dies mit Gefahren für Leib und Leben, Familie und Freunde verbunden wäre.

Leider ist es so, dass man sogar in extrem freien und demokratischen Gesellschaften immer einen Rest an Faschismus finden kann. So, wie es auch in reichen Gesellschaften immer Reste von Armut geben wird. Es ist alles eine Frage der Definition. Ein Scheich in Saudi-Arabien, dem nur 50 Vollblüter gehören, ist, verglichen mit seinem Onkel, der 500 Pferde sein Eigen nennt, arm dran.

Irving, ein fragwürdiger Historiker

Bei uns ertönt schon mal der Ruf „Faschismus“, wenn die Polizei eine Demo auflöst, aus der heraus Steine geworfen und Autos abgefackelt werden. In jedem Fall ist der Kampf gegen den Faschismus eine immerwährende Aufgabe, „work in progress“ sozusagen.

Nun droht der Bundesrepublik wieder Ungemach. Der britische Antisemit, Holocaustleugner und Revisionist David Irving hat einen Besuch in Berlin angekündigt. Irving spielt in der Zunft der Historiker etwa die gleiche Rolle wie Bushido in der Rapper-Szene, nur nicht so erfolgreich. Um auf sich aufmerksam zu machen, ist ihm alles recht.

Die Zahl seiner Anhänger ist recht überschaubar, seinen Ruf als Historiker hat er spätestens im Jahre 2000 eingebüßt, nachdem er die amerikanische Historikerin Deborah Lipstadt und den britischen Verlag Penguin Books vor einem Londoner Gericht wegen „Beleidigung, übler Nachrede und Geschäftsschädigung“ verklagt und den mit großem Aufwand geführten vier Jahre langen Prozess mit Pauken, Trompeten und einem riesigen Berg Schulden im Nacken verloren hatte.

Wegen Leugnens von Nazi-Verbrechen verurteilt

Im Jahre 2006 wurde der Brite von einem österreichischen Gericht wegen des Leugnens von Nazi-Verbrechen im Wiederholungsfalle zu drei Jahren Haft verurteilt, die er zum Teil absitzen musste. Schon vor 20 Jahren, 1993, bekam er ein Einreiseverbot für die Bundesrepublik, das vor Kurzem von einem Münchner Verwaltungsgericht aufgehoben wurde. Nun will er in Berlin vor einem kleinen und exklusiven Kreis auftreten, der Eintritt soll 91 Euro pro Kopf kosten.

Das Ganze wäre so unbemerkt geblieben wie ein Spiel des FC Treptow gegen den BSV Heinersdorf in der Berliner Kreisliga, hätte sich nicht der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, Volker Beck, der Sache angenommen.

Er rief den Berliner Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) auf, keine Räume an Irving zu vermieten, weder ein Zimmer zum Übernachten noch einen Konferenzraum zum Tagen. Worauf der Hauptgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbandes bekannt gab: „Ich vertraue darauf, dass Irving bei unseren Mitgliedern nicht unterkommt“ – eine ehrenwerte, wenn auch eher symbolische Geste, denn es gibt in Berlin genug Hotel- und Gaststättenbetriebe, die dem Verband nicht angehören.

Ein seltsamer Widerstand gegen Faschismus

Anzeige

Für Volker Beck freilich war es ein großer Sieg, so, als hätte die Wehrmacht bei Stalingrad zum zweiten Mal eins auf den Helm bekommen. „Neben dem friedlichen Protest auf der Straße ist das Hotel- und Gaststättengewerbe unser wichtigster Partner, um Irvings Auftritt zu verhindern. Ich freue mich, dass der Dehoga hier klare Kante gegen Hass und Hetze zeigt. Im starken Bündnis von Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik können wir ein starkes Zeichen setzen, dass die Leugnung des Holocaust und jede Form des Geschichtsrevisionismus keinen Fußbreit Platz bekommen.“

Jesus, Maria und Josef! Irving, der fließend Deutsch spricht, muss bei diesem Statement vor Begeisterung aus den Schuhen gefahren sein, hatte er doch ein starkes Bündnis von Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik geschmiedet, ohne mehr dafür zu tun, als einen Besuch in Berlin anzukündigen. Beck seinerseits dürfte auch gejubelt haben, war es ihm mit ein paar Lego-Sätzen gelungen, „ein Zeichen“ zu setzen.

Diese Art des retroaktiven, nachgeholten Widerstands gegen den „Faschismus“ und das Dritte Reich ist ebenso albern wie wohlfeil. Allerdings auch eine Win-win-Situation für alle Beteiligten. Beck profiliert sich mal wieder als der kleine grüne Stauffenberg, und Irving bekommt die PR für seinen Auftritt als Phantom der Geschichte frei Haus geliefert. Zu sagen, beide würden am selben Seil ziehen, wäre ein wenig gemein, dennoch: Sie helfen und ergänzen sich gegenseitig.

Schlimmer ist das Wegsehen in aktuellen Fällen

Dabei geht es buchstäblich um nichts. Ob Irving den Holocaust leugnet oder ob er behauptet, die Sonne gehe im Westen auf und im Osten unter, ist so irrelevant wie die Frage, ob Beck seine Brillen bei Fielmann im Laden oder online bei Mister Spex einkauft.

Worauf es ankommt, ist nicht, ob jemand den letzten Holocaust leugnet, sondern ob er den nächsten plant oder gerade einen kleinen Völkermord am eigenen Volk begeht, ohne dass ihm jemand dabei in den Arm fällt. Schlimmer als die „Leugnung des Holocaust“ und der „Geschichtsrevisionismus“ ist das Beiseitestehen, Wegsehen und Weghören in Fällen von aktueller Relevanz. Und da sieht die Bilanz der grünen Antifa sehr blass aus.

Unvergessen ist das herzliche „High Five“, das Claudia Roth mit dem iranischen Botschafter am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar dieses Jahres getauscht hat, ohne sich daran zu stören, dass an der Hand des Diplomaten viel Blut klebt. Er war unter anderem von 1980 bis 1985, also noch unter Khomeini, Gouverneur der iranischen Provinzen Kurdistan und Westaserbaidschan und für Hunderte von Todesurteilen gegen kurdische Oppositionelle verantwortlich.

Mehr als Märchen aus Tausendundeiner Nacht

Kein grüner Politiker hat die Münchner Hoteliers aufgerufen, dem Botschafter und seiner Entourage Obdach zu verweigern. Dass führende iranische Politiker Israel immer wieder als ein „Krebsgeschwür“ bezeichnen, das aus der Region entfernt werden müsse, wird von vielen Grünen und ihren Anhängern entweder als ein „Übersetzungsfehler“ verharmlost oder für eine Fortsetzung der Märchen aus Tausendundeiner Nacht gehalten.

Anzeige

Diese Orientalen mit ihrem Hang zu Übertreibungen! Das deutsche Atomprogramm ist von Übel, das iranische hingegen Ausdruck der nationalen Souveränität. Und wie die Mullahs ihre Oppositionellen, die Schwulen, die EhebrecherInnen und die Bahai behandeln, ist nicht gerade schön, aber kein Anlass, den Handel und die diplomatischen Beziehungen einzufrieren. Denn es handelt sich weder um einen „Holocaust“, der bei sechs Millionen Toten anfängt, noch um einen „Geschichtsrevisionismus“; die Mullahs stellen ja nicht die Vergangenheit auf den Kopf, sondern die Gegenwart.

Es gab auch keine Aufrufe an den Hotel- und Gaststättenverband, die Türen zu verrammeln, als iranische Regierungsvertreter zur internationalen Konferenz über „Energy Security – How to Feed and Secure the Global Demand“ am 10. Juli dieses Jahres nach Frankfurt kamen.

Eine reine Effekthascherei

Schirmherren dieser Konferenz waren die deutschen Minister Altmaier und Rösler. Und dass zu einer Tagung über die „iranische Zivilgesellschaft“ in der Evangelischen Akademie Lokkum im April dieses Jahres ein hochrangiger Mitarbeiter des iranischen Außenministeriums eingeflogen wurde, ohne dass die Grünen ihn zu einer „persona non grata“ erklärt hätten, gehört zu den Pointen, die nur das Leben erfinden kann.

Vor diesem Hintergrund ist der Einsatz von Volker Beck gegen einen Auftritt von David Irving in Berlin reine Effekthascherei. Beck wird es nicht schaffen, Irving von Berlin fernzuhalten. Aber Irving hat es bereits geschafft, Beck als Schaumschläger bloßzustellen.

Bei aller Geringschätzung für Irvings Person und Positionen – dafür sollte man ihm dankbar sein.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema