Auf den Spuren des Bischofs der Maya

Der Gliedstaat Chiapas ist das Armenhaus Mexikos. Bei seinem Besuch in der Region wird Papst Franziskus heute ein deutliches Zeichen setzen.

Nicole Anliker
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Bischof Samuel Ruiz bei einem Gottesdienst mit Indigenen in Chiapas (Aufnahme von 1997). (Bild: Pascual Gorriz / AP)

Bischof Samuel Ruiz bei einem Gottesdienst mit Indigenen in Chiapas (Aufnahme von 1997). (Bild: Pascual Gorriz / AP)

Papst Franziskus setzt ein deutliches Zeichen, wenn er am Montag anlässlich seiner sechstägigen Mexikoreise Chiapas besucht. In San Cristóbal de las Casas, der hübschen Kolonialstadt im zentralen Hochland des Gliedstaats, wird der Papst mit Vertretern der indigenen Gemeinschaft einer Messe beiwohnen, die in verschiedenen Maya-Sprachen gehalten wird. Danach will Franziskus am Grab von Bischof Samuel Ruiz García beten. Dieser stand zwischen 1960 und 2000 der Diözese San Cristóbal vor und war wegen seines Einsatzes für die Rechte der Indios und seines befreiungstheologischen Wirkens von verschiedenen Seiten stark kritisiert worden. Mit seinem Besuch anerkennt der Papst die umstrittene pastorale Arbeit von Ruiz und trägt dazu bei, ihn öffentlich zu rehabilitieren.

Chiapas, das Armenhaus

Chiapas ist auch heute noch Mexikos Armenhaus. 78 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Die Maya, die knapp einen Drittel der Bewohner des Gliedstaats ausmachen, sind am stärksten davon betroffen. Die Revolution, so sagt man, sei in Chiapas nie angekommen. Als Samuel Ruiz das Bistum 1960 übernahm, fand er eine noch fast feudale Gesellschaftsstruktur vor, in der Grossgrundbesitzer über weite Teile des Bodens verfügten und die lokale Verwaltung kontrollierten. Die Maya konnten nichts dagegen ausrichten.

Über diese Machtverhältnisse empört, machte sich Bischof Ruiz von Beginn seiner Amtszeit an für die unterdrückte Bevölkerungsgruppe stark und passte seine Pastoralarbeit an deren Bedürfnisse an. Ruiz, den die Indigenen liebevoll «Tatic» – Vater – nannten, genoss rasch grosses Vertrauen. Er lernte mehrere Maya-Sprachen, liess die Bibel in diese übersetzen und besuchte abgelegene Dörfer.

Ruiz verstand die Umsetzung des Zweiten Vatikanischen Konzils als Inkulturation des Evangeliums in die Maya-Kultur. Es war ihm ein Anliegen, dass das Evangelium in dieser beheimatet ist und von dieser gelebt wird. Dafür baute er eine autochthone Kirche auf. Zu ihrem Kennzeichen gehörte die Weihung von indigenen verheirateten Männern zu Diakonen. Anders als Priester sind das Geistliche, die keine Eucharistie feiern dürfen. In den Ritus der Weihung bezog der Bischof auch deren Gattinnen ein. Dies, weil für die Indios unverheiratete Männer als minderwertig gelten. Er liess auch Elemente der Maya-Kultur in die Liturgie und in die Feier der Sakramente einfliessen und bildete indigene Katecheten aus.

Ruiz war ein unbequemer Bischof. Nicht nur für die Kirche, auch für die Regierung und die lokale Machtelite: Unermüdlich forderte er die Rechte der Indigenen ein und klagte Ungerechtigkeiten an. Vor allem aber verhalf er ihnen zu einer Stimme. 1974 organisierte die Diözese einen indigenen Kongress, bei dem rund 15 000 Delegierte über ihre Anliegen diskutierten und Forderungen ausarbeiteten. Das Treffen brachte den Stein ins Rollen: Von da an begannen die Maya sich selber zu organisieren. Die Diözese stand ihnen nur noch beratend und unterstützend bei. Auf das zunehmende Selbstbewusstsein der Indios reagierten Grossgrundbesitzer und Regierung repressiv. Chiapas wurde militarisiert. In der Folge schlossen sich Anfang 1994 mehrere tausend Indios zum bewaffneten Widerstand der Zapatisten zusammen.

Militär- und Regierungskreise warfen Ruiz vor, aktiv in den Aufstand verwickelt zu sein. Dass er es war, der Papst Johannes Paul II. nur wenige Monate vorher vor der explosiven Stimmung in Chiapas gewarnt hatte, interessierte nicht. Ruiz hat seine Nähe zum bewaffneten Aufstand immer bestritten. Er musste sich wohl aber eingestehen, dass dieser ohne die jahrzehntelange Bewusstseinsarbeit der Diözese kaum zustande gekommen wäre. Trotz seinem schwierigen Verhältnis zur Regierung bat ihn diese, im Konflikt mit der Guerilla zu vermitteln. Ruiz trug wesentlich zum Zustandekommen des Friedensvertrags von 1996 bei. Weil sich die Regierung aber nicht um dessen Umsetzung bemühte und der Bischof nicht müde wurde, ihr Menschenrechtsverletzungen vorzuhalten, kam es zum Bruch. Auf dessen Höhepunkt beschuldigte Mexikos Präsident Zedillo Ruiz 1998, eine «Theologie der Gewalt» zu verbreiten.

Kritik von allen Seiten

Die Kontroverse um Ruiz entfachte sich auch in Chiapas immer wieder. Während sich manche Bewohner über seine Parteinahme für die Indios beschwerten, sahen die lokalen Machthaber, vor allem die Grossgrundbesitzer, mit der Emanzipierung der Maya ihre Interessen bedroht. Sie forderten Ruiz'Absetzung und machten ihn für den Aufstand verantwortlich. Jahrelang war er Verleumdungskampagnen, Morddrohungen und physischen Angriffen ausgesetzt.

Auch der Vatikan und die Bischofskonferenz hatten ihre Mühe mit dem befreiungstheologisch ausgerichteten Ruiz. Man warf ihm den Aufbau einer indigenen Parallelkirche vor und kritisierte die hohe Anzahl verheirateter Diakone. Trotz hartnäckigen Gerüchten um seine Absetzung blieb es bei Ermahnungen. Rom bat ihn mehrmals darum, die politische Einmischung zu unterlassen und nicht von der offiziellen Kirchenlehre abzuweichen. 1995 schickte man ihm Bischof Raúl Vera als Koadjutor zur Seite. Dieser hätte Ruiz zügeln sollen. Doch auch Vera entwickelte eine hohe Sensibilität für die Probleme in Chiapas, wurde ebenfalls zum Fürsprecher der Indios und wagte es, die Regierung öffentlich anzuprangern.

Trotz Differenzen blieb Ruiz bis zu seinem 75. Geburtstag 1999 im Amt. Bischof Vera, der als sicherer Nachfolger an der Spitze der Diözese galt, wurde in den Norden Mexikos versetzt. Offenbar hatte die Regierung dem Nuntius ihre Bedenken zu Vera zu verstehen gegeben. Man ernannte den gemässigten Felipe Arizmendi Esquivel zum Bischof. Weil ihm die Diözese mit rund 350 verheirateten Diakonen auf 66 Priester hinterlassen worden war, verbot ihm Rom die Weihe verheirateter Diakone. Erst Papst Franziskus hob das Verbot 2014 wieder auf, was gewisse Kirchenkreise aufhorchen liess. Im selben Jahr billigte er die Übersetzungen liturgischer Texte in die Maya-Sprache Tzotzil. Bei seinem Besuch am Montag wird er nun ein Exemplar des Neuen Testaments in Tzotzil erhalten, dessen Druckgenehmigung Mexikos Bischofskonferenz im November erteilt hatte.

Bekannte Begleitung

Papst Franziskus hat oft bewiesen, dass er keine Berührungsängste gegenüber der Befreiungstheologie hat, etwa mit der Seligsprechung des salvadorianischen Erzbischofs Romero. Wie einst Ruiz sorgt sich auch Franziskus, der sich selbst als Papst der Armen bezeichnet, um die Lage der Indios. Mit seinem Besuch in Chiapas legt er den Finger auf einen wunden Punkt der mexikanischen Kirche. Ganz wohl wird dieser beim Blick auf Franziskus' Reiseplan nicht gewesen sein. Dass er dazu noch den einst aus Chiapas verbannten Bischof Vera als Begleiter ausgesucht hat, erhöht die Signalwirkung seiner Reise.

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