Angie, schläfst du noch?

Protest Seit Montag campieren Bäuerinnen vor dem Kanzleramt. Sie fordern einen höheren Milchpreis. Doch statt die Frauen ernstzunehmen, macht die CSU vor allem eines: Wahlkampf

Vor dem Kanzleramt dürfen sie nicht mehr stehen. Deshalb sind sie jetzt dreihundert Meter weitergezogen, ein bisschen hinter Büschen versteckt. Nur eine schwarz-rot-gold angemalte Plastikkuh lässt vor dem Kanzleramt noch erahnen, dass hier Milchbäuerinnen um ihre wirtschaftliche Existenz kämpfen. Dass sie im politischen Zentrum des Landes, im Vorgarten der Regierung campieren, um bei der Kanzlerin selbst einen höheren Milchpreis einzufordern.

Wer näher an das kleine Lager herangeht, sieht Transparente in den Bäumen hängen. Die meisten sind selbstbemalt: "Bäuerinnen aller Länder vereinigt euch!" Auf dem Rasen des Tiergartens sitzen etwa 150 Frauen auf Campingstühlen, manche im Schatten, andere mit Sonnenbrillen in der grellen Mittagssonne. Viele von ihnen tragen Westen und Kappen, auf denen das Kürzel "BDM" zu lesen ist. Es steht für "Bundesverband Deutscher Milchviehhalter". Unter den Bäumen liegen die Utensilien der Nacht: Isomatten, Schlafsäcke, Wolldecken. Am Straßenrand stehen zwei Dixiklos. Mindestens eine Frau hat immer ein Handy in der Hand, erstattet nach Hause Bericht. Ein einsamer Polizist, der das Ganze im Blick behalten soll, kommt mit den Damen vom Land ins Gespräch.

Sechs der Landwirtinnnen sind in den Hungerstreik getreten, aber sie halten sich dezent im Hintergrund. Stattdessen bringt eine Bäuerin Äpfel in einer Plastiktüte vom Discounter.

Es sind Frauen wie Martina Boodback. Sie ist 46 Jahre alt, gestern Abend ist sie aus dem Saarland angereist. "Am Kanzleramt dürfen wir nicht mehr sein. Hier mussten wir jetzt auch schon die Zelte abbauen und die Transparente aus den Bäumen nehmen. Das Ordnungsamt hat Theater gemacht. Die wollen nicht, dass die Wiese und die Bäume kaputt gehen." Die Großstädter haben Angst, dass die Bäuerinnen ihr bisschen Natur zerstören könnten.

Boodback muss am Abend wieder abreisen. Sie hat 130 Kühe auf ihrem Hof. Eine Vertretung zu finden, die sich um alles kümmert ist schwierig. "Zu Hause müssen jetzt die Kinder und die Alten arbeiten." Die anderen Bäuerinnen wollen länger bleiben. "So lange das Ordnungsamt und Frau Merkel uns lassen."

Hilfe von Ramsauer

Der Bauernverband unterstützt die Aktion der Bäuerinnen nicht. Stattdessen hat er am Morgen für Agrardieselsubventionen demonstriert. Manche Bäuerinnen sprechen deshalb wütend vom Bauernfeindverband.

Dafür kommt Peter Ramsauer mit einem Mitarbeiter angelaufen. Ramsauer ist Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag und damit natürlich in gewisser Weise für Probleme von Bauern zuständig. Die wenigen Pressefotografen scharren sich sofort um ihn, auch die Bäuerinnen bilden ein Traube. Und das Polizeiaufgebot ist plötzlich deutlich größer. Ein Mann drückt Ramsauer ein Megafon in die Hand, das dieser erst nicht annehmen will. "Darf ich bayrisch reden?" ruft er schießlich doch in das Gerät. Er darf, schließlich sind nicht wenige bayrische Bäuerinnen hier.

Er habe von einem befreundeten Bauern von der Protestaktion erfahren, sagt er. "Wenn wir des früher gewusst hätten, hätten wir's ganz anders gemacht." Was er anders gemacht hätte, lässt er aber offen. Er habe sofort eine SMS an Merkel geschrieben und sie gebeten, "dass sie morgen oder übermorgen mal hier vorbeischaut". Immer wieder muss er seine Aussagen mit "Nee, des stimmt!" bekräftigen. Dass er nichts versprechen kann, sagt er noch, aber das geht in Sprechchören der Bäuerinnen unter: "Wie woll'n die Kanzlerin heut' seh'n."

Mark Richard, ein Landwirt aus Unterfranken, meint über Ramsauers Auftritt, das seien nur große Sprüche. "Ich kann die Lügen nicht mehr hören, die sind doch auf Stimmenfang für die EU-Wahl, weil sie in Bayern so schlecht dastehen." Ramsauer ist derweil bei der Erbschaftssteuer angelangt. Er zählt die CSU-Politiker auf, die bei den Bäuerinnen waren, verspricht noch mal, die Kanzlerin um einen Termin für Bäuerinnen zu bitten, gute CSU, böse SPD. Ende.

Auch Ramsauers Referent bearbeitet ganz im Sinne seines Chefs die aufgebrachten Frauen. Er klingt dabei, als spräche er mit Schülerinnen aus der Provinz auf Berlin-Ausflug: "Eine Delegation von Ihnen ins Kanzleramt zu schicken, das ist eine gute Idee. Dafür setzen wir uns ein", sagt er gönnerhaft.

Die Bäuerinnen singen da schon "Schwester Angie, schlafst du noch? Hörst du nicht die Bauern? Milchpreis hoch!" – und haben Ramsauer längst den Rücken gekehrt.

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