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Weltgeschehen Plädoyer im Vergewaltigungsprozess

Der große Auftritt des Kachelmann-Anwalts Schwenn

Scharfe Attacken in unaufgeregtem Ton: Die Verteidigung im Kachelmann-Prozess hat die Plädoyers der Anklage seziert, bis wenig davon übrig zu bleiben schien.

Das Publikum erwartete scharfe Attacken, wie gewohnt, auf Alice Schwarzer und den Burda-Verlag, auf ein paar der vielen Ex-Geliebten, auf Zeugen und Sachverständige, die im Prozess gehört worden waren, vor allem aber auf die Mannheimer Staatsanwälte und die Nebenklägerin, die Jörg Kachelmann wegen Vergewaltigung angezeigt hatte.

Und die Zuhörer, von denen manche seit morgens um sieben Uhr für einen sicheren Sitzplatz vor dem Gerichtssaal angestanden hatten, wurden nicht enttäuscht.

Zwar trug Johann Schwenn, der Verteidiger von Jörg Kachelmann, sein Plädoyer im spektakulärsten Vergewaltigungsprozess des Jahrzehnts bedächtig vor, fast unaufgeregt. Und mit besonders harschen Angriffen hielt sich der Hanseat auch auffällig zurück.

Doch die kritischen Argumente, die Schwenn in der Hauptverhandlung bei jeder sich bietenden Gelegenheit platziert hatte, marschierten alle noch einmal auf in seiner knapp anderthalbstündigen Rede. Am Ende seines Plädoyers stand dann wie erwartet die Forderung „Freispruch“. Der Wettermoderator selbst, der vom Richter das letzte Wort angeboten bekam, verzichtete mit einem knappen „nein, danke“ auf eine Stellungnahme.

Nach dem Ende dieses Verhandlungstages, dem 43. und letzten vor dem Urteil, gab sich Johann Schwenn dann zuversichtlich, dass Kachelmann am 31. Mai tatsächlich den erhofften Richterspruch zu hören bekommt. „In der Vergangenheit war ich skeptisch“, sagte er vor der Presse. Das habe sich verändert. „Wenn alles mit rechten Dingen zugeht, wird Herr Kachelmann freigesprochen.“ Die Staatsanwälte hatten vier Jahre und drei Monate Haft beantragt.

Womöglich geht der Fall bis vor den Bundesgerichtshof

Schwenn hatte auch betont, dass nach einem Freispruch eigentlich die Nebenklägerin wegen Falschaussage verfolgt werden müsste. Das sei aber nicht zu erwarten, weil für solche Ermittlungen die Staatsanwaltschaft Mannheim zuständig wäre.

Die Behörde habe sich aber darauf versteift, der Ex-Freundin von Kachelmann bedingungslos zu glauben. Daher werde nach einem Freispruch wohl umgehend ein Revisionsantrag der Staatsanwälte nach Karlsruhe an den Bundesgerichtshof gehen.

Am Morgen hatte sich Kachelmanns Pflichtverteidigerin Andrea Combé in einem beeindruckenden Plädoyer alle Argumente aus den Plädoyers der drei Staatsanwälte Punkt für Punkt vorgenommen und sie regelrecht seziert, bis wenig davon übrig zu bleiben schien.

Anwältin Combé zeichnet negatives Bild von der Ex-Geliebten

Auch brachte sie einige neue Überlegungen zur Entlastung von Kachelmann an, die sich auf Zeugenaussagen aus der nicht öffentlichen Verhandlung stützten. So habe der Schweizer bisher selbst in größtem Stress – als er nämlich erfuhr, dass seine Kinder gar nicht seine eigenen sind, sondern ihm als Kuckuckskinder untergeschoben wurden und er um sein Sorgerecht kämpfen musste – nie mit Gewalt reagiert.

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Es sei daher nicht plausibel, warum er ausgerechnet der Nebenklägerin gegenüber, die ihre Beziehung beenden wollte, die Kontrolle verloren haben sollte. Die Ex-Geliebte saß derweil wieder neben ihrem Verteidiger auf der Bank gegenüber von Kachelmann. Der Rede von Anwältin Combé, die ein wenig schmeichelhaftes Bild von der Persönlichkeit der Ex-Geliebten entwarf und sie als manipulativ und kaltschnäuzig bezeichnete, schien die Nebenklägerin zeitweise nur schwer zuhören zu können.

In seinem Plädoyer kritisierte Schwenn, Polizei und Staatsanwaltschaft hätten sich sehr früh auf die Seite des angeblichen Opfers geschlagen. Selbst dass Lügen der Nebenklägerin aufgeflogen seien , habe die Staatsanwälte nicht beeindruckt. Mit dieser „Blindheit für die Beweislage“ hätten Staatsanwalt Lars-Torben Oltrogge und Oberstaatsanwalt Oskar Gattner das Ansehen der Behörde preisgegeben. Schwenn forderte die Richter auf, sich dieser Position nicht anzuschließen und auch nicht moralisch zu werten.

Einvernehmlicher Sex zwischen Erwachsenen, egal in welcher Form, sei eine persönliche Sache der Beteiligten. Mit Blick auf die vielen Ex-Geliebten von Kachelmann sagte Schwenn, die Kammer sei „nicht die Retterin enttäuschter Frauen. Keines der Lausemädchen kann geglaubt haben, es sei die einzige gewesen.“

Der Staatsanwaltschaft warf Schwenn „schmutzige Tricks“ vor, mit denen haltlose Aussagen des Zeugen Günter Seidler, dem Therapeuten der Nebenklägerin, ins Verfahren gehievt worden seien. Der Heidelberger Psychologe hatte ausgesagt, seine Patientin habe durch die Gewalttat ein Trauma erlitten und könne sich daher nicht an alles gut erinnern.

Damit seien danach dann alle Aussagemängel der Nebenklägerin verargumentiert worden, kritisierte Schwenn. Mehrere Sachverständige hatten in ihren Gutachten darauf hingewiesen, dass die Erinnerungslücken für eine Tat wie die von der Ex-Geliebten geschilderte sehr ungewöhnlich und unwahrscheinlich seien.

Zwei Schöffen könnten drei Berufsrichter überstimmen

Zuvor hatte Schwenn in seinem Plädoyer an die beiden Schöffen appelliert, unabhängig zu votieren und „sich ihrer Macht bewusst zu bleiben“. Die 5. Große Strafkammer ist mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen, also Laienrichtern, besetzt. Eine Verurteilung ist nur mit einer Dreiviertelmehrheit möglich.

Sollten sich also beide Schöffen für Freispruch entscheiden, wären die Berufsrichter überstimmt. An die Adresse jener, die sein zum Teil rüdes Auftreten während des Prozesses kritisiert hatten, sagte Schwenn: „Eine Verteidigung, die es sich mit dem Gericht nicht verderben will, ist keine. Ginge es nur um die gute Stimmung im Gerichtssaal, bräuchte es keinen Verteidiger.“

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Die Heidelberger Anwältin Andrea Combé hatten die Zuschauer und Journalisten im Saal bisher kaum je in Aktion erlebt. Nur selten hatte die schmale, blonde Strafverteidigerin bei einer der öffentlichen Zeugenaussagen Details hinterfragt oder eine Verständnisfrage gestellt.

Bei den zahlreichen nicht öffentlichen Befragungen von Zeugen dürfte die 52-Jährige mit ihrer unaufgeregten Art aber häufiger analytisch nachgehakt haben. Auf jeden Fall sammelte die Anwältin, die von Jörg Kachelmann erst ganz kurz vor Eröffnung des Verfahrens als Pflichtverteidigerin gewählt worden war, unzählige Einzelheiten. Diese setzte sie nun in einem langen Plädoyer zu einem Gesamtbild zusammen, das zeigen sollte: Die Nebenklägerin habe Jörg Kachelmann „bewusst zu Unrecht“ mit der von ihr angezeigten Vergewaltigung belastet.

„Du hast mich vernichtet – jetzt vernichte ich dich“

Ihre über drei Stunden währende Rede kulminierte in einem Bild von der Persönlichkeit der 38-jährigen Nebenklägerin, die Combé zufolge „bisher zu einseitig beleuchtet“ worden sei. Die Ex-Geliebte habe durch die Lügen, derer sie erst nach langen Ermittlungen überführt wurde, bewiesen: Sie sei in der Lage, „mit Kaltschnäuzigkeit“ und schauspielerischem Talent ihr Umfeld so gut zu manipulieren, dass selbst erfahrene Polizisten und Staatsanwälte ihr glaubten.

„Wenn ein Beschuldigter sich so verhalten hätte, würde man ihm eine hohe kriminelle Energie bescheinigen“, schloss Andrea Combé. Diesen Maßstab sollte man auch hier anlegen. Als die Nebenklägerin an diesem Abend wohl erfahren habe, dass sich Kachelmann eine oder mehrere Freundinnen neben ihr hielt, habe sie Hass und Wunsch nach Rache angetrieben. Sie habe nach dem Vergeltungsprinzip gehandelt: „Du hast mich vernichtet – jetzt vernichte ich dich.“

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