In China wird Internetsucht als "psychische Störung" klassifiziert

Da die Klassifikation zu einer erregten Online-Diskussion geführt hat, musste einer der Verantwortlichen nun versuchen, die Aufregung zu beruhigen.

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Von
  • Florian Rötzer

In China gilt seit Anfang November Internetsucht als psychische und Verhaltensstörung, verursacht durch wiederholte und exzessive Internetnutzung. Verwendet wird die Klassifikation als Krankheit allerdings erst in militärischen Krankenhäusern, die auch der Öffentlichkeit offenstehen. Man will nun erreichen, dass auch das Gesundheitsministerium die Klassifikation übernimmt, so dass die Behandlung in allen Krankenhäusern stattfinden kann. Im Gesundheitsministerium wollte man nach Xinhua aber keine Erklärung dazu angeben.

Definiert wurde die neue Krankheit vom Gesundheitsbüro der Allgemeinen Logistikabteilung der Volksbefreiungsarmee. Zuvor hatte das Militärische Krankenhaus in Peking die Kriterien für die Diagnose erstellt. Gefährdet ist demnach, wer täglich mehr als sechs Stunden als Freizeitbeschäftigung über eine Zeitspanne von drei Monaten online ist und eines oder mehrere der folgenden Symptome zeigt: geistiger oder körperlicher Stress, Konzentrations- oder Schlafstörungen, Drang, wieder ins Internet zu gehen.

Die Einordnung der Internetsucht als psychische Störung, die behandelt werden muss, hat in China zu einer regen Online-Debatte geführt, berichtet die Nachrichtenagentur Xinhua. Der Arzt Tao Ran, der die Krankheitsbeschreibung mit anderen Ärzten und Psychologen erarbeitet hat, versucht nun in den Medien, die neue Diagnose zu erklären und die Menschen zu beruhigen, dass damit die davon betroffenen jungen Menschen nicht diskriminiert würden. Tao Ran war 2005 Mitbegründer der ersten Klinik zur Behandlung der Internetsucht. Psychische Störungen seien nicht nur Geisteskrankheiten, sondern decken ein weites Spektrum ab, zu dem etwa Depression, Schlafstörungen oder Angststörungen gehören. "Wir alle wissen, dass Süchte wie zwanghafter Alkoholismus oder Spielsucht psychische Störungen sind. Die Internetsucht sollte hier auch dazugehören", so Tao Ran.

Die Hälfte der Süchtigen könne man mit psychologischer Beratung, militärischem Training oder einer anderen regelmäßigen Beschäftigung mit vielen Übungen, aber ohne Medikamente heilen. Wenn dazu aber Depressionen oder Angststörungen kommen, müsste auch medikamentös behandelt werden. Ohne Behandlung, so Tao Ran, sei eine Heilung nicht zu erwarten.

Auch in Deutschland gibt es Bestrebungen, Internetsucht als Krankheit anzuerkennen. So wurde gestern der Fachverband Medienabhängigkeit gegründet, der anstrebt, dass Internetsucht auf Krankenschein behandelt werden kann. Auch anderswo wird immer wieder gefordert, die Internetsucht als zwanghaft-impulsive Funktionsstörung in das Handbuch psychischer Erkrankungen (DSM-IV-TR) aufzunehmen. Die American Medical Association (AMA) hat letztes Jahr beschlossen, zumindest vorerst die Internetsucht noch nicht als eine eigenständige Krankheitsform zu werten. (fr)