Das Misstrauen gegen angebliche Populisten ist in manchen Redaktionen und bei besonders eifrigen Bloggern längst in eine Lust an der Diffamierung umgeschlagen. „Da wird jeder kleinste Vorfall aufgeblasen“, sagt Lucke. Um sich zu empören, reicht manchem medialen Sittenwächter schon ein vereinzeltes AfD-Mitglied, das vor 25 Jahren einmal Mitglied bei den Republikanern war.
Wenn konservative neue Parteien beim Wähler erfolgreich waren und in Parlamente einzogen, waren in den vergangenen Jahrzehnten allenfalls Landtagswahlen. Ein überschaubares Wahlgebiet wie Bremen oder das Saarland können auch unprofessionelle Laien-Wahlkämpfer einigermaßen flächendeckend beackern. Zudem neigen auch bürgerliche Wähler bei Landtagswahlen eher dazu, den etablierten Parteien einen Denkzettel zu verpassen, weil sie davon ausgehen, dass die Neulinge auf Landesebene nicht viel Unheil anrichten können.
Die wichtigsten Köpfe in der AfD
Professor, Gründer des Plenums der Ökonomen
Der 51-Jährige wurde bei Gründung der AfD ihr Sprecher. Der Vater von fünf Kindern lehrt Makroökonomie an der Universität Hamburg. Über 300 Wissenschaftler schlossen sich seinem „Plenum der Ökonomen“ an, das als Netzplattform Wirtschaft erklärt. Nach 33 Jahren trat Lucke Ende 2011 aus der CDU aus. Er trat als Spitzendkandidat der AfD für die Europawahlen an und wechselte im Sommer 2014 nach Brüssel.
Anwältin, Gründerin der Zivilen Koalition
Die Juristin, die zunächst 2012 Mitglied der FDP war, ist seit 2013 Mitglied der AfD. Sie wird dem rechtskonservativen Flügel der Partei zugerechnet. Sie engagiert sich neben der Euro-Rettung vor allem für eine christlich-konservative Familienpolitik. Am 25. Januar 2014 wurde von Storch vom Bundesparteitag der AfD in Aschaffenburg mit 142 von 282 Stimmen auf Platz vier der Liste zur Europawahl gewählt - und zog anschließend ins Europaparlament ein.
Emeritierter Professor für Volkswirtschaft
Im Kampf gegen den Euro hat er die größte Erfahrung: 1998 klagte er gegen dessen Einführung vor dem Bundesverfassungsgericht, 2011 gegen die Rettungsmaßnahmen. Der 72-Jährige, einst Assistent von Alfred Müller-Armack, führt den wissenschaftlichen Beirat der AfD – so etwas hat keine andere Partei.
Promovierte Chemikerin und Unternehmerin
Nach dem Studium gründete die Mutter von vier Kindern 2007 ihr eigenes Chemieunternehmen Purinvent in Leipzig – mit dem Patent auf ein umweltfreundliches Dichtmittel für Reifen. Sie fürchtet, ihre demokratischen Ideale würden „auf einem ideologisierten EU-Altar geopfert“. Seit 2013 ist sie eine von drei Parteisprechern und Vorsitzende der AfD Sachsen
Journalist, Publizist, Altsprachler und Historiker
Bei den bürgerlichen Blättern – 21 Jahre im Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen“, sieben Jahre als politischer Chefkorrespondent der „Welt“ – erwarb er sich den Ruf als konservativer Vordenker. Sozial-, Bildungs- und Wissenschaftspolitik sind auch im Sprecheramt der AfD seine Schwerpunkte.
Beamter, Politiker, Herausgeber, Publizist
Der promovierte Jurist leitete die hessische Staatskanzlei unter CDU-Ministerpräsident Walter Wallmann. Dann Geschäftsführer und Herausgeber der „Märkischen Allgemeinen“ in Potsdam. Führte die brandenburgische AfD bei den Landtagswahlen zu einem überraschend starken Ergebnis und führt nun die Fraktion im Landtag an.
Das zentrale Leitthema der AfD jedoch ist ganz eindeutig eines von nationaler und sogar internationaler Bedeutung. „Unser zentrales Thema, also die Kritik an der Eurorettungspolitik der Bundesregierung und den enormen fiskalischen Lasten, die auf uns zukommen, ist kein Thema für eine Landtagswahl“, gibt Lucke selbst zu. Das Programm der AfD in landespolitischen Themen, zum Beispiel „Bildung als Kernaufgabe der Familie zu fördern“, wird bisher öffentlich kaum wahrgenommen.
Ein weiterer unsicherer und von der AfD selbst nicht zu beeinflussender Faktor für Erfolg oder Nichterfolg bei den Wählern ist die Nachrichtenlage. Die Aufmerksamkeit für die vor allem als Anti-Euro-Partei wahrgenommene AfD leidet derzeit darunter, dass die Eurokrise seit einigen Wochen durch andere Großereignisse aus den Schlagzeilen verdrängt wird. Das allerdings könnte sich sehr schnell wieder ändern – die jüngsten Nachrichten aus Griechenland und anderen Staaten lassen das erwarten.
Angela Merkels CDU und alle etablierten Parteien haben ihr Schicksal letztlich mit dem Erfolg der gigantischen Banken- und Staatsrettungsaktionen in der Eurozone verknüpft, oder zumindest dem Verhindern der totalen Katastrophe in näherer Zukunft. Wenn ein großer Teil der Wähler bis zum 22. September den Eindruck gewinnen sollte, dass all das nicht fruchtet und die bevorstehende Katastrophe eine Folge der bisherigen Politik ist, könnte das auch im politisch eingeschläferten Deutschland für Aufruhr sorgen. Wenn die deutschen Wähler merken, dass die Politik aller etablierten Parteien auf eine gigantische Umverteilungsaktion zu ihren Ungunsten hinausläuft, könnte die Stunde der AfD vielleicht doch noch kommen.
Wie auch immer man die neue Partei und ihre Protagonisten bewertet. Im Interesse der demokratischen Kultur in Deutschland wäre es wünschenswert, dass im Parlament eine grundlegende Opposition zur Allparteienkoalition der Euroretter hörbar würde. Deutschland ist hier bisher eine unrühmliche Ausnahme in Europa.