Die neue europäische Grenzsicherheitsarchitektur – National, supranational und international

Bernd Walter

Auf dem Weg zu einem zusammenwachsenden Europa überwog anfangs bei den Organen der Europäischen Union, aber auch in der politischen Diskussion innerhalb der beteiligten Nationalstaaten zunächst der erklärte Wille, den Reise-, Waren- und Kapitalverkehr weitgehend zu liberalisieren und durch den rigorosen Wegfall der Binnengrenzkontrollen ein europäisches Signal zu setzen. Tatsächlich haben aber der Prozess der Grenzöffnung zum ehemaligen Ostblock sowie der Wegfall der Binnengrenzkontrollen innerhalb des Schengenverbunds die Sicherheitstopografie in Zentraleuropa nachhaltig verändert. Sie förderten nämlich die weitere Internationalisierung der Organisierten Kriminalität und den Kriminalitätsimport, erleichterten die Mobilität reisender Straftäter und veränderten die Ströme der illegalen Migration. Auch hatte man wohl auch die Wirksamkeit der so genannten Ausgleichsmaßnahmen für den Wegfall der Binnengrenzkontrollen überschätzt, da trotz intensiver Bemühungen um die Optimierung der Außengrenzkontrollen der EU die illegale Migration sowohl in die EU hinein aber auch zwischen den beteiligten Staaten weiterhin anhält. Auch haben sich die Fallzahlen bestimmter Delikte wie z.B. Kfz-Sachwertdelikte (bis hin zum Diebstahl hochwertiger Baumaschinen) und Eigentumsdelikte in den grenznahen Regionen an den ostwärtigen Grenzen Deutschlands deutlich erhöht.
Durch diese Entwicklung haben sich für die historisch nationalstaatlich orientierten Sicherheitsbehörden die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit in den letzten Jahrzehnten signifikant verändert. Bei näherer Betrachtung lassen sich fünf miteinander zusammenhängende, aber jeweils eigenständige Entwicklungen unterscheiden: die zunehmende Verschmelzung von innerer und äußerer Sicherheit, die Veränderung der räumlichen Strukturen der Kriminalität, die bi- und multilaterale grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizei, die Bedeutung internationaler Politikgestaltung für die nationalen Systeme und schließlich der Einsatz von Polizeibeamten über das eigene Staatsgebiet hinaus.
Die jeweiligen europäischen Gremien hielten in der Folgezeit neben der Bildung von Synergien und der Forderung nach einem homogenen Vorgehen drei Handlungsachsen der inneren Sicherheit für unverzichtbar: Ausbau der polizeilichen Zusammenarbeit, Anpassung der Strafjustiz und bessere Kontrolle des Zugangs zum Hoheitsgebiet der Union. Durch Verbesserung der horizontalen und vertikalen Vernetzung sollten kriminalpolitisch bessere Voraussetzungen geschaffen werden, um irreguläre Migration, Menschenhandel, Schleusungen, Terrorismus, Drogenhandel und Waffenschmuggel sowie andere Formen der Organisierten Kriminalität besser bekämpfen zu können. Dabei soll nicht verkannt werden, dass in erster Linie die Anrainerstaaten des Mittelmeerraumes mit den Folgen der irregulären Migration zu kämpfen haben, die zunehmend die Wirtschafts- und Sozialsysteme bedrohen. Spanien muss Militär einsetzen, weil immer wieder bis zu 1.000 Afrikaner zum Sturm auf die Absperrzäune der Exklaven Ceuta und Melilla ansetzen und die Polizei deutlich überfordert ist. Auch hat es bereits Tote gegeben.

Die EU-Grenzschutzagentur FRONTEX

Die Aufhebung der Kontrollen an den Binnengrenzen im Schengenraum stellt insbesondere die Sicherheitsbehörden an den EU-Außengrenzen vor immense Herausforderung. Als Konsequenz aus dieser Entwicklung und zur Implementierung eines ausgewogenen Aufgaben- und Lastensharings, das wiederum von der Risikobewertung der Grenzlage abhängig ist, wurde die Europäische Grenzschutzagentur FRONTEX eingerichtet. Auch wenn die Agentur auf europäischer Ebene wichtige Funktionen wahrnimmt, ersetzt sie den nationalen Grenzschutz nicht. Neben EUROPOL steht die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen (European Agency for the Management of Operational Cooperation at the External Border) nunmehr für eine autonome europäische Sicherheitspolitik. Der sperrige Name (von franz. frontière exterieur abgeleitet) geht auf die Verordnung (EG) 2007/2004 des Rates vom 26. 10. 2004 zurück. Die wichtigsten Aufgaben von FRONTEX sind die Koordinierung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten beim technischen und operativen Schutz der Außengrenzen, Unterstützung einzelner Mitgliedstaaten bei Ausnahmesituationen wie z.B. rapide Zunahme der irregulären Migration, Ausbildungsunterstützung im nationalen Bereich, Erstellung von Risikoanalysen, Begleitung der Forschung in einsatzrelevanten Bereichen und im Bereich der Sicherheitstechnologie sowie die Koordinierung von Rückführungsaktionen bei nicht aufenthaltsberechtigten Ausländern.
Im Mai 2005 nahm FRONTEX seine Arbeit auf, im September 2007 ging das Hauptquartier in Warschau in den Wirkbetrieb. Der derzeitige Personalbestand beträgt rund 220 Bedienstete, das Budget wird von den Mitgliedstaaten des Schengenverbunds sowie von Norwegen, Island, Irland und dem Vereinigten Königreich bestritten. Oberstes Gremium ist der Verwaltungsrat; die Agentur wird durch einen Exekutivdirektor (derzeit der finnische Brigadegeneral Olkka Laitinen) geleitet. Er und sein Stellvertreter werden durch den Verwaltungsrat auf Vorschlag der Kommission ernannt.
Wesentliche Einsatzschwerpunkte an den Außengrenzen sind aktuell die südlichen Seegrenzen im Mittelmeerraum, die Landgrenzen zur Ukraine und Moldawien sowie bestimmte Flughäfen. Die Einsätze an den EU-Außengrenzen erfolgen als Operationen zum Schutz der Land-, Luft- und Seegrenzen und werden insbesondere als gemeinsame Einsätze (Joint Operations) an wichtigen Brennpunkten (so genannte Focal Points) durchgeführt. Das Portfolio möglicher Einsatzmaßnahmen hat durch die Bildung von Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke (RABIT Rapid Border Intervention Teams, auf Grundlage der Verordnung EG 863/2007 vom 11. Juli 2007 eine wesentliche Ergänzung erfahren. Aktuell wird der Einsatz von 200 Grenzschützern zur Sicherung der Landgrenze Griechenlands zur Türkei geprüft, die Griechenland aus eigener Kraft nicht mehr leisten kann. Deutschland wird 40 Bundespolizisten mit Spezialgerät entsenden.
Die jeweilige Risikoanalyse erfolgt auf Grundlage des von Fachleuten konzipierten Common Integrated Analysis Model (CIRAM), in dem die national erhobenen Daten zur irregulären Migration verarbeitet werden. Aus naheliegenden Gründen sind sie nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Verantwortlich für die Ausführung ist die Risk Analysis Unit (RAU), die aus Experten aus den Bereichen der Grenzpolizei und der Zollverwaltung besteht und deren Bedeutung ständig zunimmt. Offensichtlich wird hier supranational mehr geleistet als innerstaatlich, denn der Bundesrepublik fehlt ein vergleichbares Instrument. Die Analysen decken die Außengrenzen, aber auch die Herkunfts- und Transitländer ab, da hoch professionelle Schleuserorganisationen ständig die Modi Operandi wechseln. Die Analysen erscheinen als Einzelberichte, länder- und regionenbezogene Berichte und zu einzelnen Migrationsformen. Auch wenn die Analysten mit vielen europäischen Behörden und Geheimdiensten zusammenarbeiten, sind die Produkte in Teilbereichen wenig aussagekräftig, da nicht auf personenbezogene Daten zurückgegriffen werden kann.
Mit CRATE (Centralised Record of Available Technical Equipment) steht eine Datenbank zur Verfügung, die theoretisch 26 Hubschrauber, 22 Tragflächenflugzeuge, 113 Schiffe sowie Spezialgerät (Detektoren, Radargeräte, Wärmebildkameras, CO2-Detektoren) nachweist. Auf die Technologieerweiterung und -verbesserung wird großer Wert gelegt. Das Projekt SOBCAH (Surveillance of Border Coastlines and Harbors) soll die Überwachung von Küsten und Häfen mit Radar, Sensoren und weiteren Technologien zum Aufspüren irregulärer Migranten verbessern. Das Projekt BSUAV (Border Security Unmanned Aerial Vehicles) beschäftigt sich mit dem Einsatz von Drohnen; das Projekt BORSEC beschäftigt sich mit technischen Einsatzkonzeptionen zur Erfassung biometrischer Daten. BORTEC beinhaltet die Vernetzung der nationalen Überwachungstechnologien (Radar und Satelliten) zur Überwachung der Meeresgrenzen und ist Teil von EUROSUR (European Surveillance System); in der ersten Stufe sind die Herstellung von Kompatibilität und die Vernetzung vorgesehen.
Ansonsten gibt es in der Organisation aber auch viele Kritikpunkte: Die Zusammenarbeit wird als nicht zufriedenstellend bezeichnet, desgleichen die Bereitschaft, Material und Personal zur Verfügung zu stellen. Meistens muss der Einsatzstaat, in dessen Zuständigkeitsbereich der Einsatz erfolgt, die Hauptlast allein schultern. Deutschland sah sich z.B. außerstande, für die grenzpolizeilichen Überwachungsaktionen im Mittelraum Hubschrauber abzustellen, obwohl die Bundespolizei in diesem Segment ausreichende Ressourcen hat. Aber auch die Zusammenarbeit mit Drittstaaten weist noch viele Schwachstellen auf.
Mittelfristig wird die Einrichtung direkt unterstellter Unterstützungsteams, die generelle Erweiterung der Initiativen in Bezug auf gemeinsame Aktionen und Pilotprojekte, die Einrichtung von Regional- und Fachbüros (Frontex Operational Offices), die schnellere Aktivierung von Zusatzpersonal, die Übertragung der Befehlsgewalt bei gemeinsamen Operationen sowie der Einsatz von Eigenmitteln angestrebt. Je schneller FRONTEX seinen Zusatznutzen beweist, desto bereitwilliger werden die beteiligten Länder ihre nationalen Eigenwilligkeiten zugunsten einer zukunftsorientierten Strategie zurückstellen.

Gemeinsames Analyse- und Strategiezentrum Illegale Migration (GASIM)

Neben der klassischen Gremienkultur, die eher der fallweisen Abstimmung der föderal diversifizierten Sicherheitseinrichtungen dient (wie z.B. die Innenministerkonferenz) etablieren sich in Deutschland zunehmend ständig tagende Kollegialorgane, die dem schnellen Austausch von Informationen und der ganzheitlichen Analyse bestimmter Sicherheitsphänomene dienen. Neben dem Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) und dem Gemeinsamen Internetzentrum (GIZ) wurde am 2. Mai 2006 das Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum Illegale Migration eingerichtet, deren Hauptorganisationszweck die ganzheitliche sowie delikts- und behördenübergreifende Bekämpfung der irregulären Migration und der Begleit- und Folgekriminalität bildet. Durch den schnellen Austausch und die Analyse der verfügbaren Daten sollen verbindliche Lagebilder generiert und mögliche Entwicklungen prognostiziert werden, um strategisch, konzeptionell und taktisch allen Herausforderungen zeitgerecht gewachsen zu sein.
Bei der Einrichtung handelt es sich nicht um eine eigenständige Behörde, sondern um eine Kooperationsplattform, bei der Ressorteitelkeiten nicht immer auszuschließen sind. Ständige Vertreter im GASIM sind das Bundesinnenministerium, die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, der Bundesnachrichtendienst und die Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Bundeszollverwaltung. Ferner wirken das Auswärtige Amt und das Bundesamt für Verfassungsschutz mit. Die Arbeit des Zentrums wird in acht Foren abgewickelt.

Vorfeldstrategie der Bundespolizei zur Prävention der irregulären Migration
Obwohl in der Vergangenheit der Löwenanteil der Fahndungserfolge der deutschen Polizei bei den klassischen Binnengrenzkontrollen erfolgte und der Ex-BGS zur erfolgreichsten Fahndungspolizei im nationalen Bereich avancierte, wurde im Fachschrifttum immer wieder gegen die stationären Grenzkontrollen polemisiert. Selbst der vormalige Bundesinnenminister Schäuble ließ sich zur Bemerkung hinreißen, dass „der Schlagbaum kein intelligentes Fahndungsinstrument sei“. Heute ist dieser Streit obsolet, da die Bundespolizei schon seit Jahren von der linearen grenzbezogenen Kontrolle zu einem Raumkonzept übergegangen ist und überdies eine bereits in den Herkunfts- und Transitländern ansetzende Vorfeldstrategie entwickelt hat.
Ausgangspunkt war die Schaffung der Dienstposten für Grenzpolizeiliche Verbindungsbeamte (GVB), die in den Aufnahmestaaten alle grenzpolizeilich bedeutsamen Lagefelder bearbeiten. Ihre Hauptaufgabe ist die Erarbeitung eines aufgabenbezogenen Lagebilds in Form der Informationssammlung, Informationsauswertung und Analyse. Darüber hinaus unterstützen und beraten die GVB deutsche Auslandsvertretungen ebenso wie die mit ausländerrechtlichen Aufgaben betrauten Dienststellen des Empfangsstaates sowie sonstige für die Aufgabenwahrnehmung wichtige Partner bzw. Organisationen.
Mit der Entsendung des ersten Grenzpolizeilichen Verbindungsbeamten nach Frankreich im Jahre 1992 leistete der Ex-BGS Pionierarbeit. Derzeit sind 22 Polizeivollzugsbeamte in 21 Staaten, zum Teil mit Nebenakkreditierungen, eingesetzt. Sie werden im Rahmen ihres Einsatzes vom Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern zum Auswärtigen Amt abgeordnet und im Empfangsstaat als Mitarbeiter der Deutschen Botschaft akkreditiert. Nebenakkreditierungen für Nachbarstaaten sind möglich. Grundlage für den Einsatz der GVB ist die zwischen dem Bundesministerium des Innern und dem Auswärtigen Amt geschlossene Vereinbarung zur Entsendung von Verbindungsbeamten der Bundespolizei und des Bundeskriminalamtes an Auslandsvertretungen vom 8. Mai 1998. Die Entsendung der Beamten erfolgt über einen Zeitraum von vier Jahren.
Die Bundespolizei setzt ferner Grenzpolizeilichen Unterstützungsbeamten Ausland (GUA) zur Förderung der grenzpolizeilichen Zusammenarbeit auf europäischer Ebene durch Beratung und Unterstützung der grenzpolizeilichen Behörden an den Schengengrenzen und EU-Außengrenzen ein. Darüber hinaus wird unmittelbar bei der konkreten grenzpolizeilichen Aufgabenerfüllung an den Land-, Luft- und Seegrenzen mitgewirkt. Die dabei auftretende Mischung aus fachlicher, sprachlicher und sozialer Kompetenz der eingesetzten spezialisierten Grenzkontrollbeamten hat sich insbesondere bei der Kontrolle nationaler Aufenthaltstitel sowie der Überprüfung von Legenden von Reisenden an der Außengrenze bewährt. Die Einsätze dieses Personenkreises erfolgen sowohl im Rahmen der Operationen von FRONTEX als auch auf der Grundlage bilateraler Vereinbarungen, wobei sich die Einsatzdauer von einer kurzeitigen Entsendung von zehn Tagen bis zu einem Jahr erstreckt.
Die Nutzung von Fluglinien mit Hilfe ge- oder verfälschter Reisepapiere und Visa gehört zum beliebtesten Modus Operandi, um ausländische Personen in den Schengenraum einzuschleusen. Daher setzt die Bundespolizei seit 1989 international erfahrene Spezialisten als Dokumenten- und Visaberater bei deutschen Auslandsvertretungen und ausländischen Behörden und Luftfahrtunternehmen ein. Diese unterstützen sowohl in Pass- und Sichtvermerksangelegenheiten als auch in der Fortbildung des mit dieser Materie beschäftigten Personals. Im Jahr 2008 waren insgesamt 24 Spezialisten der Bundespolizei an 21 verschiedenen Standorten im Ausland eingesetzt, wobei sie die unerlaubte Einreise von 12.163 Personen verhindern konnten.
Überlagert wird dieses Segment der Vorfeldstrategie durch eine Fülle bi- und multinationaler Abkommen, die insbesondere dem Informationsaustausch und der Optimierung gemeinsamer Einsatzmaßnahmen dienen. So hat im Oktober 2010 eine gemeinsame Ermittlungsgruppe der Bundespolizei und der griechischen Polizei ein Verfahren gegen eine in Athen ansässige Schleusergruppierung abgeschlossen, die für die Einschleusung von bis zu 2.500 afghanischen und iranischen Staatsangehörigen verantwortlich war. Im Rahmen des Gesamtkonzepts der internationalen Grenzsicherheit sind ferner im Schengenraum zwischenzeitlich 20 Gemeinsame Zentren eingerichtet worden, in denen grenzüberschreitend Polizei- und Zollbehörden zusammenarbeiten.

Source: http://www.europaeische-sicherheit.de/Ausgaben/2011/01_2011/07_Walter/2011,01,07.html

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