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S.P.O.N. - Die Spur des Geldes Gefährliches Rennen um den ersten Platz

Überschüsse sind nicht immer gut, Defizite nicht immer schlecht: In der Euro-Zone muss man die Ungleichgewichte entweder politisch managen, oder man muss sich ausreichend gegen sie versichern. Sonst kracht das ganze System zusammen.

Wer bislang diese Kolumne verfolgt hat, kennt mich als Befürworter des Euro und Anhänger der Idee einer politischen Union. Doch in einem Punkt stimme ich Deutschlands stockkonservativen Ökonomen oder einigen Euro-Gegnern zu: Das wichtigste Thema in der ganzen Euro-Debatte ist nicht Griechenland, selbst dann nicht, wenn Griechenland aus dem Euro austritt. Es sind die Ungleichgewichte im Privatsektor. Wenn der Euro zerbrechen sollte, dann daran.

Leider gibt es kaum ein Thema, das gerade in der deutschen Öffentlichkeit derart missverstanden wird wie die Ungleichgewichte. Man feiert hierzulande, wenn Deutschland Exportweltmeister geworden ist. Allein das Wort "Überschuss" hört sich nach etwas Gutem an, ganz im Gegensatz zu "Defizit". Als man vor gut einem Jahr die Frage diskutierte, ob Deutschland nicht seine Überschüsse abbauen sollte, da führten deutsche Politiker und Ökonomen einen sportlichen Vergleich an. Wenn man auf Platz eins in der Bundesliga steht, dann kann man die Qualität des Fußballs doch nicht dadurch verbessern, dass man von jetzt an absichtlich verliert. Der Exportweltmeister fühlt sich durch solche Vorschläge in seiner sportlichen Ehre verletzt.

Anstatt alternative Metaphern zu finden, möchte ich drei Fragen zu Überschüssen stellen, deren Antwort den einen oder anderen überraschen mag. Ist es moralisch richtig, dass ein Land sich zum Ziel setzt, Überschüsse zu erwirtschaften? Ist es ökonomisch immer von Vorteil? Kann eine Währungsunion mit permanenten strukturellen Ungleichgewichten leben? Die Antworten auf die drei Fragen lauten: nein, nein und nein.

Moralisch sind Überschüsse allein deswegen nicht, weil sich Überschüsse und Defizite weltweit auf null addieren. Wenn wir postulieren, "plus fünf" sei moralisch, dann ist die logische Schlussfolgerung, dass "minus fünf" ebenfalls moralisch ist. Hier braucht man keinen kategorischen Imperativ. Elementare Logik und ein paar volkswirtschaftliche Grundbegriffe reichen hier aus. Insofern ist auch die moralische Verachtung gegenüber "Defizitländern" völlig unangebracht.

Auch in der Politik ist die Asymmetrie zwischen den Überschüssen und Defiziten tief verankert. Die Europäische Kommission hat vor kurzem einen Bericht über die Ungleichgewichte herausgebracht, der ebenfalls dieser Asymmetrie unterlag. Die Defizite südlicher Staaten wurden kritisiert, Deutschlands Überschüsse aber nicht.

Das Argument der Asymmetriker ist, dass das Problem allein dadurch zu lösen ist, dass die Defizitländer "besser werden". Womit wir wieder bei der Bundesliga wären. Denen geht es nicht um Moral, sondern um den sportlichen Wettbewerb. Jeder will schließlich Erster werden. Und hiermit sind wir bei der zweiten Frage. Sind Überschüsse, wenn auch nicht moralisch zu rechtfertigen, dann zumindest sportlich? Sind Überschüsse in unserem Eigeninteresse?

Ein Land hat einen Leistungsbilanzüberschuss, wenn es - vereinfacht gesagt - mehr exportiert als importiert. Das führt zumeist zu einer strukturell schwachen Binnennachfrage, so wie in Deutschland im vergangenen Jahrzehnt. Wenn alle Länder dieses Modell übernehmen, dann brechen am Ende auch für Deutschland Exportmärkte ein. Das Resultat wäre nicht, dass die Schwachen besser werden, sondern dass alle zusammen schlechter werden. Wir wären dann alle in der zweiten Liga.

Es gibt noch einen weiteren Grund, warum Leistungsbilanzüberschüsse ökonomisch nicht immer sinnvoll sind. In der Kapitalbilanz drückt sich das Ungleichgewicht in einem identisch großen Sparüberschuss aus. In dem Maße, in dem Deutschland mehr exportiert als importiert, exportiert Deutschland auch seine Ersparnisse in das Ausland. Es ist daher auch keine Überraschung, dass gerade deutsche Banken von der amerikanischen Hypothekenkrise und der europäischen Schuldenkrise so betroffen waren. Wenn man seine Ersparnisse ins Ausland exportiert, und dort die Banken abnippeln, dann sind die Ersparnisse weg. Ein Leistungsbilanzüberschuss ist also nur dann ein Segen, wenn die Schuldner auch bezahlen und wenn die Finanzsysteme stabil bleiben. Das ist bei der Bundesliga anders. Erster Platz ist erster Platz.

Und damit kommen wir gleich zur dritten Frage: Wie sieht das in einer Währungsunion aus? Solange der Bankensektor gut funktioniert, sind Ungleichgewichte ohne jede Konsequenz. In unserer Währungsunion hingegen misstrauen die Banken einander. Wenn eine deutsche Firma nach Spanien liefert, dann stand früher am Ende einer langen Kette eine Forderung der Deutschen Bank gegenüber der Banco Santander. Heute hat die Bundesbank eine Forderung gegenüber der Europäischen Zentralbank, denn jetzt übernehmen die Zentralbanken die Rolle der Finanzierung.

Länder mit großen Überschüssen sind erpressbar

Diese Forderungen werden in einem obskuren Hinterhof der Bundesbank-Bilanz festgehalten, der sogenannten Target-2-Bilanz. Im Januar betrug der deutsche Überschuss mehr als 500 Milliarden Euro. Die Billion ist nur noch ein oder zwei Jahre entfernt. Der Chef vom Ifo-Institut, Hans-Werner Sinn, hat uns einen großen Gefallen damit getan, als er im vergangenen Jahr diesen Mechanismus im Detail beleuchtete. Es war wohl die bislang wichtigste ökonomische Erkenntnis dieser Krise, weil sie uns genau aufzeigt, was mit Überschüssen passiert, wenn der Finanzsektor nicht funktioniert. Im Falle eines Total-Zusammenbruchs des Euro sind diese Überschüsse akut gefährdet. Dieses Risiko macht das Land mit den großen Überschüssen innerhalb einer Währungsunion erpressbar, weil es sich von allen Ländern das Ende des Euro am wenigsten leisten kann.

Sinn behauptet ebenfalls, dass in dem jetzigen System die Defizitländer keinen Anreiz zum Schuldenabbau haben, weil die Zentralbanken die Defizite des Privatsektors grenzenlos finanzieren. Da das System grenzenlos Schulden produziert, droht es irgendwann zu zerbrechen. Wohlgemerkt, ich rede hier nicht von Staatsschulden, sondern von Schulden des Privatsektors. Denn es sind die privaten Schulden, die den Großteil der Leistungsbilanzungleichgewichte im Euro-Raum ausmachen.

Überschüsse sind also nicht immer gut, und Defizite sind nicht immer schlecht. In einer Währungsunion muss man die Ungleichgewichte entweder politisch managen, oder man muss sich ausreichend gegen sie versichern. Im ersten Fall müsste man die Wirtschaftspolitik bis auf das Steuersystem weitgehend harmonisieren. Im zweiten Fall müsste man die Banken und die Arbeitslosenversicherungen europäisieren. Beides bedarf eines Grades an politischer Integration, der momentan kaum realisierbar sein dürfte.

Hier endet meine Gemeinsamkeit mit den Konservativen und den Euro-Skeptikern. Sie wollten den Euro nie und sehen sich jetzt mit Genugtuung bestätigt. Ich wollte den Euro damals, will ihn heute noch und sehe eine ernste Bedrohung. Die Target-2-Überschüsse sind der Grund, warum wir eine politische Union mit Euro-Bonds brauchen. Ansonsten bricht die Kiste zusammen. Es war sicher nicht die Absicht der Autoren der Target-2-Debatte, für Euro-Bonds und eine politische Union zu werben. Für mich ist es die zwingende Konsequenz ihrer Analyse.