Es ist schon zwölf Uhr mittags. Am Telefon klingt Daniel Schmitt noch ziemlich verschlafen. "Zwischen zwei Uhr nachts und fünf Uhr früh ist für mich die beste Zeit zum arbeiten", sagt er. Sein Arbeitsplatz ist das Internet und er richtet sich nach den Ruhezeiten, die das Netz ihm vorgibt: Erst gegen zwei Uhr in der Nacht ebben die Wellen von Spam ab, die seine Postfächer verstopfen. Dann erst kann er sich richtig auf das Projekt konzentrieren.

Daniel Schmitt gehört zu der Gruppe von Menschen, die seit etwas mehr als zwei Jahren die Webseite namens Wikileaks betreibt. Obwohl ihre Aktivitäten langsam auch in Deutschland bekannter werden, betrachten viele das Projekt noch mit überaus gemischten Gefühlen. Denn die Seite gibt jedem die Möglichkeit, geheime Dokumente an die Öffentlichkeit zu bringen, die eigentlich nie für diese bestimmt waren. Das können interne Papiere aus Unternehmen sein, die Korruption oder Schikanen belegen. Es kann sich um unter Verschluss gehaltene Strategiepapiere von Institutionen und Parteien handeln, um Militärhandbücher, Polizeiberichte, Ermittlungsakten oder Regierungsberichte. Aber auch um private E-Mails. Ihnen gemeinsam ist nur eins: Jemand hielt es für sinnvoll, diese Informationen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Und hat sie deshalb Wikileaks zuspielt.

Daniel Schmitt sieht aus wie viele. Ein junger Mann in den Dreißigern, schwarze Hose, schwarzes T-Shirt, Intellektuellen-Brille, mit Bommeln an der buntgestrickten Pudelmütze. Im Kreis seiner Freunde vom Chaos Computerclub fällt er optisch genauso wenig aus der Reihe wie in einem Berliner Szene-Restaurant. Freundlicher Händedruck, kein langer Small Talk. Für ihn, sagt er, ginge es bei Wikileaks um mehr als um konkrete Korruptionsbekämpfung. Es ginge auch um Herrschaftsverhältnisse: "Frei nach Orwell: Wer die Vergangenheit kontrolliert, der kontrolliert die Zukunft." 

Sogenannte "Whistleblower" (Geheimnisverräter) sind oft nicht gern gesehen, zumal in Deutschland. Wer Ungereimtheiten entdeckt, traut sich aus Angst vor Jobverlust und Strafverfolgung in der Regel nicht, öffentlich darüber zu sprechen, hat Verschwiegenheits-Klauseln unterschrieben oder Angst vor Prozessen. "Als Mächtiger habe ich ein Interesse, dass ich mich hinter schützenden Barrieren verschanzen kann", sagt der Hamburger Politikwissenschaftler Hans Kleinsteuber über die Seite von Wikileaks, die er für eine extrem nützliche Erfindung hält. Die Mächtigen würden alles dafür tun, den Ruf des Denunzianten in der Öffentlichkeit zu verunglimpfen.

Wikileaks versucht, Denunzianten zu schützen. Die Seite garantiert jedem Zuträger Anonymität und trägt Sorge, dass die Verbindung, über die man die Information bekam, nicht nachverfolgt werden kann. Sortiert wird nicht, was angeliefert wird, geht auch online. Schmitts Team prüft lediglich, ob es sich um ein echtes Dokument handelt. Die konkrete Auswahl, was wirklich relevante Informationen sind und welche Schlüsse sich etwa aus einem 10.000 Seiten starken Toll-Collect-Vertrag ziehen lassen oder welche Relevanz die 570.000 Pager Nachrichten haben, die am 11. September verschickt wurden, überlässt man der Weisheit der Leser. Also potenziell jedem.

Wer aber ist derjenige, der dort versucht, die Barrieren der Mächtigen einzureißen? "Daniel Schmitt" ist nicht sein richtiger Name. Und sein genaues Alter will er lieber nicht nennen. Beim Reden malen seine Finger unsichtbare Netze in die Luft. Wenn ihm eine Frage zu lange dauert, rutscht er ungeduldig auf dem Stuhl nach vorne. "Würde ich heute in die Schule kommen, würde man mir vermutlich Ritalin gegeben", sagt er. Probleme aber hatte er damals auch. Seine Lehrer hätten ihn nicht aufs Gymnasium schicken wollen, erzählt er, "weil ich mir lieber Stifte in die Ohren gesteckt habe, als zu lernen". Faul war er nicht. Er habe sich in unterschiedlichen Ehrenämtern engagiert, in einem deutsch-französischen Freundschaftsverein den interkulturellen Austausch organisiert zum Beispiel. Und lange in einer Bücherei gearbeitet, wo er gelernt habe, wie wichtig der Zugang zu freien Informationen für alle sei. Auch sein Informatikstudium hat er ziemlich erfolgreich abgeschlossen.

Gerechtigkeit sei für ihn schon immer ein Thema gewesen, aber erst mit Wikileaks hätte er eine Sache gefunden, für die er sich voll und ganz engagieren wollte. Wahrheit sei für ihn auch privat ein hohes Gut. "Ich kann doch erst Entscheidungen treffen, wenn ich die vollständigen Hintergründe kenne", sagt er. Fragt man ihn nach seiner politischen Haltung, sagt er, er sei Anarchist. "Das wird oft falsch verstanden. Ich möchte keine Gesellschaft, in der jeder gegen jeden kämpft. Ich möchte eine, in der selbstverständlich auf den Schwächeren Rücksicht genommen wird." Nur brauche es dafür keine herrschende Klasse, dies zu überwachen, findet er. Politisch will er sich weder rechts noch links einordnen lassen, das Schema sei "ohnehin überholt".