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Karrieren Der Kamelhändler

Hans-Joachim Fuchtel, CDU-Abgeordneter aus Calw, darf nach 22 Jahren im Bundestag der Bundesregierung als Parlamentarischer Staatssekretär dienen. Warum?
Von Christoph Schwennicke

Das Martinique in Freudenstadt hat unverkennbar Zeiten erlebt, in denen es mit der Gegenwart erfolgreicher Schritt halten konnte. Die DJs blenden gerade von "Brick House" zu "Last Night a DJ Saved My Life" über, als ein Mann im Raum auftaucht, der im Schummerlicht an jenen Herrn erinnert, der Deutschland regierte zu Zeiten, als das Martinique noch in Mode war.

An Helmut Kohl.

Es sei schön, "solch einen großen Herrn in unserer Mitte zu haben", sagt der Sportkreisvorsitzende auf der Bühne des Tanzpalastes, und der massige Mann erwidert, er komme ja schon seit 20 Jahren zu dieser Sportlerehrung, "da hoffe ich, dass Sie jetzt auch einen Staatssekretär der Bundesregierung hier ertragen".

Staatssekretär der Bundesregierung. Er macht eine Pause, damit sich der Beifall in ihr ausbreiten kann.

Hans-Joachim Fuchtel, 57, ist ganz oben angekommen. Seit vier Wochen darf er sich Parlamentarischer Staatssekretär im Arbeits- und Sozialministerium nennen. Nach 22 Jahren in Bonn und Berlin und über 40 Jahren in der CDU. 1968 trat er in die Junge Union ein, seit 1987 sitzt er weitgehend unbemerkt für den Wahlkreis Calw im Bundestag. Aufgefallen war er zuletzt dadurch, dass er sowohl bei der Wiederwahl des Bundespräsidenten im Mai als auch bei der Wiederwahl der Bundeskanzlerin im Oktober bei den Abstimmungen als Schriftführer des Bundestagspräsidenten die Namenslisten des Plenums vorlas. Nachname, Vorname. Nachname, Vorname. Fehlerfrei.

Wieso, fragt man sich, wird einer, der im Bundestag die Namen vorliest, einer, der 22 Jahre im Bundestag nicht weiter aufgefallen ist, zum Ersatzminister, darf Reden in Vertretung des Ministers halten und auf der Kabinettsbank Platz nehmen, so wie am vorvergangenen Donnerstag, als er in der ersten Reihe saß für seinen angeschlagenen Minister Franz Josef Jung? Einer, der von sich selbst auf seiner Homepage bis vor kurzem sagte, er sei "kein politischer Promi" sondern "ein Abgeordneter mit einem großen Wahlkreis"?

Der Mensch Fuchtel ist ein durch und durch durchschnittlicher Bundestagsabgeordneter aus dem nördlichen Schwarzwald. Das Modell Fuchtel aber verrät einiges über die Mechanismen der Politik in Berlin, darüber, wie die kleinen Rädchen in die großen greifen. Es verrät auch viel über das filigrane Belohnungs- und Ruhigstellungssystem, das jenes Mischwesen des Parlamentarischen Staatssekretärs geschaffen hat.

Rein sachlich betrachtet ist der Parlamentarische Staatssekretär das überflüssigste Wesen des deutschen Politikbetriebs. Nichts würde fehlen, gäbe es ihn nicht. Der "Parlamentarische" ist Zierrat, eine Nippesfigur aus Fleisch und Blut. Und es ist wie mit Nippes auf dem Büchersims: Wenn man nicht aufpasst, steht immer mehr davon herum. Die Zahl der Parlamentarischen Staatssekretäre hat sich seit Ende der sechziger Jahre vervierfacht. 30 gönnt sich die aktuelle Bundesregierung. Abschaffen will sie immer nur die Opposition, aber nur, bis sie wieder regiert. Weil diese Posten parteipolitisch verdammt nützlich sein können.

Der Fall Fuchtel lehrt, dass man nicht unbedingt bei Anne Will in der Talkshow glänzen, dass man nicht mal im Bundestag aufgefallen sein muss, um aufzusteigen. Man muss aber wissen, wie Politik dort funktioniert, wo sie nicht von Scheinwerfern ausgeleuchtet ist.

In der Politik ist es wie im Pilzwald. Über dem Waldboden sieht man nur den Hut, darunter liegt der eigentliche Pilz, verborgen als feines Gespinst im Boden. Politik, das ist das ebenso feine Geflecht von Geld und Beziehungen und der virtuose Umgang mit der Kombination aus beidem. Fuchtel hat ein feines Gespür für den entscheidenden Schmierstoff in der Politik entwickelt, Helmut Kohl redete von "Bimbes".

Viele Jahre saß Fuchtel im Haushaltsausschuss, zuständig für Einzelplan 11, Arbeit und Soziales, den mit weit über hundert Milliarden Euro mit Abstand größten Einzeletat. In seinem Haushalt, da kenne er sich bis in die hintersten Winkel aus, sagen sie im Ausschuss. Dieses Wissen ist Macht. Und Fuchtel hatte das letzte Wort, wer sich da eine "Tiefenkenntnis bis zum letzten Dienstwagen" erarbeitet habe, wie er sagt, der kann eine Menge machen.

Es war Unionsfraktionschef Volker Kauder, der nach der Wahl dafür sorgte, dass Fuchtel Staatssekretär wurde. Die Baden-Württemberg-Connection, eine mächtige Seilschaft in der CDU, funktionierte. Es heißt, dass darüber hinaus Angela Merkel von Fuchtels extrem harter Kindheit in schwierigen sozialen Verhältnissen wisse und beeindruckt sei, wie sich Fuchtel durchgebissen habe.

Da, wo er ist, ist wichtig

Auf dem Weg zum Flughafen in Berlin klingelt Fuchtels Handy. "Des war der Teufel-Erwin", sagt er, als er auflegt. Beim Teufel-Erwin, dem ehemaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, hat Fuchtel in den achtziger Jahren als Berater angefangen. Bei ihm hat er Politik gelernt. Teufel hat er damals ein Postfrachtzentrum bei Böblingen ausgeredet, weil dort die Mieten für die Beschäftigten höher gewesen seien, das Land also am Ende mehr Wohngeld hätte zahlen müssen. Das Postzentrum kam dann nach Eutingen, das erstens mit billigeren Mieten aufwartete und zweitens zu Fuchtels Wahlkreis gehört. Fuchtel ist das, was man im Süddeutschen einen "Gschaftlhuber" nennt. Wie Kohl, der mit seinem Telefonbüchlein die CDU und Deutschland regiert hat. Sollen die anderen ruhig bei Anne Will sitzen.

Ob er Helmut Kohl persönlich kenne? "Natürlich! Beschtens!" Für Kohl habe er 1997 ein Kamelrennen im Berliner Hoppegarten organisiert, weil der Kanzler mit den Arabern ins Geschäft kommen wollte. "2 Stunden 17 auf CNN, 42 000 Besucher im Hoppegarten - nachmachen!", sagt Fuchtel.

Wer ihn etwa als "Petersilie" belächelt, das ist im Bundestag der spöttische Begriff für die Schriftführer des Bundestagspräsidenten, der hat nichts verstanden. Von da oben, sagt Fuchtel, "von da oben sehen Sie alles!" Und das sei auch wichtig in der Politik: "zu sehen, wo es menschelt, wer wieder mit wem mauschelt".

Mangelnder Respekt vor der eigenen Leistung ist nicht sein Problem. Zum Treffen in seinem neuen Amtszimmer im Ministerium hat er ein großes Flipchart vorbereitet, in dem er in Grün und Rot und Blau und Schwarz die Arbeitsbereiche des Hans-Joachim Fuchtel aufgezeichnet hat: Abgeordneter, Präsident der Bundesvereinigung des Technischen Hilfswerks, Gründer einer dazugehörigen Stiftung mit einem Stiftungskapital von zwei Millionen Euro - "nachmachen!", sagt er triumphierend. In den Neunzigern als Rechtsanwalt angefangen, inzwischen in der "Bundesliga der deutschen Anwälte im Familienrecht - nachmachen!"

Fuchtel ist ein Sonnenkönig in einem Sonnensystem, das er selbst definiert und zu dessen Mittelpunkt er sich macht. Da, wo er ist, ist wichtig, der Rest wird einfach ausgeblendet. Die Sache mit den Kamelen zum Beispiel fing damit an, dass ein Landwirt in seinem Wahlkreis auf die Idee verfiel, Kamelfarmer im Schwarzwald zu werden. Jetzt ist das Kamel aus der Politik des Hans-Joachim Fuchtel praktisch nicht mehr wegzudenken. Kohl und das Kamelrennen, die Connections nach Abu Dhabi. Als Kamele des Kamelfarmers einmal krank wurden, konnte Fuchtel für den Mann ein Kameldoktor-Praktikum bei seinen arabischen Freunden bewirken.

Fuchtel, der Kamelhändler. Das ist gar kein schlechtes Bild für einen, von dem sie im Haushaltsausschuss sagen, dass man mit ihm immer gut auskommen konnte, solange sein THW nicht zu kurz kam.

Die Hohenberghalle in Horb am Neckar ist eine typische Mehrzweckhalle: eher praktisch als schön. An diesem Abend soll der neue Oberbürgermeister offiziell ins Amt eingeführt werden, der Saal ist voll, der Trollinger umsonst. Für Hans-Joachim Fuchtel ist ein Platz in der ersten Reihe vorgesehen, allerdings nur als Nummer zwei, neben Michael Theurer, dem bisherigen Oberbürgermeister von der FDP. Fuchtel ändert einfach die Sitzordnung und setzt sich auf Theurers Platz. Die beiden sind ein spezielles Pärchen. Der FDP-Mann hatte die Oberbürgermeisterwahl 1995 in Horb nicht zuletzt mit dem Versprechen einer Hochbrücke für die Stadt im Talkessel gewonnen. Fuchtel traf sich alsbald mit dem Neuen zu einem Gespräch, das er laut Theurer als "Non-Gespräch" deklarierte.

"Non-Gespräch", sagt Theurer noch heute kopfschüttelnd, "ich wusste damals gar nicht, was das ist: ein Non-Gespräch." Jedenfalls habe ihn Fuchtel in diesem Gespräch ermuntert, aus der FDP aus- und in die CDU einzutreten. Das sei doch jetzt an der Zeit. Als Theurer das ablehnte, wurde es etwas frostiger: "Dann werden wir Ihnen des Wasser abdrehen."

Fuchtel bestreitet den Hergang, das erzähle Theurer seit Jahren. Aber egal, wie ultimativ Fuchtel da aufgetreten ist, die Begebenheit beschreibt das Prinzip, das einem einfachen Mann ein großes Büro in einem Bundesministerium beschert hat: Beziehungen aufbauen, Abhängigkeiten schaffen, Wohlverhalten belohnen, Widerstand bestrafen. Auf die Hochbrücke wartet Horb bis heute.

Später am Abend beglückwünscht ihn der neue Oberbürgermeister von der Bühne zu seinem Amt, eine schöne Sache, schon, aber "Staatssekretär im Verkehrsministerium wäre besser für uns". Dort wird nämlich auch über Hochbrücken von Bundesstraßen entschieden. Fuchtel sagt von sich, er habe jetzt ganz andere Möglichkeiten, "sich nützlich" zu machen. "Wer macht das nicht?"

Seine bisherigen Kollegen im Haushaltsausschuss haben gar keine Bedenken, dass Fuchtel sich weiter nützlich machen wird. Sie sorgen sich eher, ob er die repräsentativen Anforderungen seines neuen Amts erfüllen kann. Beim traditionellen Essen der Haushälter im Schloss Bellevue, so erinnern sie sich lebhaft, da fand der füllige Fuchtel die Portionen wohl etwas vornehm-kärglich. Ob das ein Witz sein solle, fragte er brüsk nach Nachschlag. Nicht das Bedienungspersonal, sondern gleich den Bundespräsidenten.