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(c) Pester Lloyd / 46 - 2012   POLITIK 14.11.2012

 

Eklat im Parlament

Parlamentspräsident droht Opposition in Ungarn mit Redeverbot und Rausschmiss

Die Parlamentssitzungen in Ungarn schwankten, wie auch in anderen Ländern, seit Jahren zwischen Comedy Club und Propagandabühne, seit jedoch Fidesz über zwei Drittel der Mandate beherrscht, ist sie zudem zur Gesetzesfabrik von Abstimmungsmaschinen auf zwei Beinen verkommen. Am Dienstag kam es zu einem handfesten Eklat, als der Fidesz-Parlamentspräsident einen Oppositionspolitiker von der "Parlamentgarde" rausschmeißen lassen wollte.

Sogar die alles niederstimmende Mehrheit genügt den Regierungsparteien heute nicht mehr. Schon die Debatte selbst scheint die "Nationale Revolution" so zu stören, dass sie möglichst kurz gehalten oder ganz unterbunden werden soll. Änderungen an der Geschäftsordnung verpflichten die Abgeordneten seit Januar, die Stichhaltigkeit ihre Wortmeldungen zuvor zu begründen, um "unnötigen Zeitverlust" beim Durchpeitschen von Gesetzen zu verhindern.

Mehr zum Thema:
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Die Beratungs- und Studierfristen von teilweise hunderten Seiten umfassenden Gesetzesentwürfen, samt Änderungsanträgen wurden, sowohl für die Parlamentarier als auch für die zuständigen Ausschüsse massiv eingekürzt, ein Gestz kann heute binnen einer Sitzung vom Entwurf zum Gesetz werden. Parlamentspräsident László Kövér, selbst Freund deftiger Wortspenden (am liebsten bei seinen nationenrettenden Auftritten in der Slowakei oder in Rumänien) und in Demokratien eher ein Fall für den Verfassungsschutz, beantragte sogar einen eigenen Sicherheitsdienst, eine bewaffnete Parlamentsgarde, die notfalls unbotmäßige Abgeordnete vor die Tür setzen sollte. Ihm allein obliegt es übrigens auch, eine "nicht sachgemäße oder dem Parlament unangemessene" Wortmeldung als solche zu identifizieren und durch Abdrehen des Mikfrofons zu beenden, wovon er auch mehrmals Gebrauch machte.

Sticheleien und Verfahrensstreits gab es in diesem "betreuten Parlamentarismus" immer wieder, kaum lohnt es noch darüber zu berichten. Am Dienstag kam es wieder einmal zu einem offenen Eklat, die so häufig sind, wie Wolken am Himmel. Passenderweise geschah es diesmal bei der Behandlung des Themas Bildungsreform, nämlich der Verstaatlichung der Schulen.

Der MSZP-Abgeordnete Zoltán Lukács prangerte in einem Statement an, dass die Regierung mit der Verstaatlichung der Schulen ein "absolutes Chaos" verursacht habe, denn weder seien Finanzierung, noch Betrieb der Schulkantinen, noch nicht einmal die Aufsicht über die Lehrerschaft oder gar rechtliche Fragen von Mobiliar, Schulmaterialien und Aufsichtsfragen geklärt. Anscheinend gehe es der Regierungspartei nur darum, alles unter ihre Kontrolle zu bringen und gehe dabei auch das ganze Schulsystem vor die Hunde. Er fordere die Rücknahme und Neuvorlage nach entsprechender Überarbeitung.

Fidesz-Abgeordnete riefen dazwischen, das sei alles Demagogie, doch Parlamentspräsident Kövér (Foto) "verteidigte" den sozialistischen Kollegen mit den Worten: "Auch Demagogie ist Teil der Redefreiheit", woraufhin MSZP-Kollegen István Nyakó der Kragen platzte und dieser sagte: "Herr Vorsitzender verwechseln das Parlament wohl mit einem Fidesz-Parteitag..." Kövér verlangte sodann, Nyakó möge wegen "Beleidigung des Parlamentspräsidenten" den Saal verlassen, worauf Nyakó auf seine verfassungsmäßigen Rechte als Abgeordneter pochte, sodann entzog der Vorsitzende sämtlichen MSZP-Parlamentariern das Wort und rief - zur Sicherheit - die "Parlamentsgarde".

 

Der Rest ging in gegenseitigen Vorwürfen und Schreiduellen der Parlamentarier unter, die von "Fidesz-Stalinismus" bis "Landesverräter" (MSZP-Chef Mesterházy hatte in einer italienischen Zeitung im Zusammenahng mit der Wählerregistrierung vor dem Entstehen eines faschistischen Ungarns gewarnt) reichten. Eine außerplanmäßige Kaffeepause beruhigte die Gemüter dann wieder halbwegs.

Achja: die Schulen werden verstaatlicht. Das sei eine Sache der nationalen Fürsorge. Geld, Strukturen und sonstiger organisatorischer Kleinkram werden später geregelt. Es lebe die Republik!

bal.

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