Hacken als Form der Gesellschaftskritik

Zum Tod von Wau Holland, dem Doyen der deutschen Hackerszene

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Mit dem Tod von Wau Holland hat die deutsche Hackerszene ihren wichtigsten Vordenker verloren. Wau Holland alias Herwart Holland-Moritz hat vor 20 Jahren den inzwischen größten Hackerverein Europas, den Chaos Computer Club (CCC), mit ins Leben gerufen.

Seine Vorstellung vom Hacken, die weit über das Knacken von vernetzten Rechnern hinausging und vor allem auf die Veränderung der von Computertechnologien immer stärker beeinflussten Gesellschaft aus war, prägte die Ethik der Freunde des schöpferisch-kritischen Umgangs mit neuen Technologien hier zu Lande entscheidend. Der mit 49 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls Verstorbene war ein großer Verfechter der Meinungsfreiheit, ein erbitterter Gegner jeglicher Zensur und ein profilierter Medien- und Gesellschaftskritiker. Ohne ihn steht der CCC, dessen Alterspräsident und Übervater Wau Holland bis zum Schluss war, ein wenig kopflos da.

Wo immer Wau Holland auftrat, hinterließ er bleibende Eindrücke. Schon allein durch sein aus dem Rahmen fallendes Aussehen erregte der Freidenker Aufsehen: Eine sich langsam lichtende und ergrauende Wuschelmähne ging bei Wau in seinen letzten Jahren in einen mindestens genauso struppigen Vollbart über. Dazu kam im Sommer eine helle Leinentoga, im Winter eine blaue Latzhose, was den Exoten selbst unter dem bunten Volk der Hacker zum Status eines Paradiesvogels verhalf.

Aber auch seine Worte und Gedanken blieben jedem im Gedächtnis haften, der einem seiner Vorträge lauschte. Als Experte im Bereich Sicherheitstechniken und Datenschutz wurde Wau in Kreisen der Wirtschaft wie der Politik geschätzt, auch wenn seine grundsätzlich liberale Haltung nicht überall auf offene Ohren stieß.

Seine Neugier trieb Wau in Jugendjahren zu den Pfadfindern. Nach der Schule studierte er vor allem "Das Kapital" von Marx. Schon in den 1960ern bekam der Revoluzzer von den ersten, spielerischen Hackversuchen in Deutschland Wind: Damals ging es beispielsweise um die Ausnutzung einer Eigenheit des Bahntelefonnetzes, dank der sich die noch sehr teuren Ferngespräche zum Ortstarif abwickeln ließen. Ende der 70er setzte sich Wau erfolgreich für die Idee der Institutionalisierung der damals noch sehr überschaubaren Szene ein, nachdem er sich aus den USA Literatur zum dort bereits deutlich weiter fortgeschrittenen Computer-Hacking besorgt hatte.

Computer als Medium

Herwart Holland-Moritz schrieb damals für die Berliner taz über die ihn bewegenden Themen. Angeregt von der Resonanz, die seine Artikel und eine Anzeige zur Suche nach Gleichgesinnten hervorruft, treibt der Pionier 1981 am runden Tisch der Kommune 1 in den Redaktionsräumen der taz die Gründung des Chaos Computer Clubs voran. Auch eine Computerzeitschrift will er gründen, lässt Wau die taz-Leser wissen. Da sofort 80 Vorbestellungen bei ihm eintrudeln, ist die Geburt der Datenschleuder beschlossene Sache.

Dort spürt man die Philosophie der jungen Bewegung, die der Medientheorie Jahre voraus ist: "Der Computer ist nicht nur ein Spielzeug und Werkzeug, sondern auch ein neues Medium", lässt sich in der Erstausgabe über die soziale Sprengkraft des Rechners nachlesen. Die Datenschleuder entwickelte sich in den Folgejahren zum "wissenschaftlichen Fachblatt für Datenreisende", als die sich die Chaosjünger seit der Entdeckung des Internet auch bezeichnen.

Vor den spektakulären Nasa-Hacks, bei denen sich die Freaks vom CCC Mitte der 80er eine Hintertür in den "VAXen", den Mainframe-Nachfolgern aus dem Hause Digital, zunutze machten und lange vor der Geburt des World Wide Web so das "Surfen" erfanden, entdeckte die Szene zunächst den Bildschirmtext-Dienst (BTX) der Bundespost als Spielwiese.

Sicherheitslücken vor Augen führen

Mit einem Schlag berühmt wurde der CCC dabei vor allem mit dem legendären "Haspa-Hack" 1984. Mitte November entschließen sich die Hacker rund um Wau, dem BTX-System einen Softwarefehler nachzuweisen. Zuvor hatten sie die Schwachstelle auf einer Fachtagung vorgestellt, doch die Postler hatten abgewunken. Mit Hilfe eines Basic-Programms veranlassen sie den Rechner der Hamburger Sparkasse dann, von Freitag auf Samstag eine ganze Nacht lang permanent eine gebührenpflichtige Seite des CCC-Bildschirmtext-Angebots abzurufen. Bei rund 134.000 erbeuteten Mark stoppen sie das Programm. Nach dem Wochenende macht der CCC den Hack öffentlich und gibt das Geld zurück. Denn zu einer der wichtigsten Club-Maximen gehört es, ohne destruktive oder kriminelle Absichten auf Fehler im System hinzuweisen.

Gerade Wau hat ganz in diesem Sinne die Ehre des Clubs immer wieder hochgehalten und auf die Einhaltung der Hackerethik gepocht. "Das wichtigste Prinzip beim Hacken ist seit eh und je Offenheit, sie schützt davor, erpressbar zu sein", war seine Devise. Wenn man sein Wissen weitergebe, um Fairness gegenüber allen Beteiligten bemüht sei und das Prinzip "No hacks for money" beachte, konnte seiner Meinung nach beim Hacken eigentlich nichts schief gehen.

Vorausschauender Umgang mit Gesetzen

Gleichzeitig war der sich für die Bürgerrechte stark machende Wau Holland allerdings alles andere als ein Paragraphenreiter, besonders wenn es ums Strafgesetzbuch ging. Wiederholt rief der Doyen der deutschen Hackergemeinde zu einem "vorausschauenden Umgang" mit den Gesetzen auf (Wau Holland bläst zur Informationsfreiheits-Offensive).

Wau erinnerte zur Untermauerung seiner Forderung daran, dass in den Anfangszeiten des Clubs "die Verlängerung eines Telefonkabels" oder die Inbetriebnahme eines Modems schlimmer bestraft wurde "als das Auslösen einer atomaren Explosion". Doch die Hacker führten den Richtern einfach permanent deren technische Unerfahrenheit vor Augen, bis sie ihre Sicht des "schöpferisch-kritischen Umgangs" mit der Technologie schließlich in die Köpfe der Entscheider bekamen. Einige unsinnige Verbote rund um die Nutzung der Kommunikationstechnik wurden schließlich zurückgenommen. Schon 1985 ließen sich zudem die Grünen vom CCC über die Möglichkeiten der PC-Vernetzung aufklären. Heute werden Club-Mitglieder sogar als Sachverständige zu Bundestagsanhörungen geladen.

Kampf für die Informationsfreiheit

Ein Herzensanliegen war Wau auch der Kampf für eine offene, Informationen teilende Gesellschaft. Auf Kriegsfuß stand der Alterspräsident des CCC daher mit jeglichen Bestrebungen der "Content"-Industrie, ihre Produkte unter die digitale Plombe zu bringen und die Freiheiten der Nutzer im Umgang mit Informationsgütern einzuschränken.

Zeitlebens kritisierte Wau Holland so vor allem die Musikbranche, die den Konsumenten schon das Herumschrauben an Musik-Kassetten verbieten wollte und momentan verzweifelt Mittel und Wege sucht, um das Kopieren von CDs und digitalen Formaten zu verhindern. Dem setzte Wau – auch im Gespräch mit Telepolis (Zensurgelüste wie im Mittelalter) – sein Medienverständnis entgegen: "Der Computer ist eine Maschine zum Kopieren und Verändern von Bits." Die Musikindustrie müsse daher einsehen, dass Kopierschutzverfahren technisch gesehen letztlich keine Chance haben.

Hacken war für Wau immer einerseits von Neugierde und Spieltrieb, andererseits aber auch von einem sozialen Gestaltungswillen geprägt. Aus den technischen Geräten, die den Menschen immer häufiger und enger umgeben, wollte er den "Zusatznutzen" herauskitzeln. Wer zum ersten Mal das Wasser fürs Kartoffelpüree mit der Kaffeemaschine heiß gemacht hat, wird sicher auch der Mikrowelle oder dem Handy neue Funktionen abgewinnen können, glaubte der Althacker: "Die Menschen könnten die ganzen Geräte, die sie in die Finger bekommen und die mehr und mehr technische Funktionalität enthalten – zum Teil auch gesperrte Funktionalität –, in einer Art neuer Heimwerkerbewegung zerlegen und verbessern." Oft müsste man nur bestimmte Codes ändern, um ganz neue, standardmäßig nicht offen liegende Möglichkeiten zu nutzen.

Die Jahre vor seinem Tod hatte Wau Holland fast zwei Jahre lang Kids in einem Jenaer Jugendzentrum das Computern beigebracht. Seit Ende 2000 führte er ein offenes Haus in Berlin und kümmerte sich von dort aus um den Hackernachwuchs.

Herwart Holland-Moritz verstarb am Sonntagmorgen, zwei Monate nach Erleiden eines Schlaganfalls. Er lag seit 29. Mai im Koma. Mitte Juli konnte Wau zwar wieder selbstständig atmen und zeigte mimische Reaktionen auf gezielte Ansprache. Doch am Freitag war nach Angaben eines virtuellen Gästebuchs, das Freunde eingerichtet haben, bei dem knapp 50-Jährigen die Temperaturregelung im Gehirn ausgefallen. Dem einsetzenden hohen Fieber konnte der geschwächte Körper nicht mehr viel entgegensetzen.