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Rabatz in Tirol: Uni brennt

Foto: SoWiMax

Besetzte Hörsäle Basisdemokratische Reggae-Party

Seit bald zwei Wochen halten österreichische Studenten die Aula der Uni Innsbruck besetzt. Verkehrte Welt: Bürgermeisterin, Rektor, Professoren zeigen viel Verständnis für die kleine Rebellion. Manche Kommilitonen dagegen schimpfen und rufen nach der Polizei.

In der Hörsaalmitte stehen große grüne Topfpflanzen, blaue Matratzen lehnen an den Wänden. Die Tischreihen der Aula sind vollgestellt mit Laptops, darunter kringeln sich Kabel. Zwei kleine Hunde laufen auf dem Parkett umher, während ein junger Student im grünen Pulli mit Mikrofon durch die vollen Sitzreihen hastet. Ein anderer nimmt es entgegen und ruft: "Die Brände sind in Hessen angekommen, die Uni Darmstadt ist besetzt!". Die Menge klatscht begeistert.

"Hier wird Geschichte geschrieben", steht am Eingang der besetzten Aula der sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät (SoWi) der Universität Innsbruck. Nach einer Demo Ende Oktober besetzten einige hundert Studenten spontan den großen Vorlesungssaal und tauften ihn "Sowimax", in Anspielung auf das Audimax der Uni Wien, aus dem die Studenten seit zweieinhalb Wochen nicht weichen. Ihr Motto lautet wie in Wien und anderswo "Uni brennt", unter dem Stichwort #unibrennt fließen Kurznachrichten auf Twitter aus Deutschland und Österreich zusammen.

Während manche Gulasch im Hörsaal kochen, stehen andere Studenten ständig mit Besetzern in Wien, Salzburg und Linz in Kontakt. Per Videoübertragung schicken sie ihr Signal vom Tiroler Uni-Aufstand ins Netz.

Applaus nach jeder Wortmeldung - auch wenn einer sagt, er habe keine Zeit

An einem weißen Laptop sitzt Andrea Umhauer, 23. "Wir bleiben so lange hier, bis sich etwas ändert", sagt die blonde Pädagogik-Studentin mit weißer Bluse und modischer Kette. Sie ist eine der Pressesprecherinnen der Besetzer und kennt den Forderungskatalog auswendig, so oft wird sie danach gefragt: kostenlose Bildung, mehr Freiräume im Studium, Frauenquoten für alle Lebensbereiche, keine Zulassungsbeschränkungen, mehr Professoren.

Umhauer selbst kommt aus Penzberg bei München und damit aus Deutschland, wie so viele andere, die in Innsbruck studieren. "Ich glaube, dass es eine EU-weite Veränderung braucht", sagt sie. Dass der Protest langsam nach Deutschland überzuschwappen scheint, sieht sie mit Freude.

Abend für Abend wiederholt sich seit neun Tagen die Szenerie: Die Aula füllt sich, Dosenbier wird geöffnet. "Sollen wir jemanden nach Wien schicken, um uns zu vernetzen?", fragt der Moderator. 200 Hände gehen nach oben, die Antwort lautet nein, fast alle sind dagegen. Zu groß ist die Furcht, die Basis hätte dann kein Mitspracherecht mehr. Alles muss basisdemokratisch entschieden werden, jeder darf sprechen.

Die Diskussionen im Plenum ziehen sich oft bis nach Mitternacht. Die großen Stufen erinnern ein wenig an ein antikes griechisches Parlament, wäre da nicht der Reggae, der aus riesigen Boxen ertönt. Man klatscht nach jeder Wortmeldung - sogar wenn jemand nur erklärt, dass er am Wochenende keine Zeit habe, nach Wien zu fahren, um sich zu "vernetzen".

Solidarität von Profs, manche Studenten rufen nach der Polizei

Doch die etwa 30.000 Studenten in Innsbruck sind längst keine homogene Gruppe mehr. Während selbst Rektor Karlheinz Töchterle bei einer Diskussion mit den Besetzern sagte, "das hier ist Universität im besten Sinne", wollte eine Gruppe Studenten ihren Saal zurück. Einen Pulk Unterstützer hatte Lukas Leys, Student der Wirtschaftswissenschaften, am Dienstag ins Plenum mitgebracht, um "die schweigende Mehrheit" zu mobilisieren, so Leys zu "Zeit Online". Doch die Abstimmung wurde auf spät in die Nacht verschoben, bis dahin waren die Gegner längst heimgegangen. Am Ende stimmten sieben gegen die Besetzung, 370 dafür, darunter auch Leys selbst.

Im Internet geht der Kampf dagegen weiter. Die Initiative "Studieren statt Blockieren" fordert eine Auflösung der Besetzungen, rund 26.000 Fans haben sich auf Facebook schon angeschlossen. "Ein Wahnsinn, wie lächerlich die Studenten in Österreich gemacht werden, nur weil einige sich unreif benehmen, Steuergeld verbraten und Partys auf Universitäten abhalten. Pfui!", schreibt ein Florian im Netz. Und ein Wolfgang fragt: "In Deutschland wird ein Hörsaal nach dem anderen von der Polizei geräumt. Wieso nicht auch bei uns?"

Auch die von den Studenten gewählten Vertreter der Innsbrucker Hochschülerschaft (ÖH) sehen die Besetzung kritisch. Sie stehen, anders als ihre ÖH-Kollegen im übrigen Österreich, der konservativen ÖVP nahe. In der besetzten Aula zählt ihre Stimme jetzt nicht mehr als die aller anderen Studenten jeden Abend. Einen Anführer gibt es nicht. "Drei Vertreter für alle - das ist doch nicht basisdemokratisch", sagt Sprecherin Umhauer. "Wir fanden uns nicht mehr von der ÖH vertreten." Die Uni-Leitung toleriert derweil die Besetzung, Bürgermeisterin Hilde Zach von der ÖVP-Abspaltung "Für Innsbruck" sagt, sie sei "ein legitimes Mittel".

Deutsche Protestler schnüren Care-Pakete für Wien

So kochen die Besetzer jetzt seit zwölf Tagen ihr Demo-Süppchen, hängen Transparente vor die Innsbrucker Skisprungschanze, vor das berühmte goldene Dacherl und an die Europabrücke der Brenner-Autobahn. Durch die Innenstadt marschieren Studenten mit weißen Masken, darauf ihre Matrikelnummern. Sie fühlen sich "gleichgeschaltet" vom Hochschulsystem, steht in einer Pressemitteilung. Nachmittags kommen sympathisierende Professoren in die Aula und halten alternative Vorlesungen, am Abend spielen Bands.

In Deutschland halten derweil seit einigen Tage mehrere hundert Besetzer in Tübingen, Darmstadt, Heidelberg und Potsdam Hörsäle besetzt. In Münster, wo Mitte vergangener Woche eine Protestwelle aufbrandete und die Studenten das Audimax besetzten, ließ Rektorin Ursula Nelles am Freitag in aller Früh den Hörsaal durch die Polizei räumen. Eine angekündigte "Uni-Aneignung" durch Studenten am Montag verhinderte das Rektorat. Ab 14 Uhr räumte die Uni-Leitung das Gebäude, sperrte ab, ließ die Polizei Vorplatz und Zufahrtswege bewachen.

Und obwohl es so aussieht, als bräuchten die Deutschen eher Nachhilfe und Unterstützung durch die Besetzer in Österreich, machten sich deutsche Studenten am Montag auf in die Alpenrepublik: Studentenvertreter der Unis Hildesheim, Hannover und Kiel schnürten "Care"-Pakete mit Kaffee, Schokolade und Kartoffel. Auf einer Deutschlandtour sollen in weitere Uni-Städten milde Gaben für den österreichischen Protestwinter gesammelt werden. Die Übergabe ist für Dienstagabend geplant.