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Familie auf der Seidenstraße: Krabbelstunde in der Moschee

Foto: Brita Sönnichsen | Photography

Elternzeit auf der Seidenstraße Baby mit Stockholm-Syndrom

Schrumpft die Welt, wenn aus Paaren Eltern werden? Im Gegenteil, meint Inka Schmeling, sie ist auch mit Baby verdammt groß. Die Hamburgerin reiste mit Mann und Sohn in die Länder der Seidenstraße - und schürt mit ihrem Buch "Abenteuer Elternzeit" das Fernweh reiselustiger Familien.

Mitten in Istanbul wurde Nepomuk vom Café-Tisch weg entführt. Ein Mann mit breitem Kreuz griff sich das neunmonatige Baby, zeigte ihm die Katze im Innenhof und lieferte es wieder ab - nun versorgt mit einer Brotstange als Leckerli. Nepomuk streckte ihm die Arme hinterher. "Stockholm-Syndrom", kommentiert seine Mutter Inka Schmeling trocken, der Kleine schien Sympathien für seinen Entführer entwickelt zu haben. Die Kinderliebe der Einheimischen und die Neugier auf ein blondes, blauäugiges Baby hat die Hamburger Familie auf ihrer ungewöhnlichen Reise entlang der Seidenstraße begleitet - von der Türkei über Syrien bis ins iranische Teheran.

"Wenn man pure Erholung möchte, dann ist ein Urlaub in Dänemark natürlich entspannter", sagt Schmeling. "Doch uns hat es gut getan, etwas anderes als den Alltag zusammen zu erleben - und uns zu beweisen, dass Reisen auch mit Kind noch geht." Die 31-jährige Journalistin und ihr 36-jähriger Mann haben zwei Monate ihrer Elternzeit gemeinsam genutzt: "Ursula Leyen hat uns Zeit geschenkt", schreibt Schmeling in ihrem Buch "Abenteuer Elternzeit". 2007 setzte die damalige Bundesfamilienministerin das Elterngeld durch, seitdem bekommen gutverdienende Eltern bis zu viermal mehr Geld vom Staat als durch das vorher gezahlte Erziehungsgeld.

Ab der Geburt des Kindes tickt die Uhr, dann zählen die Elterngeld-Monate runter. Spätestens nach 14 Monaten ist Schluss. Will ein Paar zusammen frei nehmen, sind es dementsprechend weniger - in denen es aber doppeltes Elterngeld erhält, als Höchstsatz zusammen 3600 Euro . Perfekt für Eltern mit Fernweh - wie Inka Schmeling und ihren Mann -, doch die Idee muss schon früh da sein: "Wir haben schon während der Schwangerschaft die Reise auf der Seidenstraße geplant", sagt sie, "gebucht haben wir aber erst drei Monate vor Abflug." Zunächst musste sich Nepomuk auf einem Kurztrip ins spanische Galicien als tourtaugliches Baby beweisen - und die Eltern sich auf eine ganz andere Art des Reisens einstellen.

Krabbelstunde in der Blauen Moschee

Die Bedürfnisse ihres Sohns mit dem Pseudonym Nepomuk standen immer im Vordergrund, jeweils rund zwei Wochen blieb die Familie an einem Ort. Schmeling sah es als eine Art Kompromiss an: "Wir haben uns dem Rhythmus des Kindes angepasst, uns aber innerhalb seiner Bedürfnisse überlegt, was wir selber eigentlich gerne machen." Ihr noch nicht mal einjähriges Baby wirkte auf das Paar wie ein Entschleuniger: "Die Ruhe, mal einen halben Tag im Straßencafé zu verbringen, hätten wir uns früher nicht genommen. Oder die zwei Stunden in einer Moschee, nur weil er da gut krabbeln konnte."

Das reiseerprobte Paar nutzte als Fortbewegungsmittel Bahn, Bus, Flugzeug und Mietauto, gibt aber zu bedenken: "Wenn man seine erste Rucksack-Reise mit Kind macht, wird man wahnsinnig". Schmeling würde nicht mit einem Baby Sachen ausprobieren, die sie bis dahin noch nicht gemacht hat. Nepomuk aber lernte die Blaue Moschee in Istanbul kennen, den Orient-Express und eine Kreuzfahrerburg, er lernte in Damaskus laufen und ritt auf einem Kamel.

Sehr amüsant und ehrlich beschreibt Schmeling in "Abenteuer Elternzeit" ihren Alltag in einem Hamburger Szeneviertel und ihre Erlebnisse im Orient. Sie schildert auch den Zoff mit ihrem Mann über die richtige Kinderkleidung und wie sie in Teheran eine heftige, aber folgenlose Heimweh-Attacke erlitt. Der Hauptteil ihres Buches dreht sich aber um Fragen wie: Führt Elternzeit für Männer zum Karriereknick? Wie erziehen andere Kulturen ihre Kinder? Wie stressig ist eine Reise für Kinder? Schmeling lässt dabei auch Experten wie Entwicklungspsychologen, Personalberater und Tropenmediziner in Interviews zu Wort kommen.

Erfahrungsberichte von Familien, die zwar nicht in den Iran, aber etwa nach Kanada, Neuseeland, Kopenhagen oder Thailand reisten, machen das Taschenbuch endgültig zu einem gut zu lesenden und umfassenden Ratgeber für diejenigen, die ihre Kinder auf Reisen als Bereicherung empfinden - und die ihre Elternzeit als Abenteuer erleben wollen. Auf ihrer Webseite Nepomuks Reisen  gibt Schmeling zusätzlich Tipps zu den Reisezielen auf der Seidenstraße und will ein Austauschforum für Eltern mit Fernweh bieten.

"Elternzeit hat uns als Paar gut getan"

Zwei Monate Seidenstraße waren für Inka Schmeling und ihre Familie nicht nur eine neue Reiseerfahrung. Die intensive Zeit zu dritt wirkt auch ein Jahr später noch nach: "Unterwegs haben wir viele Sachen ausdiskutiert und philosophiert, wir haben es neu sortiert - und das ist größtenteils geblieben. Die Grundfragen haben sich in den Alltag rübergerettet." Die Versorgung des Kindes sei nun nicht mehr primär ihre Sache, sondern werde wirklich geteilt. Die Elternzeit hat ihr und ihrem Mann als Paar gut getan.

Nur Baby Nepomuk schien von seiner ersten Fernreise einen "Schaden" davongetragen zu haben: Unterwegs hatte der Junge sich daran gewöhnt, mit den Menschen zu flirten und von ihnen mit Küssen und Knuffen bedacht zu werden, erzählt Schmeling. Nach der Heimkehr nach Hamburg aber habe er sich manchmal erstaunt umgeblickt, "warum ihm die Leute nicht mehr hinterher pfeifen".

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