Quo vadis Microblogging?

Q

Es ist schade, dass ich derzeit so selten dazu komme, meine Gedanken in diesem Blog festzuhalten… Ein Thema dass mich in den letzten Tagen und Wochen sehr beschäftigt hat und normalerweise viel mehr Raum eingenommen hätte, ist die Frage Wohin entwickelt sich Microblogging? Es ist derzeit nicht mehr von der Hand zu weisen, dass das Lesen und Verfassen von kurzen Statustexten selbst in Deutschland mittlerweile einen Nutzerkreis erreicht hat, der weit über den der klassischen Early-Adoptor, Nerds und Geeks hinausgeht.

Realitycheck
Vor wenigen Tagen lernte ich zufällig meinen neuen Nachbarn im Treppenhaus kennen. Ganz selbstverständlich fragte er mich, wie meine Rückfahrt aus Hamburg am gleichen morgen war und was die Dreharbeiten in meiner Wohnung machen. All diese Informationen hatte er als Abonnent meiner Tweets erhalten. Bislang kannte ich diese Situation nahezu ausschließlich von Konferenzen, Barcamps und allen anderen „Branchentreffen“. Diese plötzliche Ankunft im Alltag, quasi vor der eigenen Tür in Gütersloh, ist für mich deutliches Indiz für das Überschreiten einer Schwelle und dem Eintreffen in der Realität. Ebenso wie die Freunde und Bekannten, die mit Blogs und Social Networks bislang wenig anfangen konnten – Twitter hingegen mit wachsender Begeisterung nutzen. Microblogging hat seinen Platz zwischen all den anderen modernen Kommunikationskanälen gefunden und nichts spricht dagegen, dass sich dieser immer weiter ausdehnen und weitere Kreise ziehen wird.

Properitär ist niemals gut
Nun verhält es sich aber so, dass Microblogging defakto gleichzusetzen ist mit Twitter. Möchte man sicherstellen, mit möglichst viele Menschen zu kommunzieren, ist dies die einzige Plattform der Wahl. Weder Friendfeed noch all die anderen Services wie Pownce oder Jaiku, geschweige denn die deutschen Twitter-Klone haben hier einen signifikanten Anteil an dem kleinen aber prosperierenden Markt. Das macht auf der einen Seite vieles leicht, auf der anderen Seite liegen die Probleme natürlich offensichtlich auf der Hand: Twitter glänzte lange Zeit durch mangelnde Stabilität, ungelöste Schwierigkeiten bei der Skalierung des Dienstes – viel problematischer aber noch: Es ist der properitärer Service eines Anbieters, dessen ureigensten Interesse die Bindung seiner Nutzung und die Vorhaltung der Daten, zumindest der Beziehungen der Nutzer untereinander ist.

Sind die Alternativen tatsächlich bereits vorhanden?
Das, was sich viele schon seit langem wünschen ist momentan Ansatzweise mit Identi.ca zu beobachten. Hier entsteht ein distribuierter Microblogging Service auf Basis einer frei verfügbaren und überall installierbaren Open-Source Software. Sprich: Jeder hat die Möglichkeit, das aktuelle Laconi.ca Paket auf seinem Server zu installieren, eigene Nutzer für seinen Dienst zu gewinnen und diesen mit dem weltweiten Laconi.ca Netzwerk zu verbinden. So können Nachrichten überall hin verteilet und Verbindungen zu Freunden auf anderen Servern hergestellt werden. Dies löst gleichzeitig zwei der eingangs angesprochenen Probleme: Die Last wird auf ein (künftig womöglich) grosses Netzwerk von Servern verteilt. Skalierung ist impliziter Teil der verteilten Architektur. Ausserdem ist das Netzwerk offen. Jeder kann einen entsprechenden Dienst betreiben bzw. sich dem Anbieter seiner Wahl anschließen. Mit OpenMicroBlogger beginnt derzeit ein zweiter Anbieter, fussend auf dem gleichen Protokoll aber mit gänzlich anderer Architektur ähnliches anzubieten. Besonderes interessant an OpenMicroBlogger ist, dass sich das Frontend ähnlich zu WordPress verhält, also leicht mit den zu Hauf verfügbaren Themes individualisiert und verändert werden kann.

Dennoch frage ich mich, ob dies weit genug geht? Denn obwohl die Systeme weit offener als das von Twitter oder all den anderen Anbietern sind, so sind diese dennoch in sich geschlossen. Dies allerdings wohl mehr aus dem (derzeit) fehlenden Willen der etablierten Player, sich hier einzuklinken. Schnittstellen sind entweder vorhanden oder würden umgehend geschaffen werden.

Natürlich sind geschlossene Systeme die präferierte Lösung für VC finanzierte Plattformen mit großer Zahl von bestehenden Nutzern. Im vergangenen Jahr nahm ich an einem kleinen Workshop auf der Picnic in Amsterdam teil, auf dem Biz Stone von Twitter mehrfach nach dem Willen zur Öffnung des Dienstes befragt wurde – und er hielt sich dabei erwartungsgemäß sehr bedeckt. Aus seiner Sicht zurecht. Eine Öffnung für derartige Standards würde Twitter von einer Sekunde zur anderem zu einem der vielen Frontends eines großen Datenpools machen. Und dass das am Frontend nicht die entscheidene Schlacht geschlagen wird, zeigen die immer wieder zitierten Statistiken von Twitter, aus denen hervorgeht, dass nur knapp 10% des Traffics via Http ausgelöst werden. Die restlichen 90% verteilen sich auf diverse Anfragen an die API, kommend von den zahlreichen Tools wie Twitterific oder Twhirl und von all den anderen Webapplikationen die Daten ziehen, aggregieren, synchronisieren oder veredeln.

Fazit
Mit Identi.ca, Laconi.ca und OpenMicroBlogger zeigt sich, wie schnell sich ein Markt theoretisch ändern kann. Derzeit wird es allerdings womöglich zunächst bei der Theorie bleiben. Wichtiger als überlegene oder offene Technologie ist den Nutzern das Netzwerk von Freunden. Solange dies nicht in andere Dienste synchronisiert werden kann, wird der Wechsel schwer – oder schlichtweg wieder ausbleiben.

Es zeigt sich aber auch, wie schnell eine gute Idee das Web in unglaublich kurzer Zeit verändern kann, andere, bewerte Kommunikationswege ablöst oder auf einen anderen Anwendungszweck reduziert.

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