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Kleinste Teilchen Quanten-Physiker zweifeln an verborgenen Variablen

Die Quantentheorie ist äußerst erfolgreich, nur über ihre Interpretation streiten Experten noch. Einige Wissenschaftler erklären die bizarren Phänomene der Mikrowelt mit verborgenen Variablen. Experimentalphysiker haben ein derartiges Modell nun widerlegt.

Man muss eine Formel nicht philosophisch durchdrungen haben, um damit richtige Ergebnisse ausrechnen zu können. Die Quantenphysiker machen es vor: Ihre Theorie beschreibt die Phänomene aus der Welt des Mikrokosmos sehr gut. Sie erlaubt allerdings statt präziser Prognosen in der Regel nur Wahrscheinlichkeitsaussagen für die Zukunft. Die große philosophische Frage lautet daher: Ist die Quantenmechanik schlicht nur eine Beschreibung physikalischer Erscheinungen? Oder weist sie womöglich auf eine hinter den Phänomenen verborgene, uns bislang unbekannte Realität hin? Falls ja, wie sieht diese dann aus?

Physiker haben für die Quantentheorie verschiedene Interpretationen  entwickelt, die meisten sind Anhänger der sogenannten Kopenhagener Deutung . Diese besagt unter anderem, dass Messungen ein System beeinflussen und dass im Mikrokosmos tatsächlich der Zufall regiert. Wann beispielsweise ein Teilchen zerfällt, lässt sich deshalb nicht vorhersagen.

Verfechter der Theorie der sogenannten verborgenen Variablen sehen das etwas anders: Die Quantenmechanik beschreibt ihrer Meinung nach die Natur keinesfalls umfassend. Die Theorie soll vielmehr unvollständig sein, weil angeblich noch verborgene Variablen existieren. Würde man diese kennen, ließe sich ein zukünftiges Messergebnis exakt vorhersagen - wie in der klassischen Mechanik. Der Zufall in der Quantenmechanik wäre damit letztlich mit dem Unvermögen der Forscher erklärt, die verborgenen Variablen zu messen.

Alltagserfahrung widerspricht Quantenphänomenen

Wissenschaftler aus Österreich und Spanien haben dieser umstrittenen Interpretation nun experimentell zugesetzt. Vollständig widerlegt sind verborgene Variablen damit zwar noch nicht, Christian Roos vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation in Innsbruck und seine Kollegen konnten jedoch für bestimmte Variablen-Modelle zeigen, dass diese nicht stimmen können. Über ihre Studie berichten die Forscher im Fachblatt "Nature"  (Bd. 460, S. 494 - 497).

"Modelle verborgener Variablen lehnen sich an unsere Alltagserfahrung an", erklärt Roos im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Ein Gegenstand habe bestimmte Eigenschaften, unabhängig davon, ob man sie messe oder nicht. "Wenn es verborgene Variablen gäbe, dann würde dies bedeuten, dass Größen bereits festgelegt sind und eine Messung ihre Werte quasi ans Licht holt."

Das Modell verborgener Variablen müsse jedoch auch erklären, warum man bei mehrmaliger Durchführung eines Quantenexperiments nicht stets dieselben Resultate erhalte, sagt Roos. Forscher sprechen vom sogenannten Indeterminismus der Quantenmechanik.

Weshalb beispielsweise ist der Spin eines immer auf gleiche Weise präparierten Quantensystems bei einer Messung +1/2 und bei einer anderen -1/2? Üblicherweise erklären Verfechter verborgener Variablen dies damit, dass Experimentalphysiker schlicht nicht in der Lage sind, Systeme so zu präparieren, dass sie bei wiederholten Messungen identische Messergebnisse liefern.

Gesunder Menschenverstand reicht nicht

Diesen Angriffspunkt haben Roos und seine Kollegen geschickt umschifft. Sie experimentierten mit einem System, bei dem es gar nicht darauf ankommt, dass es in einem ganz bestimmten Zustand präpariert ist. Die Forscher speicherten zwei Ionen in einer Ionenfalle und führten danach nacheinander drei Messungen von Spinkomponenten in dem System durch.

Es existieren verschiedene Modelle mit verborgenen Variablen, die Innsbrucker Physiker untersuchten sogenannte nichtkontextuelle Modelle. Bei diesen ist das Ergebnis einer Messung von anderen gleichzeitig durchgeführten Messungen unabhängig. Bereits 1967 hatten die Mathematiker Simon Kochen und Ernst Specker auf dem Papier gezeigt, dass solche Erklärungsversuche mit verborgenen Variablen nicht funktionieren können. Die Forscher vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation haben diese theoretische Arbeit nun experimentell bestätigt.

"Wir haben unser Experiment in verschiedenen Varianten einige tausend Mal durchgeführt", erzählt Roos. Dies sei nötig, um genug Daten für die Statistik zu haben. Die Resultate waren eindeutig: Die drei nacheinander durchgeführten Messungen korrelierten. Das heißt: Das Ergebnis einer Messung im System war abhängig von anderen, zuvor durchgeführten Messungen.

"Wären die Variablen nichtkontextuell, hätten wir andere Ergebnisse gehabt", sagt der Forscher. In der Quantenmechanik gebe es aber durchaus Größen, die man gleichzeitig messen könne, ohne dass sich die Messungen gegenseitig störten, betont Roos. Für das untersuchte System treffe dies jedoch nicht zu. Die Studie zeige, dass nichtkontextuelle Modelle falsche Aussagen über die Messdaten lieferten.

Das Verständnis der Quantenmechanik wird durch die Experimente in Innsbruck allerdings nicht unbedingt erleichtert. Eher im Gegenteil: Mit gesundem Menschenverstand allein ist die Theorie des Mikrokosmos nicht zu begreifen, wie die Forscher selbst einräumen.

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