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Brigitte Zypries – "Der Dreck muss aus dem Netz"

Brigitte Zypries Brigitte Zypries
Brigitte Zypries verteidigt die Online-Sperren gegen Kinderpornografie
Quelle: dpa
Der Zensurvorwurf gegen die jüngst beschlossenen Kinderpornosperren im Internet sei Unsinn, meint Brigitte Zypries. Die Justizministerin verteidigt auf WELT ONLINE staatliche Kontrollen des Internets. Außerdem spricht sie über Raubkopien, die Piratenpartei und ihre Probleme mit dem Bloggen.

WELT ONLINE: Frau Ministerin Zypries, sind Sie gelegentlich im Internet unterwegs?

Brigitte Zypries: Ja, natürlich.

WELT ONLINE: Sind Sie dabei schon mal auf Seiten gestoßen, auf denen Musik oder Bücher als Raubkopien kostenlos zum Download angeboten werden?

Zypries: Nein, und um ihrer nächsten Frage zuvorzukommen: Ich hätte sie natürlich auch nicht genutzt.

WELT ONLINE: Ihr Unrechtsbewusstsein ist also intakt. Bei einem Teil der Internetgemeinde ist das nicht so: Gesetze, die in der realen Welt selbstverständlich eingehalten werden, verlieren in der digitalen Welt an Bindekraft. Warum ist das so?

Zypries: Schon in meiner Jugend war das Mitschneiden von Musik aus dem Radio üblich, damals auf Tonbändern oder Kassetten. Es gibt also eine gewisse Tradition zu glauben: Man darf das. Ähnlich ist es beim Kopieren von Büchern. Es ist weder der Industrie noch der Politik gänzlich geglückt, die Botschaft zu vermitteln: Man darf das eben nicht. Jedenfalls nicht, wenn man es nicht nur für sich privat kopiert. Dazu kommt die entscheidende Innovation des Internets: Man bewegt sich anonym, es gibt keine soziale Kontrolle. Wer im Laden ein Buch klaut, muss eine höhere Hemmschwelle überwinden als jemand, der illegal etwas herunterlädt.

WELT ONLINE: Der Suchmaschinen-Gigant Google hat damit begonnen, Bücher zu digitalisieren und frei ins Netz zu stellen. Wie bewerten Sie dies?

Zypries: Was Google da macht, ist mit deutschem Recht nicht vereinbar. Bücher zu kopieren und ins Netz zu stellen, ohne die Urheber zu fragen, das geht nicht. Deshalb ist Google in den USA ja auch verklagt worden.

WELT ONLINE: Werden Sie in dem Verfahren eine Stellungnahme abgeben, um die Interessen deutscher Autoren und Verlage zu vertreten?

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Zypries: Es war nicht ganz einfach, einen Anwalt zu finden, der bereit war, uns in den USA gegen Google zu vertreten. Nun haben wir in New York einen gefunden, der arbeitet gerade an der Stellungnahme für das Gericht. Aber ich warne davor, sich nur auf den Staat zu verlassen. Die Industrie muss selbst Konzepte entwickeln, wie Geschäftsmodelle zur Verwertung von Urheberrechten im Internet aussehen können. Ich habe die Verlage schon mehrfach ermahnt: Macht nicht dieselben Fehler wie die Musikindustrie!

WELT ONLINE: Welche Fehler meinen Sie?

Zypries: Die Musikkonzerne haben nach meiner Einschätzung zu spät angefangen, sich attraktive Vertriebsmodelle für die digitale Welt zu überlegen. Und wenn es dann schiefgegangen ist, ruft man gern nach dem Staat. Die Musikindustrie fordert nun Gesetze für ein digitales Rechtemanagement in Deutschland. Um funktionierende Vertriebs- und Schutzsysteme müssen sich die Unternehmen aber selbst kümmern. Ich kann doch mein Auto auch nicht unverschlossen auf der Straße stehen lassen und der Polizei sagen: Nun pass du mal auf!

WELT ONLINE: Urheberrechtsverletzungen sind nur ein Teil der Delikte im Netz. Nachdem die Bundesregierung jüngst beschlossen hat, Seiten mit kinderpornografischen Inhalten mit einem Stoppschild zu sperren, gab es Protest: Das sei Zensur.

Zypries: Das ist Unsinn. Es geht nicht um Zensur. Es geht darum, strafbare Inhalte aus dem Netz zu entfernen. Es gibt eine Gruppe von Internet-Usern, die glaubt: Im Netz darf man alles, das Internet ist ein Ort unbegrenzter Freiheit, jede Regel verletzt unsere Identität. Das ist falsch: Meine Freiheit, mein Recht endet auch im Netz dort, wo sie die Freiheit und das Recht von anderen verletzt. Grundrechten wie der Meinungsfreiheit sind im Internet genauso Grenzen gesetzt wie in der realen Welt. Es gibt kein Recht des Stärkeren oder technisch Versierteren. Was offline verboten ist, ist auch online verboten. Das ist keine Zensur, sondern eine simple Erkenntnis, die auch juristischen Laien verständlich sein sollte.

WELT ONLINE: Ist es aber nicht. Mit der Piratenpartei gibt es jetzt sogar eine politische Gruppierung, die für freies Kopieren eintritt und die Stoppschild-Sperren scharf kritisiert. Ihr vormaliger Parteifreund Jörg Tauss ist schon übergetreten.

Zypries: Jeder muss selbst verantworten, was er tut.

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WELT ONLINE: Nehmen sie das Phänomen der Piratenpartei ernst – oder ist das eine Spaßveranstaltung?

Zypries: Selbstverständlich nehme ich das ernst. Aber auf einer irrationalen Ebene lässt sich nur schwer diskutieren. Anders als es die Piratenpartei glauben machen will, haben wir ja nicht mit dem Gesetz gegen die Verbreitung von Kinderpornografie den Teufel aus der Flasche gelassen. Deren Vertreter realisieren überhaupt nicht, dass ohne Gesetz die von Frau von der Leyen mit den Providern geschlossenen Verträge zur Anwendung gekommen wären – mit viel weniger rechtsstaatlichen Sicherungen für die Internet-User. Viele Anhänger der Piraten wollen auch keine Debatte führen, sondern sagen nur: Das ist übel, was ihr macht, wir reden nicht mehr mit euch. So funktioniert Demokratie aber nicht.

WELT ONLINE: Die Piratenpartei erinnert in manchem an das Aufkommen der Grünen, die anfangs auch eine Ein-Themen-Partei waren. Wittern Sie keine politische Bedrohung?

Zypries: Es reicht nicht, wenn sich die Programmatik darin erschöpft, einem Lebensgefühl Ausdruck zu verleihen nach dem Motto: Wir sind jung, wir kennen das Netz, und ihr Alten versteht davon nichts. Was ich sehr ernst nehme, ist, dass es unabhängig von dieser Partei ein wiedererstarkendes Bewusstsein für Datenschutz in unserer Zivilgesellschaft gibt, deshalb verstehe ich diejenigen Kritiker sehr gut, die sich Sorgen machen, dass wir mit dem neuen Gesetz eine Infrastruktur schaffen, die auch für andere Zwecke als den Kampf gegen Kinderpornografie genutzt oder missbraucht werden könnte.

WELT ONLINE: Sind sie denn zufrieden mit den Stoppschildern gegen Kinderpornografie? Jeder Laie kann diese Sperren ohne Weiteres umgehen.

Zypries: Zunächst einmal bin ich froh, dass es der SPD gelungen ist, den Grundsatz „Löschen vor Sperren“ im Gesetz zu verankern, denn das oberste Ziel muss sein, dass dieser Dreck aus dem Netz kommt. Wenn das nicht gelingt, weil ausländische Provider nicht kooperieren, soll die Sperre helfen, das perfide und leider sehr lukrative Geschäft mit der Gewalt gegen Kinder einzudämmen. Die Zugangssperren sind ein Versuch, ein erster Schritt, und wir sollten jetzt einmal schauen, wie das wirkt. Und dann diskutieren, wie viel Kontrolle des Netzes wir brauchen – oder eben nicht.

WELT ONLINE: Es gibt schon Forderungen, auch Seiten mit rechtsradikalen oder anderen Hassinhalten zu sperren.

Zypries: In Deutschland haben wir damit kein Problem, unsere Provider nehmen solche Inhalte sofort aus dem Netz, wenn man sie darauf hinweist. Das wird demnächst auch innerhalb der ganzen EU funktionieren, zumindest was die öffentliche Aufstachelung zu Hass und Fremdenfeindlichkeit angeht. Aber natürlich, das Netz ist global. Wenn zum Beispiel auf einem Server in den USA der Holocaust geleugnet wird, dann gilt: Das fällt dort unter die Meinungsfreiheit und ist nicht strafbar. Deshalb ist es schwierig, mit den Amerikanern hier zu einer Übereinkunft zu kommen. Da stößt der Nationalstaat ein Stück weit an seine Grenzen.

WELT ONLINE: Könnte man solche Seiten nicht von hier aus sperren?

Zypries: Die Bundestagsmehrheit hat sich bewusst entschieden, Zugangssperren auf Kinderpornoseiten zu beschränken. Ich meine, wir müssten uns verstärkt darum bemühen, zu einer internationalen Übereinkunft zu kommen, einem „Good-Internet-Kodex“.

WELT ONLINE: Darüber gibt es seit Jahren Diskussionen. Aber wie soll eine Konvention beispielsweise mit China über zulässige Internetinhalte aussehen? Übers Filtern werden sie sich mit Diktatoren und Autokraten sicher zügig einigen…

Zypries: …über das, was gefiltert wird, aber sicher nicht so leicht. Deswegen ist das Misstrauen gegen staatliche Filter ja auch nicht ganz unberechtigt. Filtern oder Sperren ist immer ein Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Und deswegen darf es Einschränkungen nur zum Schutz anderer überragend wichtiger Rechtsgüter geben, und man muss bei jeder solchen Maßnahme sehr sorgfältig untersuchen, ob das eingesetzte Mittel zum angestrebten Zweck auch wirklich verhältnismäßig ist.

WELT ONLINE: Wie sieht das Netz in fünf Jahren aus?

Zypries: Ich erwarte, dass viele Funktionalitäten des Internets sicherer sein werden. Ich bin überzeugt, es wird ein Freiheitsgewinn für viele Menschen sein, wenn sie beispielsweise über die Authentifizierungsfunktion des neuen E-Personalausweises Behördengänge online sicher geschützt erledigen oder ihre Einkäufe auf sicherem, weil gut verschlüsseltem Weg erledigen können. Es wird Bereiche geben, in denen weniger Anonymität vielen Menschen das Leben erleichtern wird – in einem freien Netz.

WELT ONLINE: Nutzen Sie das Internet und seine Dienste im Bundestagswahlkampf?

Zypries: Ja, aber eher auf konventionelle Weise. Twittern zum Beispiel mit Botschaften wie „Die Sonne scheint, ich sitz im Café und esse ein Eis“ ist mir zu albern. Das sind Informationen, die die Welt nicht braucht, für dieses Gezwitscher fehlt mir auch die Zeit. Ich habe eine Homepage mit Kontaktmailfunktion und biete Video-Podcasts an, die auch rege geklickt werden. Im letzten Wahlkampf hatte ich noch einen Blog, da hat aber kaum eine inhaltliche Debatte über politische Themen stattgefunden. Deshalb hab ich es diesmal gelassen.

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