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Spielen am Bildschirm macht viele Kinder kurzsichtig

Kinder, die mehr am Bildschirm als draußen spielen, werden häufiger kurzsichtig Kinder, die mehr am Bildschirm als draußen spielen, werden häufiger kurzsichtig
Kinder, die mehr am Bildschirm als draußen spielen, werden häufiger kurzsichtig
Quelle: picture alliance / Godong
Jeder fünfte Mensch auf der Welt ist kurzsichtig. Besonders Kinderaugen leiden unter „Naharbeit“ vor Bildschirmen, elektronischem Spielzeug oder Büchern. Forscher sprechen von einer globalen Epidemie.

Die Ärzte der südkoreanischen Armee hatten nicht damit gerechnet, einen Weltrekord zu entdecken. Sie ahnten zwar, dass es um die Augen der jungen Männer, die bei ihnen den Dienst antraten, nicht besonders gut bestellt war. Ziemlich viele Rekruten trugen schließlich Brillen.

Das Ergebnis überraschte die Ärzte dennoch. Sie ließen sich die Befunde der Musterungen von mehr als 23.000 Männern im Alter von 19 Jahren vorlegen.

96,5 Prozent der jungen Männer waren kurzsichtig. Beinahe eine ganze südkoreanische Generation konnte nicht mehr richtig in die Ferne sehen.

Die südkoreanischen Ärzte hatten damit jede andere ihnen bekannte epidemiologische Studie zur Verbreitung dieser Sehschwäche, in der Fachsprache Myopie genannt, übertroffen. Die Rekruten hatten jeweils eine Fehlsichtigkeit von mindestens minus 0,5 Dioptrien. Jeder fünfte der jungen Männer wurde von den Ärzten als hochkurzsichtig eingestuft, hatte eine Fehlsichtigkeit von minus 6 Dioptrien oder mehr.

Kinder gucken auf Bildschirme statt in die Ferne

Das Ergebnis aus Südkorea ragt heraus. Aber die Zahl der Kurzsichtigen steigt auf der ganzen Welt – so rasant, dass Experten schon von einer globalen Epidemie sprechen. Jeder fünfte Mensch weltweit ist kurzsichtig, braucht also zum Erkennen weiter entfernter Objekte eine Brille oder Kontaktlinsen.

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Vermutlich werden bald noch weitaus mehr Menschen auf Hilfe vom Optiker angewiesen sein – weil viele Kindern beim Spielen nicht mehr oft genug in die Ferne schauen, sondern auf Bildschirme vor ihrer Nase. Dabei schädigen sie ihre Augen, die sich noch im Wachstum befinden, dauerhaft.

Bei asiatischen Kindern und Teenagern sind Häufigkeiten der Kurzsichtigkeit zwischen 50 Prozent, in China, und 84 Prozent, in Taiwan, ermittelt worden. Bei einer Untersuchung von 5000 Studentinnen und Studenten in Shanghai kamen Mediziner auf ein fast den Verhältnissen in der südkoreanischen Studie entsprechendes Ergebnis: 95,5 Prozent von ihnen waren kurzsichtig.

Bei einer Untersuchung von Kindern und Jugendlichen in Magdeburg stellten Ärzte vor sechs Jahren fest, dass 21 Prozent der 12- bis 17-Jährigen kurzsichtig waren, bei den jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 35 waren es 41 Prozent.

Kurzsichtigkeit hängt auch mit dem Bildungsstand zusammen

Die neusten Zahlen zur Kurzsichtigkeit in Deutschland stammen von Erwachsenen aus Rheinland-Pfalz. Mediziner der Uniklinik Mainz haben kürzlich die Augen von 14.000 Menschen untersuchen lassen, mithilfe von Autorefraktometern. Diese Geräte bestimmen schnell und zuverlässig die Brechkraft des Auges.

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Bei 35 Prozent der Teilnehmer stellten die Ärzte eine Kurzsichtigkeit fest. Dann verglichen sie die Daten mit dem Bildungsstand der Probanden. Von den Studienteilnehmern mit Hauptschulabschluss waren nur 27 Prozent kurzsichtig, von denen mit Abitur schon 51 Prozent.

Die höchste Myopierate fanden die Mainzer Forscher bei Männern und Frauen mit Hochschulabschluss: 53 Prozent von ihnen sahen schlecht.

„Die rapide Zunahme der Myopie, vor allem in Asien, lässt sich nicht mit genetischen Faktoren erklären“, sagt der Augenarzt Alireza Mirshahi, der die Untersuchung in Mainz geleitet hat.

„Wir haben auch 45 verschiedene genetische Faktoren getestet, aber im Vergleich zum Bildungsstand hatten sie kaum einen Einfluss.“ Vieles spreche dafür, dass Umwelteinflüsse die Entstehung der Kurzsichtigkeit befördern.

Sonnenlicht ist besser für Kinderaugen als künstliches Licht

Ärzte vermuten seit Langem, dass zu viel sogenannte „Naharbeit“ den Augen schadet. Dazu gehört das Lesen von Büchern. Aber auch das stundenlange Schauen auf Bildschirme im Büro, auf Smartphones und Tablets.

Beim langen Nahsehen wird wahrscheinlich die Akkommodation der Augen überbeansprucht. Damit ist der Krümmungsmechanismus der Linse gemeint, der zur Scharfstellung auf ein Objekt in der Nähe dient.

Vor allem Kinder sind gefährdet. Wenn sich ihre Linsen zu oft krümmen, stellt das einen fatalen Wachstumsreiz für das kindliche Auge dar. Kurzsichtige Augen sind überdurchschnittlich lang, sodass das Bild von der Linse vor der Netzhaut gebündelt wird und nicht – wie für scharfes Sehen erforderlich – genau auf der Netzhaut.

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Die Überbeanspruchung der kindlichen und jugendlichen Augen bei der Naharbeit könnte nach neueren Forschungen mit einem früher kaum in Betracht gezogenen Faktor einhergehen: der vielen Zeit, die Kinder inzwischen in geschlossenen Räumen und unter künstlichem Licht verbringen. Sonnenlicht scheint besser für die jungen Augen zu sein als das Licht, das aus dem Display der Smartphones strahlt.

Ähnliche Ergebnisse in China und Dänemark

Darauf weisen die Ergebnisse eines Experiments in China hin. In der chinesischen 8-Millionen-Metropole Guangzhou hatten Forscher mehrere Hundert Grundschüler in zwei Gruppen eingeteilt. Ein Teil der Kinder sollte nach dem Ende des Unterrichts noch für 45 Minuten auf ihren Schulhöfen herumtoben. Die anderen sollten gleich nach Hause und ihre Schulaufgaben lösen.

Mit der zusätzlich verordneten Schulstunde auf dem Hof wurde sichergestellt, dass die Kinder täglich zumindest eine knappe Stunde unter freiem Himmel und, so es das Wetter zuließ, bei Sonnenschein verbrachten. Chinesische und australische Augenärzte untersuchten die Kinder regelmäßig und zogen nach drei Jahren Bilanz.

Von den Kindern, die jeden Tag an der frischen Luft spielen mussten, war jedes dritte kurzsichtig geworden. Von den Kindern, die vom Klassenzimmer direkt nach Hause gingen und dann dort den Nachmittag über Büchern, vor Computern oder vermutlich elektronischem Spielzeug verbrachten, wurden fast 40 Prozent kurzsichtig. Für die Wissenschaftler ein deutlicher, ein signifikanter Unterschied.

Die Ergebnisse aus Guangzhou bestätigen eine Untersuchung aus Dänemark. Dort wurden 235 Kinder im Alter von 8 bis 14 Jahren sechs Monate lang beobachtet.

Bei allen Kindern wurden die Augen etwas schlechter. Aber wie stark ihre Kurzsichtigkeit zunahm, hing davon ab, wo die Kinder ihre Tage verbrachten.

Spielen unter freiem Himmel schützt die Kinderaugen

Bei Kindern, die sich sehr viel unter freiem – in Dänemark bei Weitem nicht immer sonnigen – Himmel aufhielten, nahm die Achsenlänge des Auges um 0,12 mm zu. Ihre Augen wurden dabei um -0,26 Dioptrien schlechter. Bei den Kindern, die weniger draußen waren, verlängerte sich die Achsenlänge jedoch um durchschnittlich 0,19 mm, ihre Kurzsichtigkeit wurde -0,32 Dioptrien stärker.

Noch können die Forscher nicht genau sagen, warum das Spielen unter freiem Himmel die Kinderaugen schützt. Die Kinder fixieren ihre Augen in dieser Zeit eher selten auf Objekte, die direkt vor ihnen liegen. Das würde zu der Hypothese passen, wonach Kurzsichtigkeit durch zu viel Akkommodation, also das Scharfstellen auf nahe Bücher oder Computerspiele, verstärkt wird.

Aber auch das ultraviolette Licht in der Natur könnte eine Rolle spielen. Wenn dieses Licht auf den Körper trifft, setzt dieser Dopamin und andere Botenstoffe frei, die in Versuchen an Tieren ein zu ausgeprägtes Wachstum des Auges und damit den Weg in die Kurzsichtigkeit gehemmt haben.

Eine Rolle könnte auch das Vitamin D spielen, dessen Vorstufen vom Körper unter dem Einfluss von über die Haut aufgenommenem UV-Licht produziert werden.

In Australien haben Forscher nachgewiesen, dass jenes Drittel ihrer Studienteilnehmer mit den höchsten Anteil solcher Vitamin-D-Vorläufer im Blut, verglichen mit dem Drittel der Teilnehmer mit den niedrigsten Anteil, ein um 40 Prozent reduziertes Risiko einer Kurzsichtigkeit aufwiesen.

Laser-Eingriffe im Jugendalter sind umstritten

Es müssen nicht gleich minus 6 Dioptrien sein, wie sie viele der Rekruten in Südkorea aufweisen. Bei dieser Größenordnung ist die Myopie oft mehr als nur ein Brechkraftfehler des Auges.

Stark kurzsichtige Augen sind häufig von Komplikationen wie Löchern in der Netzhaut oder gar einer Netzhautablösung bedroht, die einen operativen Eingriff zur Reparatur erfordert. In besonders schweren Fällen, der sogenannten „malignen Myopie“, kann es gar zum Einwachsen neuer, krankhafter Blutgefäße im Augeninneren kommen, die eine schwere Sehbehinderung, wenn nicht gar Blindheit nach sich ziehen können.

Man kann Kurzsichtigkeit durch Operationen im Auge beheben, mit einem Laser wird dabei die Hornhautbrechkraft verändert. Solche Eingriffe im Jugendalter sind allerdings umstritten.

Oft ist die Myopisierung, die Zunahme der Dioptrienzahl, mit 18 Jahren noch nicht abgeschlossen. Die Jugendlichen brauchen nach einiger Zeit wieder eine Brille.

Gute Neuigkeiten mit einer Nebenwirkung

Einfacher und preiswerter ist es ohnehin, Kinder und Jugendliche oft an die Luft zu schicken, am besten ohne ihre Smartphones. Weg von den Bildschirmen, raus aus dem Kunstlicht.

„Da Schüler und Studierende einem höheren Risiko ausgesetzt sind, an Myopie zu erkranken, ist es sicher eine sinnvolle Präventionsmaßnahme, sie dazu anzuhalten, mehr Zeit im Freien zu verbringen“, sagt der Augenarzt Alireza Mirshahi.

Wer als Kind häufiger draußen spielt, wird seltener kurzsichtig – das gilt inzwischen als bewiesen. Aber in der Medizin sind gute Neuigkeiten oft mit einer Nebenwirkung verbunden.

Auch Forscher aus Australien haben kürzlich nachgewiesen, dass Menschen, die mehr Zeit im Freien verbrachten, besser in die Ferne schauen konnten. Leider erhöhten diese Menschen im Gegenzug ihr Risiko, an Hautkrebs zu erkranken, um mehr als das doppelte.

In den letzten Sommertagen sollte man seine Kinder also gut mit Sonnenschutz einreiben, bevor man sie vom Computer in den Garten scheucht.

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